Wer ohne gute Vorsätze ins neue Jahr geht, ist entweder selbst schuld – oder will nicht die Fehler anderer machen. Oder nimmt sich jemand Diego Maradona zum Vorbild? Eine Kolumne von Oskar Beck.

Stuttgart - Weihnachten ist aus und vorbei, das neue Jahr kommt immer näher – und verzweifelt zermartern wir uns alle den Kopf über der Schicksalsfrage: Was nehme ich mir für 2016 vor?

 

Aufgrund lückenloser Umfragen sind die Top Ten der guten Vorsätze bekannt: Weniger Stress, mehr Sport, mehr Zeit für die Familie, mehr Zeit für sich selbst, gesünder essen, abspecken, sparsamer leben, weniger Fernsehen und Internet, kein Alkohol mehr, Schluss mit dem Rauchen. Verhaltensforscher haben glaubhaft ermittelt: Jeder Mensch quält sich mit durchschnittlich zwei guten Vorsätzen über den Jahreswechsel.

Dabei macht oft nicht einmal einer Sinn.

Joe E. Lewis, der im Chicago der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein berühmter Sänger in einem Nachtclub des Gangsters Al Capone war, hat zu dem heiklen Thema einmal den gelungenen Satz beigesteuert: „Ich habe eine Diät gemacht und fettem Essen und Alkohol abgeschworen – in zwei Wochen verlor ich vierzehn Tage.“ Noch viel mehr verlor Joe durch seinen zweiten anspruchsvollen Vorsatz: Als er sich von seinem Mafiaboss lossagen wollte, überlebte er zwar mit durchgeschnittener Kehle, aber weil er auch die halbe Zunge dabei einbüßte und die hohen Töne nicht mehr gut traf, musste er seine Karriere abrupt beenden.

Vorsätze, die noch in der Neujahrsnacht gebrochen werden

Gute Vorsätze habe ihre Kehrseite. Als abschreckendstes Beispiel, und schon sind wir beim Sport, gilt der legendäre Dribbelkönig George Best, der einmal jäh beschloss, seinen zwei abscheulichsten Lastern abzuschwören, dem Alkohol und den Weibern. Das schillernde Idol von Manchester United hat dafür furchtbar bezahlt – denn es waren, verriet Georgie später, „die schlimmsten 20 Minuten meines Lebens“.

Jeder zweite Mensch, behaupten Neujahrsforscher, bricht seinen guten Vorsatz noch in der Silvesternacht – spätestens aber im März.

Trotzdem wird das Aussichtslose immer wieder versucht, auch von Sepp Blatter. Wild entschlossen schwor der Patriarch des Weltfußballs früher in diesem Jahr seiner Fifa-Ethikkommission im Kampf gegen alle korrupten Strolche seine volle Rückendeckung und Sympathie – hat den guten Vorsatz aber schlagartig aufgegeben, als sein Ethiktribunal ihn selbst zu gefühlten acht Jahren Dunkelhaft in einer Gemeinschaftszelle mit Michel Platini verurteilte, bei Wasser und Brot.

Dieses Jahr will Blatter nun genauso knallhart seinen Vorsatz durchziehen, nicht ums Verrecken zurückzutreten. Nicht mehr ans Grab seines Vaters würde er sich trauen, hat er erzählt, „was glauben Sie, was passiert, wenn ich ihm sage: ,Ich gebe auf’? Da würde er doch herauskommen.“ Mit gestrecktem Bein würde der alte Blatter den Sargdeckel durchtreten und ihm an die Gurgel springen, ahnt Sohn Sepp – und will deshalb auch im neuen Jahr eisern durchhalten, bis der Internationale Sportgerichtshof seine Achtjahressperre aufhebt und in eine Präsidentschaft für weitere acht Jahre umwandelt.

Der Kolumnist will sich Gemeinheiten verkneifen

Einen festen Vorsatz für 2016 hat auch Günter Netzer. Der Mitbeschaffer des Sommermärchens von 2006 will klagen gegen die Behauptung, er habe zu Theo Zwanziger gesagt: „Mit den 6,7 Millionen haben wir die Stimmen der Asiaten gekauft.“ Zwanziger empfahl Netzer inzwischen durch die Blume, ins neue Jahr besser mit dem Vorsatz zu gehen, keinen Meineid zu schwören.

Auch als Kolumnist schwört man sich beim Jahreswechsel die verrücktesten Dinge, sogar das künftige Verkneifen übler Gemeinheiten – aber die lobenswerte Absicht wird spätestens wieder im Keim erstickt, wenn beispielsweise Boris Becker öffentlich über den Sex erzählt, den er einmal auf einer Flugzeugtoilette genoss. Auch als Lothar Matthäus einst schilderte, dass er seiner Liebsten einen größeren und griffigeren Busen schenkte, war der Vorsatz verreckt – gezwungenermaßen schreibt man als Griffelspitzer dann so hundsgemein weiter wie davor.

Einer der besten Beweise dafür, dass gute Vorsätze für die Katz sind, ist Uli Hoeneß. Vor ein paar Jahren kündigte der Bayernboss in „Bild“ an, er wolle milde und friedfertig werden. Keine Breitseiten mehr. Kein böses Wort. Keine Kampfansagen. „Beleidigungen“, versprach er, „gibt es bei mir nicht mehr.“ Doch schon so gut wie am nächsten Tag hat ihn dann der erste Nichtsnutz wieder auf 180 gebracht und gezwungen, mit blutunterlaufenem Kopf im Rahmen des Weißglutanfalls aus allen Rohren zu schießen und als wandelnde Zeitbombe zu explodieren. So kann der beste Vorsatz vor die Hunde gehen – jedenfalls ist die Sache für Hoeneß so kläglich verlaufen wie zuvor schon einmal sein Versuch, radikal abzuspecken.

Auch Ronaldo ist an der Stelle gescheitert. Nein, nicht der schöne Portugiese, sondern der dicke Brasilianer. Der dreimalige Weltfußballer nahm letztes Jahr ein knüppelhartes Diät- und Fitnessvorhaben in Angriff so ungefähr unter dem Motto „nach dem Aufstehen um 5.45 Uhr zehn Minuten Gymnastik, zwanzig Liegestütze auf einem Arm und als Frühstück drei rohe Eier“ – er wollte täglich in Salaten stochern und sich Pfund für Pfund von der Wampe strampeln, bis ihn keiner mehr „Presswurst“ nennt und er keinem Flusspferd mehr ähnelt, sondern wieder schlank wie ein Golfschläger daherkommt. Ronaldo hätte es fast geschafft, seinen inneren Schweinehund zu bezwingen.

Die Bauchamputation des alten Zauberers

Aber muss so ein strenger Vorsatz tatsächlich sein? Dieses quälende Jogging? Keine Pralinen mehr? Die menschenverachtende Ernährung mit einem Teelöffel Honig, zwei gehackten Pistazien und drei Blatt Salbei am Tag?

Vor kurzem war zu lesen: Diego Maradona hat sich in Venezuela seinen Magen verkleinern lassen – zum zweiten Mal nach 2005. „Er ist schon wieder auf den Füßen und guten Muts“, berichtete der Chirurg Carlos Felipe Chaux kurz nach der Bauchamputation des alten Ballzauberers.

Da zeigt einer, dass es auch schmerzlos geht. Jahrelang trinkt, feiert und isst Diego, so fett es nur geht, und wenn die Lästermäuler ihn dann irgendwann wieder „Maratonna“ nennen und der gemästete Klops wieder mit einem Lastkran in die VIP-Loge der Stadien hochgehievt werden muss, ruft er halt geschwind wieder den Doktor in Venezuela an, legt sich kurz auf die Pritsche, lässt sich bei Vollnarkose den Bauch wegschneiden – und kommt hinterher wieder problemlos durch die Drehtür am Flughafen in Buenos Aires, ohne dass es klemmt.

Verständlicher Weise bewegt vor der Silvesternacht jetzt viele die Frage: warum zum Teufel sollen wir uns vornehmen, uns 2016 jeden Tag schlank zu schinden – warum lassen wir uns nicht einfach alle zehn Jahre den Magen halbieren?