Imornefe Bowes ist seit Ende Januar Chef-Bundestrainer der deutschen Beachvolleyballerinnen. Der Schotte muss und will ein System umsetzen, das nicht unumstritten ist. Eine Alternative sieht er nicht – zum Leidwesen einiger Stuttgarterinnen.

Stuttgart – Herr Bowes, Sie sind seit Ende Januar Chef-Bundestrainer der deutschen Beachvolleyballerinnen. Ist das ein Traumjob für Sie?
Das würde ich so nicht sagen.
Sondern?
Ich habe schon die Nationalteams der Briten und Niederländerinnen auf Olympische Spiele vorbereitet. Es ist sicher ein Privileg, die deutschen Frauen zu trainieren. Aber ein Traumjob? Dann müsste ich mehr Freizeit haben und mehr Geld bekommen (lacht).
Stattdessen warten viele Aufgaben auf Sie.
Stimmt. Ich soll die Spielerinnen weiterentwickeln und besser machen. Und ich soll ein System aufbauen, das sicherstellt, dass die deutschen Beachvolleyballerinnen auch noch in zwei, vier oder acht Jahren zur absoluten Weltspitze gehören. Ein solches System gab es bisher nicht.
Ein Anforderungsprofil . . .
. . . das nicht einfach zu erfüllen ist, klar. Aber ich liebe Herausforderungen. Und ich mag es, an Projekten zu arbeiten, bei denen es auch mal zu Problemen kommen kann.

Die Athleten haben Zweifel

Dann sind Sie im deutschen Beachvolleyball ja genau richtig. Vor allem von den Sportlern kommt harsche Kritik am neuen System und der Zentralisierung in Hamburg.
Es ist doch immer so: Wo ein Business aufgebaut wird, muss eine neue Kultur erst mal entstehen. Bisher sind die deutschen Teams im Beachvolleyball ihren eigenen Weg gegangen, mit eigenen Trainern und eigenem Umfeld. Es ist doch klar, dass diese Athleten nun erst einmal Zweifel haben.
Zumal dieser Weg auch erfolgreich war: 2012 in London gewannen Julius Brink und Jonas Reckermann Olympia-Gold, 2016 in Rio Laura Ludwig und Kira Walkenhorst.
Keine Frage, das war eine tolle Performance der beiden Teams. Sie haben sich in ihrem Bereich genau das geschaffen, was wir nun auch auf großer Ebene bündeln wollen: Das Knowhow von hochqualifizierten Trainer, medizinische Betreuung, wissenschaftliche Begleitung, eine Spielphilosophie. Doch unser Ziel ist, dass nicht nur ein Team diese Voraussetzungen hat. Wir wollen ein System des Erfolgs.
Dieser Wunsch ist verständlich, zumal es bei den Männern derzeit kein Weltklasse-Duo gibt. Aber die Frauen waren doch auch ohne Zentralisierung erfolgreich: 2016 kamen vier der sieben weltbesten Teams aus Deutschland.
Richtig, doch die Situation ist jetzt eine andere. Die Stuttgarterinnen Karla Borger und Britta Büthe spielen nicht mehr zusammen, da Britta aufgehört hat. Auch Ilka Semmler und Katrin Holtwick haben ihre Karriere beendet. Es wäre eine komische Sicht der Dinge, nun zu sagen: Wir hatten vier starke Teams, wir müssen nichts mehr tun. Ich prophezeie: Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir nicht mehr denselben Erfolg haben. Deshalb ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um etwas zu verändern.

Es gibt keinen Grund, etwas zu ändern

Wie groß ist das Problem, dass drei der besten deutschen Teams bei diesen Plänen nicht mitspielen wollen?
Es ist natürlich ein Problem. Allerdings muss man jeden Fall separat betrachten.
Gerne. Die Olympiasiegerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst leben in Hamburg, müssen sich aber nicht ins System des Deutschen Volleyball-Verbandes einordnen. Zurecht?
Ja. Ich denke, die beiden haben gezeigt, dass sie über ein effektives System verfügen. Für sie gibt es keinen Grund, irgendetwas zu verändern.
Weil sie die Besten sind?
Ja. Sie haben sich ein Umfeld aufgebaut, dass ihnen geholfen hat, auf dieses Niveau zu kommen, und das ihnen helfen wird, auf diesem Niveau zu bleiben.
Können Ludwig/Walkenhorst 2020 in Tokio noch einmal Olympia-Gold gewinnen?
Ich wünschte mir, diese Frage beantworten zu können. Ich weiß nur: Es ist im Sport eine große Leistung, an die Spitze zu kommen. Aber es ist eine noch größere Leistung, dort oben zu bleiben.

Eine kuriose Frage

Sie sind der Freund von Laura Ludwig und trainieren zugleich deren Konkurrentinnen. Gibt es da nicht einen Interessenskonflikt?
Ich sehe keinen. Ich mache meinen Job, und das hat keinerlei negativen Einfluss, weder auf Laura noch auf die anderen deutschen Spielerinnen. Deshalb finde ich diese Frage, die mir oft gestellt wird, fast schon kurios.
Ludwig/Walkenhorst haben ihre Insellösung, beim Stuttgarter Duo Chantal Laboureur und Julia Sude, 2016 die Nummer drei der Welt, steht eine Entscheidung noch aus. Warum?
Das weiß ich nicht.
Auch die beiden wollen nicht nach Hamburg, sondern weiterhin mit eigenem Trainer- und Betreuerteam arbeiten.
Die Situation ist schwierig, auch wegen des Medizinstudiums von Chantal Laboureur in Tübingen. Meine Meinung ist: Es wäre der falsche Weg, zu sagen, dass jedes Nationalteam unbedingt nach Hamburg muss. Wenn jemand nicht an das System glaubt, muss die Entscheidung so ausfallen, dass die Athleten trotzdem erfolgreich sein können.