Wegen seiner Behinderung wurde Niko Daoutis immer wieder ausgelacht und beleidigt. In einem offenen Brief hat er für Verständnis und ein friedliches Miteinander geworben – mit überraschender Resonanz.

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Backnang - Als einige Jugendliche sich auf der Straße über seinen behinderten Bruder lustig machten, hatte Niko Daoutis endgültig genug. „Da dachte ich mir, dagegen musst du was machen“, erzählt der 33-Jährige, der bei den Backnanger Werkstätten der Paulinenpflege Winnenden in der Hauswirtschaftsabteilung tätig ist. Niko Daoutis ist selbst lern- sowie leicht geistig behindert und hat immer wieder erlebt, dass ihn fremde Menschen auf der Straße beleidigen oder anpöbeln. „Ich stottere manchmal, da haben mich Jugendliche dann auch schon ausgelacht – einfach so“, berichtet der Mann mit dem wachen Blick empört. „Das tut weh.“

 

Aufgrund dieser Erfahrungen hat Daoutis einen offenen Brief an seine Mitmenschen verfasst. „Liebe Menschen da draußen, wir sind circa 13 Millionen Menschen mit verschiedenen Behinderungen und gehen trotzdem arbeiten in verschiedenen Behindertenwerkstätten und Firmen und verdienen normal unseren Lohn. Die normalen Menschen respektieren uns nicht, weil sie kein gutes Herz haben, sondern einen Hass auf uns haben. Darum lachen sie uns aus, und das tut uns allen sehr weh. Wir können nichts dafür, dass wir so von Gott auf die Welt gekommen sind“, heißt es darin unter anderem.

Daoutis will kämpfen

Daoutis arbeitete rund vier Monate an seinem Text. Dann zeigte er die zwei handgeschriebenen Seiten der Referentin einer Lesegruppe der Lebenshilfe Rems-Murr, die er in seiner Freizeit besucht. Über sie gelangte der Brief an die Öffentlichkeit; die „Backnanger Kreiszeitung“ berichtete darüber. Anfang März postete die Paulinenpflege den Bericht im Internet auf ihrer Facebook-Seite. Niko Daoutis wirkt noch immer ein wenig überrascht, wenn er von den vielen positiven Reaktionen in dem sozialen Netzwerk berichtet. Zahlreiche Menschen lobten dort seinen Mut und seine klaren Worte. „Ich war sprachlos und hätte fast geheult. Das war schon etwas Besonderes“, erinnert sich der 33-Jährige, der sich auf der Facebook-Seite der Paulinenpflege für die positiven Rückmeldungen bedankt hat. Auch auf der Straße werde er immer wieder auf seinen Text angesprochen. „Dann sagen die Leute zum Beispiel, ich soll nicht aufgeben und weitermachen. Das freut mich sehr.“

Ans Aufgeben denkt Daoutis ohnehin nicht – im Gegenteil. Er plant, ein Buch zu schreiben, um anderen Menschen einen Einblick in sein Leben zu geben. „Es macht mir Spaß, für uns zu kämpfen“, sagt er mit fester Stimme. Denn andere behinderte Menschen in seinem Umfeld hätten ebenfalls Anfeindungen erlebt.

Stärker von Beleidigungen betroffen

Ob derartige Vorfälle zugenommen haben oder nicht, lässt sich schwer sagen – konkrete Zahlen gibt es nicht. „Man kann aber wohl davon ausgehen, dass behinderte Menschen insgesamt stärker von Häme und Beleidigungen betroffen sind als andere. Das betrifft letztlich alle, die von der Mehrheit nicht als ‚normal‘ betrachtet werden“, sagt Ingo Pezina, der Geschäftsführer des Landesverbandes Baden-Württemberg der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung. „Deshalb arbeiten wir daran, dass das Zusammensein von Menschen mit und ohne Behinderung als normal erlebt wird.“

Dafür setzt sich auch Niko Daoutis mit großer Leidenschaft ein. „Wir hoffen, dass wir euch mit diesem Bericht die Augen geöffnet haben und etwas von unseren Problemen nähergebracht haben und dass ihr uns jetzt besser verstehen könnt“, schrieb er in seinem Appell. Inzwischen hat er den Eindruck, dass seine Worte etwas bewirkt haben: Seit der Veröffentlichung sei es ruhiger geworden. Anfeindungen erlebe er nicht mehr, wenn er in Backnang unterwegs sei, wo er bei seinen Eltern lebt. „Ich glaube, dass sich etwas verändert hat“, fasst er seine Beobachtungen zusammen.

Mit seinem Wunsch nach einem friedlichen Miteinander ist es ihm aber nach wie vor sehr ernst: „Wenn wir dasselbe tun würden wie diejenigen, die über uns lachen, dann wären wir nur noch Feinde – das bringt doch nix. Es wäre viel besser, wenn wir aufeinander zugehen und einander helfen. Ich wünsche mir von Herzen eine Welt ohne Streit, aber es liegt an uns allen, ob das klappt oder nicht“, sagt Daoutis.