Er ist ein Gefangener des Systems. Er wusste zuviel, weil er mitgemacht hat: ein unautorisierter Archivar von Leben, einer, der früher die Gespräche mitgeschrieben hat, die die Mikrofone auffingen, ein Stasi-Mann. Am Schluss gibt der Minister Leonore den Schlüssel für Florestans „Ketten“. Es ist eine Fernbedienung für das Tor zum schwarzen Quader. Akten über Akten enthält er, und eine Schreddermaschine, blaue Säcke mit zerrissenen Biografien. Wenn sich der Vorhang über den Jubel des geduckten Chors senkt, steht auf ihm Florestans Phrase „Meine Pflicht hab ich getan“.

 

Beethovens Rettungsoper, üblicherweise als tönende Feier der Humanität verstanden, wird in Stuttgart zum Abschiedsgesang auf die Utopie von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Dass es keine Dystopie wird, dagegen setzen Wieler/Morabito die handelnde Frau, Leonore, die sich zum „Töt’ erst sein Weib!“ das mit Platinenmustern bedruckte Unisex-T-Shirt ausgezogen hatte, mit stolzer Brust vor Pizarro stellte. Zum C-Dur-Getöse nun schaut sie selbstbewusst auf dem Souffleurkasten sitzend ins Publikum. Worte sind Taten, sagte Ludwig Wittgenstein. Nur Taten sind Taten, wird Leonore dagegen setzen; und oben auf der Tafel verwandelt sich der Punkt hinter dem letzten Satz der Oper in ein sich ausbreitendes Leuchten. Das Licht der Aufklärung ?

Durch diese Setzung erhält Beethovens Partitur einen neuen Wirkungsraum: Sylvain Cambreling und das fabelhaft trennscharf agierende Staatsorchester (famos das Oboensolo von Ivan Danko in der Florestan-Arie) füllen ihn aus. Die Ouvertüre litt noch unter nicht genau platzierten Akkorden, doch mit der Szene war alles da: Härte und Rauheit, Samt und Emphase, eine Musik, die nach zweihundert Jahren ungemindert fesselt, überrascht, modern ist. Wie das Stück.