Eine neue Abrechnungsregelung belastet die Krankenhäuser. Matthias Einwag von der baden-württembergischen Landes-Krankenhausgesellschaft wirft der großen Koalition vor, an der falschen Stelle sparen zu wollen.

Berlin - Pro Patient 300 Euro: diese Summe soll eine Klinik nach dem Willen der Großen Koalition einbüßen, wenn ein Patient nicht rasch entlassen wird. Das dürfe nicht sein, weil es zu unmenschlichen Situationen führen könne, sagt Matthias Einwag im Interview mit unserer Zeitung. Einwag (53) ist seit 2008 Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhaus-Gesellschaft – einem Zusammenschluss, dem 202 Krankenhäuser, 131 Vorsorge- und Reha-Einrichtungen sowie Pflegeheime und ambulante Pflegedienste angehören.

 
Matthias Einwag ist Hauptgeschäftsführer der Krankenhaus-Gesellschaft in Baden-Württemberg Foto: BWKG/KD Busch

Herr Einwag, Sie fürchten, dass die Krankenhäuser in Baden-Württemberg etwa 60 Millionen Euro im Jahr verlieren werden. Warum ist das so?

Die Krankenkassen im Land prüfen jährlich etwa 300.000 Mal, ob sie Einwände gegen die Rechnung haben, die eine Klinik ihnen für die Behandlung eines Patienten schickt. Wenn es Einwände gibt, können die Kassen die Rechnung kürzen. Und die Große Koalition hat nun festgelegt, dass die Krankenkassen in diesem Fall pro Patient zusätzlich mindestens 300 Euro streichen können. Allein dadurch kann es zu Mindereinnahmen von 60 Millionen Euro kommen. Was mich aber noch mehr umtreibt, ist etwas anderes: Diese Regelung wendet sich gegen die Patienten selbst.

Warum?

Die Kassen kürzen die Vergütung häufig in den Fällen, in denen sie meinen, dass jemand zu lang in einer Klinik war. Das lässt sich vielleicht abstrakt am grünen Tisch und allein aus Kenntnis der Krankenakte so sagen. In Wahrheit geht es aber um Menschen, für die die Ärzte und Pflegekräfte eine besondere Verantwortung spüren und die sie auch erfüllen wollen.

Was heißt das konkret?

Ich schildere Ihnen das an Beispielen, die sich genau so zugetragen haben. So wurde im Klinikum Mittelbaden eine 77 Jahre alte Dame wegen einer Bauchwandhernie operiert. Weil sie auch über Knieschmerzen klagte, wurde das Knie geröntgt, wobei sich zeigte, dass ihre Kniescheibe gebrochen war. Das musste natürlich behandelt werden, sodass die Dame neun Tage in der Klinik war. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) meint, dass das zu lang war – ganz so, als hätte es die weitere Diagnostik und Behandlung nicht gebraucht.

Und in einem solchen Streitfall mit dem MDK werden künftig die 300 Euro quasi als Strafe fällig?

Richtig. Erst wird die Rechnung gekürzt und dann werden zusätzlich noch 300 Euro oder mehr abgezogen. Zehn Prozent dessen, was ein Haus aus Sicht des MDK zu viel abrechnet, soll der MDK zusätzlich kürzen. Wenn das mehr als 300 Euro ausmacht, gilt dann dieser Betrag.

Dass der MDK die Klinikabrechnungen prüft, ist nichts Neues. Immerhin sind die Kassen gehalten, genau zu schauen, was mit dem Geld ihrer Versicherten passiert.

Gegen diese Prüfung ist prinzipiell nichts einzuwenden. Nur leider hat sich das arg verhärtet, sodass es oft schwer ist, fair und sachlich zu besprechen, warum eine Klinik in einem bestimmten Fall welche Behandlung in welcher Zeit gemacht hat. Deshalb war ich eigentlich froh, dass die Große Koalition in ihrem MDK-Reformgesetz sinnvolle Änderungen anpackt, damit es künftig weniger Streit gibt.

Bisher zeigte sich aber oft, dass die Einwände der Kassen berechtigt waren.

Aber genauso oft eben auch nicht. Nur wird mit der 300 Euro-Strafe, die dem Grundgedanken des Reformgesetzes zuwiderläuft, nichts Gutes erreicht, sondern der Streit wieder angefacht. In den Kliniken des Kreises Lörrach gab es den Fall, dass ein dementer, alkoholkranker Mann, der leider verwahrlost war, längere Zeit stationär und dabei zeitweise auch auf der Intensivstation versorgt wurde. Es war ganz schwer, für ihn eine geeignete Pflegeeinrichtung zu finden. Das dauerte seine Zeit, sodass der MDK 29 Behandlungstage nicht anerkannte. Er hätte den Mann in seine vermüllte Wohnung zurückgeschickt. Aber das darf natürlich nicht sein. Das wäre für ihn schrecklich gewesen – und schrecklich auch für die Mitarbeiter des Klinikums, die dann ihrer Verantwortung für diesen Mann nicht gerecht geworden wären.

Sie sagen, es sei schwer gewesen, eine geeignete Pflegeeinrichtung zu finden. Kommt das häufig vor?

Leider ja. Oft fehlen Plätze in der Kurzzeitpflege oder im Pflegeheim oder der ambulante Pflegedienst kann niemanden mehr zusätzlich aufsuchen. Manchmal ist auch die Reha-Klinik voll belegt und hat erst ein oder zwei Wochen später einen freien Platz. Dann kann das Krankenhaus jemanden ja nicht einfach auf die Straße setzen. Das wollen wir auf keinen Fall. Wir erwarten dann aber, dass wir dafür dann nicht finanziell bestraft werden. Die Regel mit den 300 Euro sollte die Große Koalition also umgehend streichen.