Zu Beginn der achtziger Jahre wanderte der Regisseur mit seiner „Heimat“-Trilogie ins Fernsehen aus. Nun ist Edgar Reitz mit dem Film „Die andere Heimat“ ins Kino zurückgekehrt. Die StZ-Autorin Ulrike Frenkel hat sich mit ihm unterhalten.

München - Vielleicht geht das gar nicht anders, wenn man mit einem Künstler wie Edgar Reitz spricht. Man sieht währenddessen aus dem Augenwinkel jedes gelbe Blatt, das vor dem Fenster im Münchner Hofgarten vom Baum segelt. Man hört das Ein- und Ausatmen des Gegenübers. Man meint, das Ticken der Sekunden zu spüren. Es ist ein Gefühl, das der Gastwirt Rudi Molz in „Heimat 3“ so ausdrückt: „Dat kommt nie wieder.“

 

Wie die Zeit vergeht, das beschäftigt Reitz, der am Abend zuvor sein neues Werk „Die andere Heimat“ vorgestellt hat, seit Jahrzehnten. Noch bevor die amerikanischen Pay-TV-Kanäle mit ihren Serien ein großes Publikum begeisterten, hat er die lange Dauer von Alltagsgeschichten zur Grundlage seiner Arbeit gemacht. „Der Atem des epischen Erzählens ist der Atem des Lebens selbst“, sagt der 80-Jährige, während er versucht, mit einem Kaffee – „das ging bis drei“ – die Müdigkeit der vergangenen Nacht zu vertreiben. „In meinen frühen Jahren habe ich mich auch bemüht, meine Filme zu dramatisieren, wie es auf dem Markt verlangt wird. Aber immer wenn ich mich fragte, was ist denn erzählenswert, stieß ich auf Geschichten, die kein Ende hatten. Ich sah Fragmente, angefangene Optionen, und bemerkte, dass eigentlich jede Stunde unseres Lebens der Anfang eines großen Spielfilms sein könnte. Wir könnten in jeder Sekunde etwas anderes aus unserem Leben machen, aber wir tun es nicht. Diese Diskrepanz zwischen dem Möglichen und dem Realen hat mich dann mein Leben lang beschäftigt. Die Geschichten, die daraus entstehen, werden dann episch, denn in dem Moment, wo ich sie zuspitze oder überhöhe, verlieren sie jede Verbindung zum Leben.“

Präzise und eigensinnig – wie sein Vater, der Uhrmacher

Präzise, kunstfertig, stur, wie manche der Figuren aus der Simon-Sippe im fiktiven Hunsrücker Ort Schabbach, die seine „Heimat“-Saga bevölkern, hat er später aus diesen, seinen Gedanken etwas ganz Eigenes entwickelt. „Ich bin ein Handwerkerkind. Mein Vater war Uhrmacher und sagte immer, ,ob einer seine Arbeit gut macht oder nicht, das weiß er selber am besten‘. Und so weiß ich es selbst auch am besten, ob etwas gut ist, weil ich weiß, was ich kann und was ich gemacht habe. Und ich bin nicht zufrieden, wenn ich nicht alles, was ich kann, handwerklich hineingegeben habe. Da bin ich wie ein Schreiner oder ein Automechaniker.“

Das in seinem langen Leben angesammelte Können zeigt Reitz nun in seiner vierstündigen Zeitreise in ein Schabbach Mitte des 19. Jahrhunderts, als Not und Willkür zwei Brüder, Gustav und Jakob Simon, mit dem Gedanken an Auswanderung spielen lassen. Sein Meisterstück ist auf Umwegen entstanden, „während der Arbeit an ,Heimat 3‘ passierte das mit 9/11, und da wurde mir sofort klar, dass dieses Ereignis unglaublich folgenreich sein wird. Ich hatte unmittelbar danach schon ein fast fertiges Drehbuch, eine Chronik, ein Tagebuch. Aber dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, es ist bis jetzt so, dass ich noch nicht die nötige Distanz dazu gefunden habe, einen Film darüber zu machen.“ Er entschied sich stattdessen zurückzugehen, „ich wollte das Thema der Migrationsbewegungen aufgreifen, die gehören ja auch heute zu den prägenden Entwicklungen“.