Sie wollen doch nur spielen: Weil sich die Beachvolleyballerinnen Kim Behrens und Cinja Tillmann vom Verband ungerecht behandelt fühlen, wehren sie sich nun auch abseits des Sandkastens.

Stuttgart - Im Beachvolleyball geht es darum, stets voll auf der Höhe zu sein. Physisch und psychisch. Technisch und taktisch. Was kein Team brauchen kann, ist Sand im Getriebe. Bei Kim Behrens (27) und Cinja Tillmann (28) knirscht es schon die ganze Saison, und zwar gewaltig. Das Duo, das ab diesem Mittwoch das letzte Turnier des Jahres in Mexiko spielt, fühlt sich vom Deutschen Volleyball-Verband (DVV) nicht nur unfair behandelt, sondern auch ausgebremst und ausgebootet. Die Auseinandersetzung setzt sich nun womöglich vor Gericht fort. Denn Behrens und Tillmann sehen Grund zur Klage. „Der Verband“, sagen sie, „greift komplett in unsere Karriere ein.“ Mit gravierenden Folgen – sportlich und finanziell.

 

Auf dem Prüfstand stehen die Nominierungsrichtlinien des DVV. In Karla Borger/Julia Sude, Margareta Kozuch/Laura Ludwig, Sandra Ittlinger/Chantal Laboureur und Victoria Bieneck/Isabel Schneider hat der Verband vier Nationalteams benannt, auf die er sportlich voll setzt – und die er schützt. Ihnen werden bei den großen internationalen Turnieren Startplätze garantiert, unabhängig von der Frage, ob womöglich ein fünftes Team in der deutschen oder der Weltrangliste (noch) besser platziert ist. Dies waren Behrens und Tillmann, zumindest bis Mitte des Jahres 2019. Statt in dieser Zeit, wie in anderen Nationen üblich, ein internes Qualifikationsspiel um den letzten der vier Startplätze anzusetzen, die Deutschland zustehen, sorgte der DVV dafür, dass das Duo Behrens/Tillmann bei sechs Turnieren nicht zugelassen wurde. „Das ist für die Sportlerinnen nicht nur tragisch“, sagt Hans Voigt, einer ihrer drei Trainer „sondern es verstößt auch gegen die Bestimmungen des Wettbewerbs- und Kartellrechts.“ Die Frage ist nun: Urteilt das Landgericht Frankfurt ähnlich?

Auch Mats Hummels muss die Entscheidung des Verbandes akzeptieren

Sollte die dort vor neun Tagen eingereichte Klage zugelassen werden, sieht Niclas Hildebrand dem juristischen Duell gelassen entgegen. Der DVV-Sportdirektor Beach fühlt sich im Recht. Weil sein Verband nichts anderes mache als andere Verbände – sich sportlich so aufzustellen, wie er es für richtig hält. „Es ist übliche Praxis, dass nicht alle Athleten nominiert werden können. Das muss auch ein Mats Hummels akzeptieren, ohne dagegen klagen zu können“, erklärt Hildebrand, „meine Aufgabe ist es, die bestmögliche Ausgangsposition für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio abzusichern. Und sportlich trauen wir den anderen vier Teams grundsätzlich eben wesentlich mehr zu.“

Kim Behrens, die aktuell freigestellte Kommissarin der Stuttgarter Polizei, und Cinja Tillmann spielen seit dieser Saison zusammen, nachdem Behrens ihre ursprüngliche Partnerin Sandra Ittlinger an Chantal Laboureur verloren hatte. Behrens und Tillmann sind beide Abwehrspezialistinnen, Hildebrand meint: „Es fehlt ihnen an Stärke im Block.“ Hans Voigt sieht das anders. Ganz anders. Der Coach traut seinem Duo zu, in Deutschland das zweit- oder drittbeste Team werden und in der Weltrangliste unter die besten 20 klettern zu können: „Wenn der Verband die beiden endlich spielen lässt.“ Freiwillig wird der DVV das allerdings nicht tun. „Die sportliche Perspektive, uns als Team kurzfristig bei unseren anspruchsvollen Zielen zu helfen, sehe ich nicht“, sagt Sportdirektor Hildebrand.

Ludwig und Kozuch sind die größte Olympia-Hoffnung

Er baut auch weiter auf seine ursprüngliche Auswahl, vor allem auf ein Duo. Laura Ludwig, die Olympiasiegerin von 2016, die nach ihrer Babypause noch nach ihrer alten Stärke sucht, und Margareta Kozuch, die ehemals beste deutsche Hallenspielerin, sind die größte Hoffnung des DVV für Tokio 2020. Und der eigentliche Grund für die alternativlose Nominierungspraxis. Denn vor allem dem neu formierten Duo wollte Hildebrand zu Beginn des Jahres 2019 den Rücken freihalten. Statt sie in schwierige Quali-Spiele gegen Behrens/Tillmann zu schicken, verschaffte der Verband seinen Topstars lieber einen festen Platz im jeweiligen Turnierfeld. Voigt spricht deshalb von einer „Lex Kozuch/Ludwig“. Hildebrand verteidigt seine Vorgehensweise, weil das Duo Spielpraxis dringend benötigt habe: „Es war eine ‚Lex Olympiamedaille’. Diese zu holen, trauen wir vor allem Ludwig und Kozuch zu.“

Ob es rechtens war, deshalb ein Profiteam, das theoretisch ebenfalls die Chance gehabt hätte, sich für Tokio zu qualifizieren, und zudem nicht nur für, sondern auch von seinem Sport lebt, aufs Abstellgleis zu schieben, wird nun womöglich vor Gericht geklärt. Behrens und Tillmann wollen erreichen dass der DVV seine Nominierungskriterien ändern muss und sie somit 2020 mehr Turniere spielen können. Zudem hoffen sie auf 25 000 Euro Entschädigung für entgangene Einnahmen bei den Wettbewerben, zu denen sie nicht antreten durften. „Die Klage entscheidet über die internationale Karriere der beiden“, meint Trainer Voigt, „es muss endlich wieder das sportliche Leistungsprinzip gelten.“ Was der prominenteste deutsche Beachvolleyballer ganz ähnlich sieht. Auch Olympiasieger Julius Brink hält wenig davon, dass der DVV auf dem Weg nach Tokio seine vier auserwählten Nationalteams derart schützt. „Der ganze Prozess ist manipulativ“, sagt er, „und damit Verbandsdoping.“