In Michael Verhoevens neuem Film „Let’s go“ geht es um ein jüdisches Mädchen, das im München der Nachkriegszeit groß wurde – so wie der Regisseur selbst. Die StZ-Autorin Ulrike Frenkel hat den Ehemann von Senta Berger getroffen.

Stuttgart - Wer Michael Verhoeven mit einem Tross von Schauspielern und Journalisten in der milden Spätsommersonne durch die Innenhöfe der Münchner Siedlung Borstei gehen sieht, beobachtet einen Regisseur in Aktion. Der freundliche 76-Jährige führt die Gruppe an, er weiß, was er will, und die anderen folgen ihm ganz selbstverständlich. In und um die gelben Häuser im Westen der bayerischen Hauptstadt hat er vergangenes Jahr seinen neuen Film „Let’s go“ gedreht, eine Nachkriegsgeschichte, die auf den Erinnerungen der Jüdin Laura Waco basiert. „Ich habe ihr sehr erfolgreiches Buch ,Von Zuhause wird nichts erzählt‘ aber nicht eins zu eins verfilmt“, sagt Michael Verhoeven nach dem Rundgang in einer Pilsbar.

 

„Beim Entwickeln des Drehbuchs habe ich unbewusst auch Szenen meiner eigenen Kindheit mit einbezogen. Ich war zwar schon ein bisschen älter, aber ich habe wie Laura Waco, wenn auch aus einer anderen Perspektive, dieses München, diese Ruinenstadt Ende der vierziger und in den fünfziger Jahren erlebt.“ Verhoeven wurde in Harlaching groß, „wo die Amis ihre Generäle und Offiziere unterbrachten. Sie hatten dort ein Haus für meinen Vater ausgeguckt, der ja von ihnen zum Intendanten vom Staatstheater gemacht worden war. Da musste eine Nazifamilie raus, und wir sind eingezogen“, erinnert er sich an ein Detail aus seiner Vergangenheit, das er in „Let’s go“ unterbringen konnte. „Da habe ich schon gespürt, dass das alles nicht so einfach war mit den neuen Verhältnissen für meine Familie. Die Amikinder haben mich mit Baseballschlägern bedroht und mir ,Nazi‘ nachgerufen“, und für die deutschen Kinder war ich ein ,Verräter‘, der mit Amerikanern befreundet ist.“

„Alles ist immer politisch“

So ähnlich geht es auch der kleinen Laura, die genauso sein möchte wie die anderen – „sie hat sich ja als Münchner Kindl gefühlt“ – und doch spürt, dass ihre Familie sich von den Deutschen in der Nachbarschaft unterscheidet. Wacos Kampf um die Zuneigung ihrer durch die schrecklichen Erfahrungen in den Lagern emotional unzugänglichen Eltern müsse oft schwer gewesen sein; „ich glaube, dass sie viele Dinge gar nicht wahrnehmen wollte als Kind und erst später verstanden hat“, sagt Verhoeven. Aus der Sicht des Kindes zeigt er jüdische Bräuche. „Die Familie war nicht fromm, aber sie hatten doch bestimmte Rituale übernommen.“ Ihm gefiel, dass Waco Humor zugelassen hat in ihren Erinnerungen. „Das machte mir den Zugang einfacher, Humor ist ja etwas, was ich schätze, was mir liegt.“ Das bewies das Multitalent Verhoeven unter anderem in der Serie „Die schnelle Gerdi“, die er 1989 und 2002 mit seiner Ehefrau Senta Berger in der Hauptrolle inszenierte. „,Die schnelle Gerdi‘ hat für mich die gleiche Bedeutung wie meine schwereren Sachen, und sie ist auch politisch“, sagt er. „Alles ist immer politisch, alles trägt einem System zu oder kritisiert es.“

Einen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit hat der Regisseur der „Weißen Rose“ und jüngst des Dokumentarfilms „Menschliches Versagen“ über die Arisierung jüdischen Eigentums in der NS-Zeit in seinem Lebenswerk aber schon gelegt, oder? „Ich habe mich sicher früher mit diesen Themen befasst als die meisten aus meiner Generation“, sagt Michael Verhoeven. „Wobei“, erklärt er, „ich begünstigt war durch meine Familie, weil bei uns über die Zeit des Nationalsozialismus viel gesprochen wurde. Meine Eltern haben oft erzählt, dass es in der Nazizeit in den Theatern offener zugegangen ist als in anderen Betrieben.“ Seine Familie – das war die Theaterdynastie Verhoeven, der Schauspieler und Regisseur Paul Verhoeven und die Schauspielerin Doris Kiesow sowie die Schwestern Monika und Lis. Das jüdische Schicksal habe bei ihnen auch deshalb immer eine Rolle gespielt, weil sein Vater nach dem Krieg viele jüdische Schauspieler, die aus den Lagern kamen, engagieren konnte und ihnen nahestand. „Die waren oft bei uns, und, ich weiß gar nicht, ob das pädagogisch so sinnvoll war, es gab kein Blatt vor dem Mund, wenn wir Kinder dabei waren“, erzählt er.