Die „personalisierte Medizin“ schneidet die Therapie von Depressionen anhand von speziellen Gentests auf den einzelnen Patienten zu.  

Stuttgart - Allein die Behandlung von Depressionen kostet jährlich mehr als fünf Milliarden Euro, so der Gesundheitsreport des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2011. Viel Geld bei der Versorgung von Patienten mit psychischen Störungen wird dabei immer wieder in erfolglose Behandlungen gesteckt. Denn nicht alle Patienten sprechen auf die gleichen Medikamente oder Therapien an. Die sogenannte personalisierte Medizin geht daher einen anderen Weg. Sie will die Behandlung auf den individuellen Patienten zuschneiden.

 

Im Fall von Depressionen wirken Psychopharmaka nur bei etwa 40 bis 60 Prozent der Betroffenen. Ein Problem bestehe darin, dass die Diagnose heutzutage nur anhand von Symptomen gestellt werde, kritisiert Florian Holsboer. Für den Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München gibt es nicht die eine Depression. "Bei Depression kann man durchaus zwei Patienten vor sich haben, die zwar hinsichtlich der klinischen Symptomatik identisch sind", erklärt Holsboer, dennoch wirke bei dem einen ein anderer Krankheitsmechanismus als bei dem anderen. "Deshalb wird der eine besser auf Medikament A, der andere besser auf Medikament B ansprechen, weil sich die verschiedenen Antidepressiva in Nuancen unterscheiden", so Holsboer. Die Medikation bleibe zumeist der subjektiven Intuition des Arztes überlassen.

Konzentration auf das Stresssystem des Menschen

"Die personalisierte Medizin hingegen definiert anhand von Gentests und sogenannten Biomarkern Untergruppen von Patienten, die hinsichtlich des krankheitsverursachenden Mechanismus in etwa gleich sind", erläutert der Psychiater Holsboer. Für diese Gruppen könne man in Zukunft gezielt spezifische Medikamente oder bestimmte Kombinationen bereits zugänglicher Medikamente verordnen.

Bei seiner Suche nach messbaren Biomarkern konzentriert sich Holsboer auf das Stresssystem des Menschen. Die Stresshormonachse vieler Patienten mit Depression ist hyperaktiv. Aus diesem Grund entwickelte Holsboer mit Kollegen eine Art Stresstest, den sogenannten Dexamethason/CRH-Test, der die Stresshormonaktivität abbildet. "Bleibt die Stresshormonachse trotz laufender Behandlung überaktiv, ist die Prognose ungünstig", erklärt Holsboer. Ein solcher Biomarker könne helfen zu entscheiden, welche Patienten von der Therapie profitieren werden.

Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie

Wie wichtig die individuellen Unterschiede von Patienten auch bei der Entwicklung von neuen Medikamenten sind, erlebte Holsboer bei der Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie. "Da wir in der klinischen Forschung bei einigen Patienten mit Depression erhöhte Konzentrationen des Stresshormons CRH im Gehirn nachweisen konnten, versuchte die Pharmaindustrie sogenannte CRH-Rezeptor-Blocker als Einheitsmedikamente zu entwickeln." Doch der Versuch scheiterte bisher, denn viele Probanden reagierten nicht auf das Einheitsmedikament.

Holsboer selbst war davon nicht überrascht. Die Blocker könnten nur bei denjenigen wirken, die tatsächlich eine erhöhte Konzentration des Stresshormons in bestimmten Hirnarealen hätten. Der Forscher machte sich daher auf die Suche nach einem Labortest, um genau diese Patientenuntergruppe zu bestimmen. Er wurde im Schlaf fündig. Bei Menschen mit Depressionen sind die Traumschlafphasen, die Phasen des sogenannten Rem-Schlafs, viel stärker ausgeprägt als bei gesunden (die Abkürzung Rem steht für "rapid eye movement", zu deutsch: schnelle Augenbewegungen). Patienten mit übermäßigem Rem-Schlaf vor der Behandlung profitierten am meisten von der Therapie mit den Blockern. Der anomale Rem-Schlaf könne demnach dazu dienen, einen gesteigerten Stresshormonwert im Gehirn festzustellen und damit genau die Patienten zu ermitteln, die auf die Blocker ansprechen werden, sagt Holsboer.

Wirkungslose Behandlungen können vermieden werden

Auch bei der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wirkt das häufig verschriebene Medikament Ritalin in 20 bis 40 Prozent der Fälle nicht. Das ist auch kein Wunder, denn die Störung erweist sich - ähnlich wie die Depression - als äußerst heterogen. Vergleicht man die Hirnstrommuster von Betroffenen mit denen von gesunden Personen lediglich statistisch, scheinen die Patienten mit ADHS alle eines gemein zu haben: bei ihnen dominieren langsame Hirnwellen, die mit einem Zustand des Verträumtseins einhergehen. Das schien lange Zeit ins Bild des unaufmerksamen ADHS-Patienten zu passen. Doch schaut man sich die Hirnwellen der Individuen an, offenbaren sich große Unterschiede zwischen den Betroffenen.

Forscher um den Psychologen Martijn Arns von der niederländischen Universität Utrecht unterscheiden daher in ihrer Arbeit differenzierter als üblich die Hirnstrommuster von individuellen Betroffenen. Wie sie mittels eines Konzentrationstests herausfanden, profitierten nur die Patienten von einer Behandlung mit Ritalin, bei denen tatsächlich die "verträumten" langsamen Hirnwellen erhöht waren. Bei den einzelnen Untergruppen von Betroffenen liegen der psychischen Störung offensichtlich unterschiedliche Mechanismen zugrunde, sagen die Forscher. Dies könne in Zukunft helfen zu entscheiden, welche Patienten tatsächlich auf eine Behandlung ansprechen werden. Langwierige und kostspielige, aber wirkungslose Behandlungen könnten so vermieden werden.

Personalisierte Medizin

Herausforderung: Ein Problem für die Personalisierte Medizin stellt das komplexe Zusammenspiel von Genen und Umwelt dar. Das heißt, es genügt nicht, anhand des genetischen Profils eines Patienten die Therapie festzulegen, denn das Wechselspiel zwischen Erbgut und Umwelt ist dynamisch. "Ein Patient, der früher gut auf ein Medikament ansprach, muss in der akuten Krankheitsepisode noch lange nicht wieder genauso gut auf das Präparat reagieren", sagt der Psychiater Florian Holsboer.

Biomarker: Nach Holsboer muss die Forschung sogenannte Biomarker suchen, die gleich einem "Schnappschuss" die momentane biologische Situation des Patienten darstellen. Daran können sich die behandelnden Ärzte besser orientieren.