Der Deutsche Beamtenbund und Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeichnen ein sehr konträres Bild von der Lage des öffentlichen Dienstes. Die SPD-Politikern versichert, der Staat sei voll handlungsfähig – die Gewerkschaft hält dagegen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Nach dem Motto „Das Maß ist voll – wir müssen raus aus dem Krisenmodus“ hat Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach eine schonungslose Schwachstellenanalyse des öffentlichen Dienstes vorgenommen. Wenn dieser kaputtgespart werde und nicht funktionsfähig sei, sei dies die größte Gefahr für den Zusammenhalt des Gemeinwesens und den Wohlstand, kritisierte er auf der Jahrestagung des Beamtenbundes, die erstmals seit drei Jahren wieder in Köln stattfindet. „Wenn die Menschen spüren, dass ihr Staat funktioniert, dann gibt es deutlich weniger Gründe als heute, einen Groll gegen diesen Staat zu hegen.“ Die fünf Millionen Beschäftigten bundesweit seien daher die „wichtigsten Demokratie-Förderer“.

 

„Machen Sie sich ehrlich gegenüber den Menschen“

Der oberste Beamtenlobbyist wirft den Dienstherrn vor, über die Defizite des öffentlichen Dienstes und der Infrastruktur sprach- und tatenlos hinwegzugehen. Die Politik solle auch nichts versprechen, was sie nicht halten könne. Beispielhaft nannte er den Ganztagsanspruch in der Grundschule. Es sei fraglich, wie der umgesetzt werden solle. „Machen Sie sich ehrlich gegenüber den Menschen“, mahnte Silberbach. „Wenn wir den Personalmangel im öffentlichen Dienst nicht stoppen, den peinlichen Digitalisierungsstau nicht auflösen, dann gibt es weniger Daseinsvorsorge.“ Die Hütte brenne „an allen Ecken“. Der Beamtenbund mahne und warne seit Jahren. „Lasst uns die Probleme zusammen lösen“, warb er für mehr Beteiligung der Arbeitnehmerseite. Doch „all das verhallt bislang weitgehend ungehört“.

1,3 Millionen gehen binnen zehn Jahren in den Ruhestand

Nach Berechnungen der Gewerkschaft fehlen dem öffentlichen Dienst mehr als 360 000 Fachkräfte, „insbesondere in den Bereichen, wo Menschen persönliche Begleitung, auch für die Lösung sozialer Probleme, benötigen“. Die Perspektive wird zusätzlich verschlechtert durch den demografischen Wandel: Mittlerweile sind 1,3 Millionen Beschäftigte 55 Jahre oder älter. Diese Menschen werden in den nächsten zehn Jahren sukzessive in den Ruhestand gehen. „Zwar zeigt die Statistik erste Erfolge der Bemühungen, vermehrt Nachwuchs und Verstärkung für den Staatsdienst zu gewinnen“, sagte Silberbach. „Von einer Trendwende sind wir aber noch weit entfernt, vielmehr stagniert die Altersstruktur auf einem äußerst problematischen Niveau.“

„Der starke Staat hat sich bewährt“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verlegte sich dennoch auf eine positive Sicht und wollte da auch kein Fragezeichen setzen: „Wir haben einen starken Staat, der sich in vielfältigen Krisen bewährt hat und seine Handlungsfähigkeit in schwierigsten Situationen bewiesen hat.“ Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nannte sie „das Rückgrat des starken Staates und die Gestalter der Zeitenwende“. Sie hätten „Herausragendes für die Demokratie geleistet“.

Mehr Härte forderte sie von den Gerichten gegenüber den Randalierern der Silvesternacht, die mit Feuerwerkskörpern und Schreckschusswaffen auf Feuerwehrleute losgegangen waren. „Die Gewaltexzesse brauchen Klartext.“ Bestehende Möglichkeiten bei der Verurteilung von Tätern müssten konsequenter genutzt werden. Geltende Strafrahmen würden von den Gerichten bisher oft nicht ausgeschöpft.

Zudem fordert sie ein schnelleres Aburteilen: „Das ist das Maß der Dinge, was wir dieser Tage brauchen.“ Junge Straftäter müssten sehr schnell merken, dass ihr Fehlverhalten empfindliche Konsequenzen habe – nur dies schaffe „Respekt vor dem Rechtsstaat“, betonte Faeser und lobte das Amtsgericht Heilbronn, das schon am vorigen Donnerstag einen 30-jährigen Tunesier zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt hatte.

„Ein Problem mit bestimmten jungen Männern“

Die Innenministerin räumt ein, dass es in Großstädten „ein Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund“ gebe. Diese verachteten den Staat, begingen Gewalttaten und seien mit Bildungs- und Integrationsprogrammen kaum zu erreichen. Dies müsse klar benannt werden, ohne Ressentiments zu schüren oder zu generalisieren. „Die Polizei muss sehr konsequent in diese Brennpunkte hineingehen“, forderte Faeser – wissend, dass Polizeiarbeit im Kern Ländersache ist.

Später setzte sich die SPD-Politikerin aber auch dafür ein, mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte in den öffentlichen Dienst zu holen – von diesen würden sich zu wenige bewerben. Deswegen wolle man nun in einer multimedialen Kampagne für die Bundesverwaltung aktiver auf diese Gruppe zugehen, um für die Arbeit beim Staat zu werben.

„Strafverfolgung findet nicht tatsächlich statt“

Silberbach hatte zuvor mehr „Umsetzungseifer“ angemahnt. „Strafverfolgung findet wegen einer total unterbesetzten Justiz – von den Staatsanwaltschaften über Geschäftsstellen und Richter bis zu den Justizvollzugskräften – nicht tatsächlich statt“, monierte er. „Überlastung und Verfristungen sind alles andere als Rechtsstaatlichkeit – der Hohn der Straftäter klingt uns allen in den Ohren.“