Innenminister de Maizière lobt in Köln den öffentlichen Dienst. Er habe in der Flüchtlingskrise Verlässlichkeit bewiesen. Zugleich fordert der Minister Bereitschaft zur Flexibilität. Der Beamtenbund widerspricht.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Köln - Die Flüchtlingskrise hat der traditionellen Tagung des Beamtenbundes in Köln eine ungewöhnliche Brisanz verliehen. Beamtenbund-Vize Willi Russ tut zwar das, was man von ihm erwarten darf: den unzureichenden Personalstand beklagen. Allerdings ist die Situation in vielen Bereichen besonders kritisch: „Die Dauerbelastung führt die Kollegen zunehmend an die Grenze ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit“, sagt Russ.

 

Bundesinnenminister Thomas de Maizière lobt erst einmal: Was binnen fünf Monaten geschafft wurde, sei eine „große Leistung“. „Auf den öffentlichen Dienst ist Verlass“, sagt der CDU-Minister. Dafür gebe es Hunderte guter Beispiele. „Wir können ihm alles in allem vertrauen.“ Und er verspricht Entlastung: Bei den Sicherheitsbehörden des Bundes würden knapp 4000 und beim Integrationsamt BAMF weitere 4000 Stellen eingerichtet. Die Nachwuchskräfte könne man aber nicht herbeizaubern. Also „müssen wir Personal umschichten“, bis die Polizisten, Entscheider und Lehrer ausgebildet seien, sagt de Maizière.

Anforderungen an Lehrkräfte tiefer hängen

Doch er belässt es nicht dabei: Altgedientes müsste hinterfragt werden – mit einem „Sinn für Flexibilität“. Bei Lehrkräften zum Beispiel, die Flüchtlingen Deutsch beibringen, könne es „für eine begrenzte Zeit nötig sein, manche Anforderung an die berufliche Qualifikation abzusenken“. Dies erscheine ihm besser, als das vorhandene Personal weiter solange im Krisenmodus zu überlasten, bis qualifizierter Nachwuchs eingestellt sei. Entscheidend sei doch, dass den Menschen der Spracherwerb gelinge.

Bei der Anerkennung beruflicher Fertigkeiten von Flüchtlingen, die keine Dokumente vorweisen können, ließe sich die Qualifikation am besten in der Praxis nachweisen. Die formale Qualifikation könne nachgeholt werden. In einem dritten Beispiel beklagt der Minister die strengen Verordnungen für feste Unterkünfte – im Gegensatz zu provisorischen Zelten. Man dürfe nicht zuerst nach den Vorschriften fragen. „Was wir brauchen, ist gesunder Menschenverstand und einen vernünftigen Mittelweg“, sagt de Maizière. Die aktuelle Lage sei die Gelegenheit für frischen Wind. „Das könnte auch einen Modernisierungsschub für unsere Gesellschaft bedeuten.“

Beamtenbund gegen Absenkung von Rechtsstandards

An Stelle des erkrankten Vorsitzenden Klaus Dauderstädt rügt jedoch DBB-Vize Russ, dass immer öfter von rechtlichen Standards abgewichen werde. Dies sei „mit rechtsstaatlichen Verfahren nur schwer vereinbar“, sagt er mit Blick auf eine allzu laxe Bewilligungspraxis bei Asylanträgen. Die Entscheidung über Abweichungen dürfe nur der Gesetzgeber treffen. Gleichwohl sei auch der DBB für Vereinfachungen und Schnelligkeit, um für personelle Entlastung zu sorgen. Dabei seien Verwaltungsverfahren zu straffen, der Datenaustausch zu verbessern und Zuständigkeiten zu bündeln – zum Beispiel mit einer einheitlichen Flüchtlings- und Integrationsverwaltung.

Lieber kompetenten Zuwachs als unerfahrenen

Die Verwaltung sei, so Russ, nach ständigen Kürzungen und Wiederbesetzungssperren „auf Kante genäht“ – es gebe keine Reserven, und die Altersstruktur biete für die Zukunft keine Perspektive. Die jüngst bewilligten Stellen beim BAMF, bei Bundespolizei und THW, im Innenministerium und in der Bundesagentur für Arbeit begrüßt – ob sie ausreichen, werde sich erst später zeigen, weil die Stellen für die Zukunft geschaffen seien.

Der DBB-Vize weist auch darauf hin, dass „wir nicht nur Beschäftigte in der Zahl, sondern mit Kompetenz und Erfahrung benötigen“. Der große Anteil neuer, aber befristeter Stellen sei da wenig hilfreich, widerspricht Russ den Umschichtungsbestrebungen des Innenministers. Dankbar hingegen nimmt er den Beschluss des Bundestags zur Besoldungsänderung an, der die hohe Belastung etwa beim Trennungsgeld oder beim Dienst in ungünstigen Zeiten ausgleicht.

„Der Rechtsstaat wurde brüskiert“

Die Ereignisse in der Silvesternacht nennt der zweite Vorsitzende „verstörend“. „Der Rechtsstaat wurde hier brüskiert.“ Nicht die Kollegen in der Polizei seien dafür verantwortlich. „Der Staat hat das Gewaltmonopol“, so Russ. „Alle Sicherheitsbehörden müssen personell so aufgestellt werden, dass sie ihrem Auftrag nachkommen können.

Am Eröffnungsabend im „Alten Wartesaal“, gleich neben Hauptbahnhof und Dom, hatte zuvor schon die wegen der Armlänge-Ratschläge an die Frauen kritisierte Oberbürgermeisterin Henriette Reker die Silvesternacht aufgearbeitet. Es dürfe nicht sein, dass die Polizisten, die in jener Nacht eingesetzt worden seien, die Kritik einstecken müssten, mahnte auch sie. Damit die Gesetze eingehalten werden, „brauchen wir einen angemessenen Polizeieinsatz“.