Die Stadt beschließt eine Charta für die Gleichstellung Behinderter, während eine Behindertengruppe bei der Stadt um Geld bettelt – bisher vergeblich.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Papier ist geduldig. Drei Seiten umfasst die Erklärung, mit der die Gemeinderäte sich zu den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention bekennen, einschließlich des Satzes: „Die Landeshauptstadt Stuttgart nimmt das Gesetz zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sehr ernst.“ Als ob Gesetze vage Empfehlungen wären, die andere Städte amüsiert beiseite legen.

 

Verschickt ward das Papier am 3. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung. An dem hatte der Gemeinderat sein sogenanntes Leitbild zur Inklusion verabschiedet und bekräftigt, die UN-Behindertenrechtskonvention verwirklichen zu wollen. Die Information der Öffentlichkeit schien so dringlich, dass die Mitteilung noch um 19 Uhr als Nachtrag zum städtischen Pressedienst herausging.

„Keine Unterstützung für das inklusive Theater

Zweieinhalb Stunden zuvor, ziemlich genau zu der Zeit, als der Gemeinderat tagte, verschickte Axel Clesle seine Sicht auf die Mühen der Stadt um die Teilhabe Behinderter: eine Petition. „Stuttgart braucht Rap-Soden. Keine Unterstützung durch den Gemeinderat für das inklusive Theater“, ist sie überschrieben. Der zweite Satzteil ist als Vorwurf zu verstehen. Die Rap-Soden sind eine Theatergruppe, in der Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam spielen. Rund 50 Frau und Mann standen beim vorerst letzten Stück auf der Bühne, das im Theaterhaus Premiere feierte.

Clesle leitet die Gruppe. Er ist wohlbekannt bei allen Stellen, die im Rathaus über Zuschüsse für Kultur oder Soziales entscheiden. Jahr um Jahr kratzt er aus verschiedensten Fördertöpfen das Geld zusammen, um die Kosten für die Proben und Auftritte der Rap-Soden zu bezahlen. Zu den aktuellen Haushaltsberatungen hegte er die Hoffnung, dass mit ihnen das Betteln ein Ende haben würde. Die Chancen auf eine dauerhafte Förderung schienen so gut wie nie. Die Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann hatte ihm öffentlich ihre Hilfe zugesagt. Clesle hatte bei Stadträten aller Fraktionen für sein Anliegen geworben. Selbstredend hatte ihm niemand erklärt, seine Theatergruppe brauche kein Mensch, im Gegenteil. Allenthalben ward ihm Wohlwollen zugesagt.

An die Zusage gehalten hat sich ausschließlich die Fraktionsgemeinschaft SÖS Linke Plus. Sie hatte während der Haushaltsberatungen beantragt, den Rap-Soden 25 000 Euro jährlich aus der Stadtkasse zukommen lassen. Zustimmen mochte dem aber nur die SPD. Allen voran die schwarz-grüne Haushaltskoalition wollte über ihre eigenen Vorschläge hinaus keine weiteren Ausgaben billigen. Daran änderten auch Eisenmanns neuerliche Bitten nichts.

Die bisherigen Antworten sind Kanzleitrost

Am 18. Dezember ist die letzte Chance für einen Stimmungsumschwung. An dem berät der Gemeinderat den städtischen Etat für die nächsten zwei Jahre zum dritten und letzten Mal. Im Gegensatz zu den bisherigen Beratungen ist bei dieser die Öffentlichkeit zugelassen. „Wir sind immer noch dabei, die Gemeinderäte zu bombardieren“, sagt Clesle – mit Bittschriften. Nach ihm haben auch Mitglieder seines Ensembles begonnen, für die Rap-Soden bei den Kommunalpolitikern zu werben. Die bisherigen Antworten sind aber allenfalls als Kanzleitrost zu verstehen.

Um die Ernsthaftigkeit Stuttgarts beim Bemühen um die gleichberechtigte Beteiligung Behinderter zu verdeutlichen, hatte das Sozialamt acht Arbeitsgruppen 26 Mal tagen lassen. Die Breuninger-Stiftung moderierte. Eingeladen waren vor allem Betroffene. 250 Menschen diskutierten, was sich ändern muss in der Stadt, damit jeder sich in ihr gleich wohl fühlt.

Mit der Verwirklichung der ersten Ergebnisse aus den mit Bürgerbeteiligung organisierten Runden soll im nächsten Jahr begonnen werden. „Ziel war es, zunächst jene Aufgaben zu identifizieren, die am dringlichsten sind“, ist in jenem dreiseitigen Papier vermerkt. Vier von ihnen sind als Auswahl aufgelistet, darunter eine Forderung der Arbeitsgruppe Freizeit und Kultur: „Förderung kleinerer inklusiver Projekte, die nach den bestehenden Richtlinien nicht gefördert werden können, durch die Kulturverwaltung mit 20 000 Euro jährlich.“