Nicole Heesters, derzeit am Nationaltheater Mannheim in der Titelrolle von „Bernarda Albas Haus“ zu sehen, steht seit sechzig Jahren auf der Bühne. Gefeiert wird trotzdem nicht. Der StZ-Autor Martin Eich hat die bekannte Schauspielerin getroffen.
Stuttgart - Der Anruf kommt, als dieses Porträt erst einige Zeilen lang ist. Nicole Heesters, die wenige Minuten zuvor die aus unserem Gespräch ausgewählten Zitate telefonisch autorisierte, hat etwas vergessen. Der Journalist möge, bitte schön, auf „Schmu und Lobhudelei“ verzichten, stattdessen „sachlich und stilvoll“ bleiben. Danke. Ein typischer Nachtrag für die 77-jährige Schauspielerin, der zu viel Aufhebens um Person und Lebensleistung unlieb ist – und als Arbeitsanweisung eine Herausforderung, denn unbedingt zu vermeiden sind folglich Umschreibungen wie Legende, Grande Dame, Mythos. Sie würden ohnehin nur dem Anschein nach passen. Obwohl inhaltlich zutreffend, sind sie durch inflationären Gebrauch so entwertet, dass sie einem Solitär wie Nicole Heesters nicht mehr gerecht würden.
Also, wie gewünscht, die Fakten: in Potsdam geboren als zweite Tochter von Johannes Heesters, ist ihr der Weg zur Bühne vorgezeichnet. Sie geht ihn und spielt bis heute Theater. In Mannheim verkörpert sie seit 2011 die despotische Titelfigur in Calixto Bieitos Bearbeitung von García Lorcas „Bernarda Albas Haus“, in Wien ist sie aktuell im Theater in der Josefstadt in Thomas Bernhards Stück „Vor dem Ruhestand“ zu sehen, das 1979 in Stuttgart als Kommentar zur Affäre um den damals gerade zurückgetretenen Ministerpräsidenten Hans Filbinger uraufgeführt wurde. Dieser hatte im Zweiten Weltkrieg als Marinerichter mehrere Todesurteile gesprochen.
Statuarische Würde
Die Gegenwart der Vergangenheit hatte sich wenige Jahre vor Filbingers Demission auch in Heesters Umgebung offenbart. Als ihrem Vater 1976 vorgeworfen wurde, im Krieg das Konzentrationslager Dachau besucht und vor SS-Männern aufgetreten zu sein, löste das eine familiäre Grunderschütterung aus. Wie geht man damit um? Heesters, die während unseres Treffens im Restaurant eines Mannheimer Hotels statuarische Würde ausstrahlt, legt Nachdruck in die Stimme. „Den Auftritt gab es nicht. Diese Behauptung tut weh, aber es ist sinnlos, dagegen zu kämpfen.“ Dass ausgerechnet der Holländer Johannes Heesters bis zu seinem Tode Ende 2011 unfreiwillig in die Nähe des nationalsozialistischen Regimes gerückt wurde, ärgert sie dennoch. Es gehe schließlich nicht um einen Werdegang, sondern um mehr. „Das wird immer eine Baustelle bleiben. Nicht so sehr das Leben meines Vater, sondern diese Zeit.“
Und jetzt: Mannheim und Wien, zwei Theater, zwei Dramen, ein Thema, Unterdrückung in aktiver und passiver Daseinsform. Die Zuschauer, sagt sie, reagierten darauf, vor allem auf die Wiener Inszenierung von Elmar Goerden. „Sie gehen raus, sie wollen es nicht hören, sind getroffen oder auch sehr interessiert. Das Stück lässt niemanden kalt.“ Aber auch in Teheran, wo das Nationaltheater Lorcas entlarvende Katholizismus-Dekonstruktion während eines Theaterfestivals vorstellte.