Keiner will statt Uli Hoeneß ins Gefängnis. Dabei muss es so schlimm gar nicht kommen, meint unser Kolumnist Oskar Beck – und nennt paar gute Beispiele.

Stuttgart - Auf gewohnt hohem Niveau habe ich neulich mit Thomas M. diskutiert. Er ist Psychiater, aber noch viel verrückter als VfB-Fan und mein treuester Leser. Wir haben uns über Gott und die Welt, über das VfB-Elend, den Präsidenten Bernd Wahler und Uli Hoeneß unterhalten, und plötzlich sagte er: „Mir wäre es umgekehrt lieber: Der Wahler geht in den Knast, und wir wären dafür Erster.“

 

Ich war empört. Doch dummerweise hatte ich am selben Abend eine Podiumsdiskussion mit dem VfB-Präsidenten, und weil man als gewissenhafter Journalist auch die unbequemen Dinge nicht unter den Tisch kehren darf, war ich gezwungen, das Gespräch ausgerechnet mit dieser Ungeheuerlichkeit zu eröffnen. Wahler hat mich kurz angestarrt mit einem Blick, der einen Ochsen töten kann, aber dann geistesgegenwärtig geantwortet: „Wenn es dem VfB hilft, würde ich mich zweieinhalb Stunden einsperren lassen.“

Dreieinhalb Jahre wären ihm aber zu viel, und man hat überhaupt den Eindruck, dass kein Mensch Uli Hoeneß beneidet um seinen Umzug in die Landsberger Festungshaft, der unmittelbar bevorsteht. Wenn man die jüngsten Überschriften liest und dazu das viele Unausgesprochene zwischen den Zeilen, ist sogar balkenhohe Anteilnahme zu spüren – beispielsweise rätselte letzte Woche die Revolverpresse, als Hoeneß den Bayernarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt aufsuchte: „Knast-Check beim Doc?“

Dahinter verbirgt sich die unverhohlene Sorge: Ist er der Hölle des Kerkers gewachsen, dem Landsberger Leben am Lech, hinter Gitterstäben, in gesiebter Luft? Diese tief sitzende Angst gehört zu den Urinstinkten der Menschheit, seit es Gefängnisse gibt – doch jede Kehrseite hat auch ihre Kehrseite, und damit kommen wir zur guten Nachricht: In mindestens drei schweren Fällen sind berühmte Sportskanonen aus der Haft stärker herausgekommen als hineingegangen.

Fangen wir mit Floyd Mayweather Jr. an, dem zurzeit besten Boxer der Welt. Er ist geprägt von einer schweren Kindheit, die sich darin äußerte, dass er einmal auf dem Arm des Vaters saß, während dem anlässlich einer kleinen Meinungsverschiedenheit gerade ins Bein geschossen wurde, und vor drei Jahren traf Floyd Jr. der nächste herbe Schicksalsschlag: Wegen häuslicher Gewalt (böse Zungen behaupten, dass seine Ex-Freundin darüber sogar ein dickes Buch schreiben könnte) bekam er drei Monate – aber die, und damit kommen wir zur hellen Seite im Tunnel der Dunkelhaft, hat er perfekt genutzt. „Ich habe im Knast herausgefunden, dass Freiheit wichtiger ist als Geld“, sagt Mayweather und will folgende Derbheiten künftig meiden wie der Teufel das Weihwasser: „Der Officer tastet dich ab und durchsucht dich, wo und wann immer er will. Er befiehlt: Zieh Dich aus! Dann musst du den Mund öffnen, deine Hoden heben, du musst hinhocken und husten.“ Nie mehr, schwört sich Floyd. Statt seiner Ex-Freundin verdrischt er jetzt lieber nur noch seine Herausforderer und ist mittlerweile der anständigste Kerl mit der weißesten Weste, die ein Mensch haben kann: 47 Kämpfe, 47 Siege.

Ähnlich erfreulich ist die Geschichte von James Scott. Über den heißt es, dass er von seinen zirka dreißig Jahren hinter Gittern keinen Tag missen möchte. In den 1970ern galt Scott unter dem großen Ali-Trainer Angelo Dundee als kommender Mann im Halbschwergewicht, doch wie andere das Rauchen nicht aufgeben können, bekam er seinen Hang zum Raubüberfall nicht in den Griff, sogar ein toter Drogenhändler soll seinen Weg gekreuzt haben. Jedenfalls trainierte er fortan hinter Gittern mit dem wegen Mordes verurteilten Mittelgewichtskönig Ruben „Hurricane“ Carter (den Denzel Washington später im Kino verkörperte), und Scott wurde dabei so stark, dass seine Kämpfe jahrelang in einem ausbruchsicheren Trakt im Staatsgefängnis in Rahway stattfanden und von NBC, CBS und HBO live für ein Millionenpublikum übertragen wurden – nach dem Schlussgong und Verlesen des Kampfurteils wurde der Einschaltquotenkönig unter dem Jubel seiner Mitinsassen im Publikum wieder abgeführt in seine Zelle.

Uli Hoeneß ist aber kein Boxer, werden die Zweifler an der Stelle jetzt vermutlich einwenden und auf ein zündendes Beispiel aus dem Fußball pochen – erzählen wir also die Geschichte vom Boss.

Helmut („Boss“) Rahn. Jeder anständige Deutsche kennt ihn. Im WM-Endspiel 1954 hat er als Held von Bern die zwei wichtigsten Tore unserer Fußballgeschichte geschossen, aber weil er nicht nur auf Rechtsaußen ein leichtfüßiger Dribbler war, fand sich dann im Essener Polizeibericht vom 28. Juli 1957 folgende Schreckensmeldung: „Morgens gegen vier Uhr fuhr ein 28-jähriger Handelsvertreter mit seinem PKW in eine Aufbruchgrube. Bei der Festnahme leistete er Widerstand durch Schläge gegen Brust und Gesicht. Der Widerstand wurde durch Boxhiebe gebrochen, der stark beschädigte Wagen durch einen Kranwagen der Feuerwehr abgeschleppt, der Führerschein eingezogen und eine Blutprobe entnommen.“

Mit Zahnbürste und Pyjama zog der Boss also um ins Gefängnis, wo er sich den Durst etwas abgewöhnt und jede freie Minute auf der Pritsche genutzt hat, um über das Wesentliche nachzudenken, also seine künftigen Laufwege im Leben und bei der nahenden WM 1958 in Schweden – dort war er dann neben Pele prompt einer der gefürchtetsten Stürmer. Nur der Bankräuber Burkhard Driest, um auch kurz ein Beispiel aus dem Nichtsport zu streifen, kam noch stärker aus dem Zuchthaus zurück, nämlich als begehrter Autor und Schauspieler, Maler und Talkshowgast, dem die Leinwanddiva Romy („Sissy“) Schneider eines Abends vor laufender Kamera beichtete: „Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sehr.“ Mit der Nacherzählung der folgenden Nacht im Hotel feierte der Ex-Knacki später weitere Triumphe – wo sich andere ihr Leben lang bei der sinnlosen Hatz nach dem Sechser im Lotto verzetteln, legte Driest den Grundstein seines Glücks sozusagen geschwind hinter Gittern.

Spätestens nach diesen Beispielen für ein Happy End nach der Haft sollte das Gefängnis seinen Schrecken verlieren, und dass man anderswo auch nicht unbedingt bequemer sitzt, weiß Uli Hoeneß selbst am besten. Als er vor Jahren von seinem Managerplatz auf der Trainerbank in den VIP-Block E, Reihe 3, Sitz 14 umzog, verriet er dem Magazin „11 Freunde“ über die Tücken der vermeintlich feinen Umgebung: „Das ist nicht immer so einfach, weil man da eine ganz andere Blickrichtung hat. Man muss sich auch mit dem einen oder anderen Zuschauer rumschlagen.“

Loge oder Landsberg – es ist so gesehen völlig wurscht, wo man sitzt.