Den Klitschkos gehen im Boxen langsam die Gegner aus. Vielleicht sollten sie sich mal im Lager der Basketballer umschauen, meint unser Kolumnist Oskar Beck. LeBron James von den Miami Heat wäre ein geeigneter Ringpartner.

Stuttgart - Mitte der 1960er Jahre hatte der Sport eine seiner besoffensten Schnapsideen: Windige Geschäftsleute wollten Muhammad Ali, den Weltmeister im Schwergewicht, gegen Wilt Chamberlain, den größten Basketballer seiner Zeit, boxen lassen – das Gemetzel kam dann aber doch nicht zustande, und Chamberlain hat überlebt.

 

Heute wäre es umgekehrt: Neun von zehn Schwergewichtler, die man gegen den Basketballriesen LeBron James in den Ring stellen würde, müsste man hinterher auf der Pritsche in die Notaufnahme tragen, sie sehr lange künstlich ernähren, und schlimmstenfalls würde so ein armer Tropf für den Rest seines Lebens eine Zahnbürste an einer Leine durch den Garten einer Pflegeanstalt ziehen und behaupten: „Das ist mein Hündchen.“

Warum wir auf so etwas kommen? Wegen Erik Spoelstra. Er ist der Trainer des berühmtesten Basketballteams der Welt, der Miami Heat, und in der NBA-Finalrunde hat er seine Superstars zuletzt motiviert mit einem Video des legendären Kampfs von Muhammad Ali gegen George Foreman. Big George war ein gewalttätiger K.-o.-Schläger, aber in einem mörderischen Gefecht hat Ali ihn im Rahmen eines Schlaghagels umgehauen – im „Rumble in the Jungle“, 1974 in Zaire. Gewaltige Tage. Grandiose Tage. Glorreiche Tage.

Jetzt kehren sie zurück. Die Geschichte wiederholt sich, aber diesmal nicht im Schwergewichtsboxen, sondern im Basketball. Vorletzte Nacht haben die San Antonio Spurs das erste NBA-Endspiel bei dem Titelverteidiger aus Miami mit 92:88 gewonnen – und wenn Tim Duncan auf LeBron James trifft, im Kampf der Giganten, ist das wie eine Reise in die Vergangenheit der Jahrhundertkämpfe, mit historischen Nächten des großen Schauspiels, der Dramen und Tragödien.

Basketball ist das neue Schwergewichtsboxen.

Anfang der Woche ging das Halbfinale zwischen Miami und den Indiana Pacers zu Ende,   und immer noch schnappt Amerika nach Luft. Sieben Spiele hat die epische Schlacht gedauert, es stand 3:3, und vieles war wie beim „Thrilla in Manila“ anno 75. In jener blutigen Nacht ist Ali gegen Joe Frazier nach der 14. Runde kampfunfähig in die Ecke getorkelt, hat seinen Trainer Angelo Dundee angefleht („Mach Schluss“), doch der meinte: „Wir warten noch“ – und im nächsten Augenblick sagte in der anderen Ecke Eddie Futch, der Trainer des halbblinden und schier bewusstlosen Frazier: „Mein Sohn, es ist genug.“ Futch warf das Handtuch, und vis-à-vis brach Ali zusammen und sagte tags darauf: „Ich habe den Tod gesehen.“

Auf jeden Fall haben 600 Millionen Menschen auf der Welt damals die unerbittlichsten Kämpfe in der Geschichte des Sports gesehen – und die Augenzeugen tragen heute noch ein Schild vor sich her: „Ich war dabei.“

Jetzt muss man beim Basketball dabei sein.

Wie vergangene Woche die deutschen Fußballer. Sie haben auf ihrem US-Trip zwei packende Spiele erlebt, von denen sie noch ihren Enkeln vorschwärmen können, aber es waren nicht ihre eigenen gegen Ecuador und die USA, sondern die von Miami gegen Indiana. In Heat-Mützen und Heat-Trikots tanzten die DFB-Kicker auf der Tribüne und skandierten: „Let’s go, Heat!“ Nur einen Weitwurf entfernt, über der Brücke, ist Cassius Clay gegen Sonny Liston einst Weltmeister im Schwergewicht geworden, hat sich fortan Ali genannt und gebrüllt: „Ich bin der Größte.“

Jetzt ist es LeBron James.

Die Basketballgiganten sind noch einen Kopf größer und ein paar Kilo muskulöser als die imposantesten Boxer, und Dwyane Wade, der Star Nummer zwei in Miami, bringt das Volk schon vor dem Spiel zum Kochen: Er hüpft wild gestikulierend ums Spielfeld, putscht die Halle auf, bis sie Feuer spuckt – und der Schlagabtausch kann beginnen. Das Spielfeld ist wie ein großer Boxring, und wenn der Schiedsrichter den rauflustigen und bis hinter die Ohren tätowierten Heat-Riesen Chris Andersen bändigen will, muss er praktisch einen Bären umarmen. Oben wird geworfen – und was zwei Meter tiefer passiert, beschrieb Indianas Center Roy Hibbert dieser Tage als „unter der Gürtellinie“.

Schwergewichtsboxen also, nur anders. Lange genug war es tot. Jahrelang haben die Amerikaner sich statt ihrer hundsmiserablen Heavyweights lieber einen mexikanischen Hahnenkampf angeschaut, in dem sich gedopte Göckel die Köpfe zerhacken – vorbei waren jedenfalls die Zei-ten, als für Norman Mailer der Weltmeister im Schwergewicht noch „der große Zeh Gottes“ war und der große Dichter wegen Ali, Frazier und Foreman bis Manila und bis nach Kinshasa flog.

Heute müsste er zum Basketball. Dort sind die neuen Helden des Sports versammelt, die lieber durch die Hölle gehen als ein Knie beugen. Das lädierte Knie von Wade müsste seit Wochen stillgelegt werden, aber mit Bandagen, die immer dicker werden, schlägt der Verwundete sich durch, streckenweise mehr tot als lebendig – wie das schwergewichtige Boxen in der Steinzeit mit Ali ist Basketball ein Kampf bis zum Ende, und schlimmstenfalls bis zur Brutalität des siebten Spiels, wie zuletzt in Miami. Da hat sich LeBron James dann die Handschuhe übergestreift, kurz danach lag Indiana k. o. im Ring, und im Vorbeilaufen hat der Ali des Basketballs noch schnell den in der ersten Reihe sitzenden Fußballstar David Beckham abgeklatscht – mit der Faust.

Früher saßen die VIPs wie Beckham beim Boxen. Heute gehen sie zum Basketball, und zur endgültigen Abrundung dieser Geschichte fällt uns soeben noch schlagartig ein: Vor Kurzem saß sogar der Box-Weltmeister im Schwergewicht persönlich in der Halle. Sucht sich Wladimir Klitschko endlich einen würdigen Gegner? Heißt sein Wilt Chamberlain womöglich LeBron James?

Es wäre im Schwergewichtsboxen der erste Jahrhundertkampf seit dem letzten Jahrtausend: Rund um die Welt würden mehr Menschen als bei der ersten Mondlandung zuschauen – und notfalls wieder den Wecker stellen auf nachts um drei.