Mit seinen Fantasy- und Science-Fiction-Zyklen hat Tad Williams eine große, weltweite Fangemeinde erobert. Er findet es kein bisschen störend, dass die auch den Austausch mit ihm sucht. So wie der StZ-Autor Thomas Klingenmaier.

Stuttgart - Man soll Autoren nicht verklären, das Handwerk des Schreibens nicht unablässig zum romantischen Musenwunder stilisieren und keine verzärtelten Erwartungen an die Menschen hinter den ergreifenden Geschichten pflegen. Aber eines scheint doch klar zu sein: je mehr einer schreibt, desto mehr Ruhe braucht er. Je fremdartiger und komplexer die Welten sind, die er sich ausdenkt, desto in sich gekehrter muss der Typ sein. Schließlich gilt es, die vielen flüchtigen Ideen, die noch nicht niedergeschriebenen Einfälle beisammenzuhalten, sie vor der Zerstreuung durch äußere Einflüsse zu schützen. Wer ein großes Tablett voll loser Flaumfedern hüten muss, kann nicht draußen im Wind damit spazieren gehen.

 

Aber der Amerikaner Tad Williams, 57, einer der einflussreichsten Fantastikautoren der Moderne, vermag dieses Bild vom introvertierten Weltenertüftler nachhaltig zu erschüttern. Williams tritt bei Lesungen als Zirkusdirektor seiner selbst auf, als souveräner Präsentator einer Drei-Manegen-Show, und man muss aufpassen, dass das Gehirn nicht kniehohe Stiefel, einen Zylinder und eine Peitsche mit in die Erinnerungsbilder knüpft. Die sind in Wirklichkeit nicht da, auch wenn man sie fast schon zu sehen meint.

Williams ist mithin der ideale Mann, um zu erklären, ob neugierige Leser beim Schreiben nicht stören, mit ihren Erwartungen und Fragen aus der Ferne und ihren Foto- und Autogrammwünschen aus der Nähe. Der ideale Mann jedenfalls dann, wenn man lieber keine hingelispelte Antwort vom notwendigen Schutz der offenen Nervenenden empfindsamer Ausnahmemenschen hören möchte.

Seine Aufgeschlossenheit ist keine PR-Taktik

„Ich fürchte mich überhaupt nicht vor dem Kontakt mit meinen Lesern, nicht einmal vor dem schwierigen mit Leuten, die mir Vorhaltungen machen, denen nicht gefallen hat, wie ich einen Handlungsfaden gesponnen oder eine Figur entwickelt habe. Es freut mich, dass die Leute sich so für meine Bücher und mich interessieren. Sie stecken viel Zeit und Energie ins Nachdenken über das, was sie lesen, und bemerken dann eben auch Fehler und Nachlässigkeiten. Das spornt an.“

Spricht da der archetypische amerikanische PR-Taktiker aus Williams, der Eigenpromotor, der jeden Morgen ein paar Seiten aus Dale Carnegies Übervorteilungsbibel „Wie man Freunde gewinnt und Leute beeinflusst“ frühstückt? Nein, diesen Eindruck macht der in San Jose, Kalifornien, Geborene nicht. Seine energische Aufgeräumtheit wirkt authentisch.

„Ich bin in erster Linie Entertainer und habe schon alles Mögliche hinter mir, habe Theater gespielt, Musik gemacht, jahrelang eine Radiosendung moderiert. Ich bin garantiert kein menschenscheuer Verkriecher. Zu meiner Portion Zurückgezogenheit komme ich ganz von selbst. Ich muss so und so oft so und so lange alleine sein, um mir Bücher auszudenken und sie zu schreiben. Also freue ich mich sehr über alle Gelegenheiten, andere Menschen zu treffen. Und sie vielleicht zum Lachen zu bringen oder ihnen etwas zum Nachdenken mitzugeben.“

Engagierter Ehrengast der Dragon Days

Stuttgarter können leichter als andere bezeugen, dass Williams da nicht einfach gefällig daherredet. Voriges Jahr war der Autor des „Otherland“-Zyklus der erste Empfänger des Schwäbischen Lindwurms, des Preises des 2013 erst zum zweiten Mal abgehaltenen Fantastikfestivals Dragon Days. Dessen Kurator Tobias Wengert war vorab ein wenig in Sorge. Nach der ersten Zusage des Fantastik-Schwergewichts, den noch gänzlich unbekannten und undotierten Preis entgegenzunehmen, erwies es sich als gar nicht einfach, den Kontakt zu dem Vielbeschäftigten halten und Details zu klären. Wengert bangte, ob er überhaupt auftauchen würde.

Aber Williams erschien, und er tat mehr, als auf die Schnelle einen Preis entgegenzunehmen. Er sah sich das Festival an, sprach mit Studenten der Filmakademie und dem Publikum auf den Fluren und versprach spontan, im nächsten Jahr wiederzukommen. Immerhin, einer seiner deutschen Verlage – Klett-Cotta – sitzt in Stuttgart. Dort erscheint am 23. August auch „Happy Hour in der Hölle“, sein zweiter Noir-Krimi-Cocktail um den Engel Bobby Dollar.

Tatsächlich war er diesen Juni wieder einige Tage bei den dritten Dragon Days, hat gelesen, einen Workshop gehalten und für jeden ein offenes Ohr gehabt, der über seine Bücher sprechen wollte – oder über Computerspiele, Rockmusik und andere glücksrelevante Dinge.

Er könnte auch mit seiner Rockband touren

„Leser halten einen überhaupt nicht vom Schreiben ab“, versichert er noch einmal. „Wenn mich jemand nach all den Dingen fragt, die ich mir als Hintergrund für meine Figuren ausgedacht habe, die ich aber nicht ins Buch gepackt habe, dann freut mich das. Es zeigt mir, dass meine Erfindungen für andere so lebendig sind wie für mich selbst.“

Aber wenn die Neugier der Leser so schmeichelhaft ist, warum scheuen viele Autoren vor ihr zurück? Tad Williams hat da eine Theorie. „Ich kenne Schriftsteller, die nie etwas anderes sein wollten. Die wussten schon als kleine Kinder, als sie noch keinen  Buchstaben kannten, dass sie einmal Bücher hervorbringen würden. Für die ist Schreiben nun ihr Ein und Alles, ihre einzige Möglichkeit, mit der Welt zu interagieren, der Kern ihrer Persönlichkeit. Also sprechen sie nicht gern darüber, aus Angst, sie könnten unabsichtlich die intimsten Geheimnisse ihrer Seele preisgeben.“

Das klingt ein wenig spitz. Man ahnt, dass Williams so viel Furchtsamkeit auf die Nerven geht. Aber er ist zu freundlich, die anderen durch den Kakao zu ziehen, er betont lieber die eigene Robustheit. „Ich schreibe sehr gern. Aber ich könnte auch etwas anderes machen, wenn mir je die Worte wegblieben. Ich könnte Filmproduzent werden oder Marionettenspieler, oder ich könnte versuchen, mit meiner Rockband zu touren. Mit der ist es übrigens das Gleiche. Ich kann es gut aushalten, wenn jemand diesen lauten Rock ’n’ Roll nicht mag. Ich stecke nicht in jeder Note. Darum kann ich auch mit Lesern reden. Ich halte es aus, wenn ihnen etwas nicht gefällt.“