Mit „Aimée und Jaguar“ gelang ihr der Durchbruch. In ihrem neuen Film „Zwei Leben“spielt Juliane Köhler wieder das, was sie am besten kann: eine brüchige, vielschichtigeFrauenfigur. Der StZ-Autor Martin Eich ist ihr begegnet.

Stuttgart - Wer Juliane Köhler trifft, glaubt im ersten Moment, die materialisierte Verbindung mehrerer Kunstepochen vor sich zu haben. Ein langer Körper wie bei einer Giacometti-Skulptur und ein Gesicht, das einem Madonnen-Porträt von Raffael oder Tiepolo gleicht: diesseitig und doch entrückt. Wenn Köhler erzählt, wie jetzt in diesem Münchner Restaurant am St.-Anna-Platz, dann rundet es sich. Ich kann auch anders, ohne dass Worte die Botschaft noch formen müssten.

 

Tough ist die 48-Jährige, zäh, obwohl man es zunächst nicht ahnt, sondern wegen ihrer unerbittlichen Freundlichkeit in ihr eher jene Grundschullehrerin vermuten würde, die ihre Mutter tatsächlich war. Auch wenn ihr Vater in Göttingen ein Marionettentheater geleitet hat, den Einstieg in den Beruf erleichterte es ihr nicht: „Ich bin an neun Schauspielschulen durch die Aufnahmeprüfung gerasselt, Professoren haben mir geraten, Kindergärtnerin zu werden“, sagt sie.

Siebzig Bewerbungen, siebzig Absagen

Köhler ging stattdessen nach New York, ließ sich dort ausbilden. Zurück in Deutschland, bewarb sie sich bei 70 Theatern. „Und ich bekam 70 Ablehnungen. Wenn ich das damals nicht ausgeblendet hätte, würde ich heute wahrscheinlich etwas anderes machen.“ Dass es schließlich in Hannover klappte, war nicht Talent, sondern Naturell zuzuschreiben. Der Intendant Eberhard Witt hatte bereits abgesagt, als sie sich telefonisch selbst zu einem Vorsprechen einlud. „Du warst damals krottenschlecht, aber irgendwas an dir fand ich interessant“, sagte er ihr Jahre später. Da war sie bereits mit ihm nach München ans Residenztheater gewechselt, zu dessen Ensemble sie auch heute gehört.

Das heißt: wieder gehört. Die ersten Jahre in der Theatermetropole waren ein steiler Aufstieg, an dessen Ende das Zerwürfnis mit Witt stand. Als sie 1997 wegen verschobener Dreharbeiten des Films „Aimée & Jaguar“ eine Theaterprobe verpasste, kündigte er ihr. Sie zahlte eine Vertragsstrafe, gastierte in Zürich, um dann an die Münchner Kammerspiele zu wechseln. Der Erfolg gab ihr recht: „Aimée & Jaguar“ wurde zum Durchbruch und begründete ihren Ruf als Expertin für schwere Rollen („Andere Angebote bekomme ich kaum.“). Dennoch war diese Widerständigkeit nicht der eigenen Karriere, sondern der Sache geweiht – Max Färberböcks obsessives Lebe-heute-morgen-ist-es-zu-spät-Epos geriet zum Anliegen, weil Eigenschaften von Figur und Darstellerin übereinstimmten. Denn wie jene Lilly Wust, genannt „Aimée“, bereit ist, der Sache wegen Opfer zu bringen, so ist es auch Juliane Köhler. Und sei es die enge Arbeitsbeziehung zu Witt. „Bis heute haben wir keinen Kontakt mehr gehabt, leider“, sagt sie.

Glücksbringer für Produzenten und Regisseure

Mit „Aimée & Jaguar“ begann eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Das Label „made in Germany“ ist bei Kinofilmen bisweilen so rufschädigend wie bei Autos und Maschinen verkaufsfördernd. Für ihre Filme gilt das nicht: „Aimée & Jaguar“ wurde für den Golden Globe genauso nominiert wie „Der Untergang“ für den Auslands-Oscar, „Nirgendwo in Afrika“ bekam ihn. Beinahe scheint es, als ob Köhler ein Glücksbringer für Produktionsfirmen und Regisseure sei.

Die Wahrheit ist banaler: Jurys und Publikum verlangen nach schillernden Charakteren, und die Überzeugungstäterin verkörpert gerne Überzeugungstäterinnen, brüchige und vielschichtige Figuren aus Epochen, die Parteinahme nicht als Luxus, sondern als Notwendigkeit erscheinen lassen. Wie in ihrem neuen Film „Zwei Leben“, der vergangene Woche in die Kinos kam und in dem sie als ehemalige Stasiagentin zu sehen ist, die nach Norwegen eingeschleust wurde und nach der Wiedervereinigung um ihr neues Leben kämpfen muss. Hatten Köhlers frühere Filme die menschliche Expansionslust zum Thema, so widmet sich dieser dem Drang zur Introspektion: In den kargen Weiten der nordischen Landschaft wird ihre Figur mit Ängsten und Schuldgefühlen konfrontiert, die sie längst überwunden glaubte. Seine Dramatik verdankt der Film auch den realen Bezügen des Plots. Schrecken, Wut und Scham des Publikums sind echt. Sie verlöschen nicht wie sonst, wenn das Licht im Kinosaal angeht.

Sie ist eben einfach hartnäckig

Dass es den Film überhaupt gibt, ist auch ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken: „Ich saß bei wichtigen Geldgebern auf dem Sofa, und alle sagten: Lass es bleiben. Tat ich aber nicht.“ Als die Finanzierung schließlich stand, konnte „Zwei Leben“ auch in anderer Weise zu ihrem Film werden. Sie beherrscht ihn vom ersten bis zum letzten Auftritt mit einer solchen Präsenz, mit so viel innerem Ausdruck, Intelligenz und weiblichem Selbstbewusstsein, aber auch Leid und Verunsicherung eines verstrickten Menschen, dass sie ihre Figur beinahe sprengt. Die Subtilität ihrer Bewegungen ist ausdrucksstärker als alle Hilfsmittel aus der Maske.

Gut möglich, dass er so erfolgreich wie „Der Untergang“ oder „Nirgendwo in Afrika“ sein wird: „Zwei Leben“ geht ins Rennen um den Auslands-Oscar. Sollte er nominiert werden, will sie am 2. März nächsten Jahres in Los Angeles dabei sein. Anders als im Jahr 2003, als sie im letzten Moment ihre Teilnahme absagte: „Bush ist drei Tage vorher in den Irak einmarschiert, und ich bin Pazifistin. Ich konnte nicht in dieses Land reisen, nicht zu diesem Zeitpunkt“, erinnert sich Köhler.

Ob als ehemalige Stasiagentin, Hitler-Geliebte („Es kann nicht sein, dass die nur das Hascherl war, wie er sie immer nannte.“) oder als Kriminalpsychologin im Kölner Tatort: Juliane Köhler gehört im Kino wie im Fernsehen zu den großen Erzählerinnen unserer Zeit. Zu Hause, in ihrer Münchner Wohnung, steht in einem Regal zwischen Büchern die Ausbeute dieses Lebens vor der Kamera: Den Silbernen Bären der Berlinale, einen Bayerischen Filmpreis und einen Bundesfilmpreis als jeweils beste Darstellerin hat sie schon, dazu kommt noch der Bayerische Verdienstorden. Was fehlt? Der Oscar.