Eine lange Wartezeit auf dem Bürgerbüro ist besonders im Hochsommer anstrengend. Doch bis es eine digitale Verwaltung in Stuttgart gibt, könnte es noch dauern.

S-Mitte - Der Automat im Bürgerbüro Mitte an der Eberhardstraße spuckt bei einem Selbstversuch eine Wartemarke aus, die für Überdruss sorgt. Ein Sachbearbeiter ist ihr zufolge erst in 70 Minuten frei. Viele Bürger schauen immer wieder nervös zwischen den Marken in ihren Händen und den Anzeigetafeln hin- und her. Am darauf folgenden Montag beträgt die Wartezeit laut neuer Marke immerhin nur 30 Minuten. Die Stimmung im Wartesaal scheint entspannter.

 

Geht es nach dem Gesetzgeber, dürfte das Warten auf Ämtern von 2022 an viel seltener werden. Das sogenannte Onlinezugangsgesetz sieht vor, dass Bund, Länder und Kommunen 575 Verwaltungsleistungen bis 2022 zur digitalen Erledigung anbieten. Damit würde die Notwendigkeit für einen Gang in das nächste Bürgerbüro weitaus seltener bestehen. Das Vorbild für das sogenannte E-Government ist Estland. In dem baltischen Staat können Bürger schon mehr als 600 Verwaltungsgänge online erledigen. Jeder Bürger besitzt eine eigene elektronische Identität. Estland nutzte die Chance, die sich nach seiner Unabhängigkeit von der UdSSR 1991 ergab. Statt einfach das Verwaltungsprozedere westeuropäischer Staaten zu kopieren, setzte das nordosteuropäische Land früh auf Digitalisierung. Es mauserte sich so zu einem internationalen Beispiel für eine kosteneffiziente Verwaltung, die ihren Bürgern Behördengänge erspart.

Stuttgart hat es schwerer als Estland

Hans-Henning Hall, Leiter der Abteilung eGovernment bei der Stadt, stellt klar, dass Stuttgart in absehbarer Zeit nicht Estland sein wird. Der Grund klingt banal. „Stuttgart ist eine Stadt und kein Land, das die Dinge für sich alleine regeln kann“, meint Hall.

Die Landeshauptstadt Baden-Württembergs ist eingeflochten in ein Netz von Abhängigkeiten innerhalb der föderalen Ordnung der Bundesrepublik. „Ich bezweifle, dass wir 2022 schon in Deutschland so weit sind, wie es das Onlinezugangsgesetz vorsieht“, sagt Hall.

Einheitliches Register fehlt

So gebe es in Deutschland anders als in Estland kein einheitliches Register, in dem sich die Bundesbürger elektronisch eintragen können. Die Kosten einer Umstellung auf eine elektronische Verwaltung seien für eine Kommune auch nicht zu unterschätzen, meint der Leiter der Abteilung eGovernment. „Dafür braucht es mehr IT-Fachkräfte“, sagt er. Die Stadt hat jüngst ihre Bestrebungen in einer Digitalisierungsstrategie gebündelt. Ziel von „Digital MoveS“ ist es laut Verwaltung, dass der Umgang mit den Behörden irgendwann einmal so funktioniert wie die Angebote privater Firmen – dank Digitalisierung unabhängig von der Tageszeit. Um dies zu erreichen sollen mit einem Budget von 16 Millionen Euro 98 Stellen geschaffen werden. Darüber muss noch der Gemeinderat befinden.

Hall zählt auf, wo die Digitalisierung der Stuttgarter Verwaltung bereits Realität ist. „Beim E-Payment waren wir schon lange vorne mit dabei“ sagt er.

Förderanträge sollen online gestellt werden

Die Stadt habe derzeit mehrere Projekte in der Pipeline, erklärt Hall. Er nennt Förderanträge für die Bonuscard als Beispiel. Das Problem beim digitalen Stellen von Anträgen sei derzeit, dass im Schriftverkehr mit der Verwaltung persönliche Unterschriften oft als unabdingbar gelten. Bei Anträgen auf die Bonuscard könne auf eine Unterschrift verzichtet werden, meint Hall. Außerdem existierten Verfahren der digitalen Signatur etwa über die elektronische Identifikationsnummer in mit einem Chip versehenen Personalausweisen. „Viele Menschen kennen die Funktion nicht und nutzen sie deshalb auch nicht“, sagt Hall.

Laut Auskunft der Stadt sind auch die Verwaltungsleistungen Abmeldung ins Ausland, Meldebescheinigung, Anmeldung eines Hundes und die Wohnungsgeberbescheinigung in Vorbereitung für eine digitale Erledigung. Weitere Services würden folgen, heißt es.

Hall sieht Bedarf bei den Bürgern

Dass in Deutschland die Digitalisierung nicht vorankomme, weil die Bevölkerung den gläsernen Bürger fürchte, glaubt Abteilungsleiter Hall nicht. „Wenn die Bürger Vorteile sehen, dann nutzen sie die digitalen Wege “, sagt er.

Die Stuttgarterin Edeltraud Hollay sieht das nach Erledigung ihres Gangs zum Bürgerbüro Mitte anders. Sie habe 45 Minuten warten müssen, sich aber über den freundlichen Service der Amtsmitarbeiter gefreut. Der persönliche Kontakt sei ihr wichtiger als etwas Zeitersparnis. „Ich warte lieber ein bisschen, als am Rechner zu sitzen. Ich bin eben kein Online-Mensch“, sagt Hollay.