Der Sänger hat eine neue CD herausgebracht und geht wieder auf Tournee – weil dieArbeit für Howard Carpendale die beste Medizin scheint, um das Leben aus- und durchzuhalten. Die StZ-Autorin Adrienne Braun hat sich mit ihm getroffen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wenn man einmal im Leben die Chance hat, sich mit Howard Carpendale persönlich zu treffen, ist es schon ein besonderer Moment. Schließlich ist er einer der ganze Großen der Musikbranche, hat mehr als 700 Lieder geschrieben und 30 Millionen Platten und CDs verkauft. Wer kennt nicht „Hello again“ oder „Ti amo“? Howard Carpendale ist einer der Populärsten der Branche. Aber jetzt sitzt da ein Mann, der den Eindruck macht, als sei ihm der Rummel zu viel. Nicht müde, aber matt. Nicht unfreundlich, aber auch nicht zugewandt. Nicht lebendig, sondern schwerfällig, fast schwermütig.

 

Howard Carpendale ist zurück. Im Oktober hat er seine neue CD „Viel zu lang gewartet“ herausgebracht. „Man kann mit 67 nicht nur Liebeslieder singen“, sagt er und schlägt in diesen neuen Liedern einen anderen Ton an: „Hab Freunde verloren und neue gewonnen“, heißt es da, „bin abgestürzt und hatte Glück“. Die Songs klingen fast altersweise, auch wenn Carpendale das Wort nicht mag und es eher als Beleidigung auffasst. Aber auch er tut sich eben schwer mit dem Älterwerden. Die Haare kann man färben, die Uhr tickt trotzdem.

Die Fans kennen die Texte schon auswendig – er noch nicht

Ohnehin hat Carpendale die neuen Lieder nicht selbst geschrieben, sondern ein ganzes Bündel an Musikern engagiert, das im kreativen Kollektiv die Songs entwickelt hat. Wenn Carpendale singt „Bei jedem Konzert fällt mir der Abschied schwer. Es ist noch lang nicht vorbei“, dann glaubt man zwar, dass er da selbst spreche. „Aber nein“, sagt Carpendale, „die Texte sind von jungen Leuten geschrieben.“ Auch das: „Ich schau in den Spiegel, alles verändert sich.“ Er muss sich an die neuen Lieder erst gewöhnen. „Bei sechs neuen Titeln braucht es eine Weile“, sagt er. Deshalb hat er bei seinem kleinen Auftritt im Erdgeschoss des Stuttgarter Fernsehturms Monitore vor sich, auf denen die Texte eingespielt werden. Die Damen in der ersten Reihe sind ihm voraus, sie können schon alle neuen Titel mitsingen, sie klatschen, und man sieht, dass sie glücklich sind. Sie haben wie rund sechzig weitere Gewinner bei SWR 4 Karten bekommen für ein kleines, exklusives Konzert. Carpendale brauchte nicht mal ein Mikrofon, so nah und intim ist es.

Da sitzt er nun entspannt im schwarzen Anzug und mit Turnschuhen auf dem Barhocker und plaudert zwischen den Liedern, macht Witze, sagt: „Wir sind in unserer Welt vielleicht ein bisschen zu egoistisch geworden“, und erzählt, dass er Glück habe mit seinen Söhnen. Wayne, der Sohn aus seiner ersten Ehe, hat als Schauspieler in der TV-Serie „Der Landarzt“ Karriere gemacht. Cass, der zweite, lebt in Amerika und programmiert Computerspiele. „Ich verstehe kein Wort davon“, sagt Carpendale kokett, „das ist mir zu hoch.“

Carpendale, der sympathische Superstar

Carpendale ist ein versierter Entertainer, der es versteht, klar zu markieren, dass er ein Superstar ist („Wenn Tausende von Menschen applaudieren, ist es schon eine tolle Sache“), dabei dennoch sympathisch herüberkommt als einer, der mit seinem Publikum auf Augenhöhe steht. Der Mann ist ein Profi, er glaubt sogar, dass sein Erfolg „nicht auf der Tatsache beruht, dass ich Musik gemacht habe, sondern meine Arbeit ist eher auf der Bühne“. Er macht eine Show – „das ist es, was ich kann und wo ich mich sehe“.

Trotzdem hat er vor zehn Jahren einen Schlussstrich gezogen und 2003 sein Abschiedskonzert in Köln gegeben. Es war keine gute Zeit für ihn. Er bekam die Diagnose multiple Sklerose. Seine Partnerin, die Amerikanerin Donnice Pierce, hatte immer schon mit dem Alkohol zu kämpfen, jetzt aber ging es ihr besonders schlecht. Und als Howard Carpendale zudem erfuhr, dass ihn ein Freund um sehr, sehr viel Geld betrogen hatte, stürzte er in eine Depression. Sechs Monate habe er nur in die Ferne gestarrt, ohne Lebensmut, ohne Vision. Sein Sohn Wayne hat ihn schließlich nach Deutschland geholt und für medizinische Betreuung gesorgt.

Der Psychologe hat ihm damals dringend geraten, wieder zu singen und aufzutreten, um nicht unterzugehen. So entschloss sich Carpendale zum Comeback, auch wenn sich die Öffentlichkeit darüber mokierte. Wer mit Getöse geht und dann so bald wieder da ist, dem wird gern Kalkül unterstellt. Carpendale scheint bis heute nicht verwunden zu haben, wie die Medien seine Lebensumstände und die Rückkehr auf die Bühne kommentierten. „Deutschland ist ein Land voller Häme“, sagt er. Vermutlich ist er deshalb so reserviert, so misstrauisch und verschlossen.

Für den Erfolg muss auch er hart arbeiten

Aber it’s business. Seit Wochen ist Carpendale unterwegs. Ob er will oder nicht, er muss Interviews geben und Auftritte bei Radiosendern absolvieren, denn selbst er, der stolz betont, dass er nach Peter Alexander und Madonna die meisten Hits in Deutschland gelandet hat, selbst er verkauft eine neue CD nur mit harter Arbeit. Denn eigentlich wollen die Fans doch nur Hits wie „Tür an Tür mit Alice“ hören. Bis auf seinen ersten Erfolg, „Das schöne Mädchen von Seite 1“, spielt er sie auf den Konzerten geduldig wieder und wieder. „Das ist ein Zeichen, dass die Leute die alten Zeiten vermissen“, sagt er. So wie er auch?

„Es ist eine verrückte Welt“, findet Carpendale, dem die neue Technik so wenig behagt wie das Zocken der Banker. „Wir müssten sagten: Stopp, lasst uns überlegen, was die letzten dreißig Jahre gebracht haben.“ Nach seinem Wegzug von Florida leben er und Donnice in der Nähe von München. Mit Kollegen aus der Branche hat er wenig zu tun. „Ich verbringe meine Zeit lieber mit Sportlern“, sagt er. Er ist bis heute ein ausgezeichneter Golfspieler.

Carpendale könnte es sich also wie andere Senioren auf dem Golfplatz gut gehen lassen. „Aber ich will nicht mit 67 in Rente gehen, sondern nach vorne schauen“, sagt er – und man ahnt, wie schwer es sein muss, nach einer solchen Karriere selbstgenügsam Ruhe zu finden. „Die Arbeit macht sehr viel Sinn und hält einen wach“, sagt er. Aber es scheint existenzieller zu sein. Musik nicht als Leidenschaft, sondern als Rettungsanker – um nicht unterzugehen. Am 31. März gastiert er in der Stuttgarter Liederhalle.