Bei Großschadensereignissen „Demenzkranke rufen keine Hotline an“

Für viele ist die Sammelunterkunft erst mal eine Anlaufstelle. Für pflegebedürftige und demenzkranke Menschen ist die Situation dort schwierig. Foto: dpa/Jason Tschepljakow

Es reiche nicht, alte und pflegebedürftige Menschen bei Katastrophenereignissen an einen trockenen Ort zu bringen. Susanne Scheck, Landesvorsitzende des Landespflegerats, fordert, deren Bedürfnisse besser zu berücksichtigen.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Hochwasser- und Schadensereignisse werden zunehmen, und zugleich gibt es immer mehr alte Menschen. Besonders ihre Bedürfnisse müssen bei möglichen Evakuierungen berücksichtigt werden, sagt Susanne Scheck, die Landesvorsitzende der Pflegekammer und Vorständin der Württembergischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz. Demenzkranke brauchen pflegerische Hilfe in Sammelunterkünften. Besonders an die alten Menschen, die allein zu Hause leben, müsse in Katastrophen gedacht werden, fordert Scheck und berichtet, wie die Rotkreuzschwestern im Ahrtal im Einsatz waren.

 

Frau Scheck, was haben Sie gedacht, als Sie beim vergangenen Hochwasser die alten Menschen auf den Evakuierungsbildern aus Bayern und Baden-Württemberg gesehen haben?

Mir ist aufgefallen, dass wir noch nicht viel weiter sind als 2021 in Euskirchen, wo wir Rotkreuzschwestern im Einsatz waren. Es ist nach wie vor so, dass die Notsituation der pflegebedürftigen Menschen nicht richtig mitgedacht und deren Hilfebedarf nicht richtig erkannt wird. Wenn ich an die Bilder aus einer Turnhalle in Bayern denke, kamen mir die Menschen dort sehr einsam und verlassen vor und ich glaube, nicht wirklich gut versorgt. Menschen, die einen hohen Pflegebedarf haben oder demenziell erkrankt sind, sind in solchen Sammelunterkünften nicht adäquat untergebracht.

Sie brauchen mehr als einen Platz im Trockenen und in Sicherheit?

Ja. Aber das ist gar niemandem gegenüber böse gemeint, wenn es nicht so ist. Es geht darum, die Menschen erst mal schnell irgendwo hinzubringen, wo sie in Sicherheit sind. Aber danach muss es weitergehen. Man muss schauen, wie sie gut versorgt sind. Dabei ist die Pflegeexpertise gefragt.

Wir sprechen nicht von rüstigen Pensionären, sondern von Menschen, die extrem auf fremde Hilfe angewiesen sind. Muss die Begleitung nicht schon viel früher ansetzen? Dann nämlich, wenn ein dementer Mensch sein Zimmer räumen muss.

Da fängt es schon an. Daran zu denken, dass da ganz viele Ängste und Unsicherheiten bei den älteren Menschen hochkommen. Im Ahrtal wurde eine Hotline eingerichtet, bei der man sich melden konnte, wenn man Unterstützung braucht. Schon das hat nicht funktioniert, weil die hochaltrigen Menschen nicht angerufen haben. In den Notunterkünften hat man sich dann gefragt, wo eigentlich die älteren Menschen sind. Daraufhin sind die Rotkreuzschwestern mit einem Rucksack von Haus zu Haus gelaufen und haben angeklopft, haben Nachbarn gefragt, wo alte Menschen wohnen. So haben wir dann erst die Menschen gefunden, die wirklich Hilfe brauchen, die nicht kommen können, wenn man eine Essensausgabe aufmacht.

Die allein Lebenden, die nicht im Pflegeheim sind.

Ja, das ist die vulnerabelste Gruppe. Oft kommen die Angehörigen oder der ambulante Pflegedienst nicht mehr zu ihnen hin. Im Ahrtal war das so. Die waren oft mit sich selbst beschäftigt. Auf die Hilfe für diese Bevölkerungsgruppe müssen wir uns viel besser vorbereiten. Diese Bevölkerungsgruppe hat so richtig gar niemand auf dem Schirm.

Die baden-württembergische Landesregierung hat jetzt eine Initiative inklusive Katastrophenvorsorge gestartet, da heißt es, es gehöre zu den Kernaufgaben des Katastrophenschutzes, gerade vulnerable Gruppen besonders in den Blick zu nehmen und ihnen besonders zu helfen. Ist das nicht der richtige Schritt?

Auf jeden Fall. Die Kampagne wurde von der Landesbehindertenbeauftragten initiiert. Es wurde an viele vulnerable Gruppen gedacht. Gefehlt hat jedoch der Landespflegerat. Es hätte sich angeboten, uns genauso wie den Landesseniorenrat anzusprechen. Auch die Pflegebedürftigen und ihre Bedürfnisse müssen bedacht werden. Wir haben schon Kontakt aufgenommen. Im Landespflegerat ist das Know-how der Pflege, der Kliniken, der Pflegeheime und der ambulanten Dienste vereint.

Alle Helfer nehmen wahrscheinlich für sich in Anspruch, sensibel mit den Menschen umzugehen. Was können Sie mehr?

Wir können abschätzen, wo der Hilfebedarf ist. Das können die Ehrenamtlichen nicht so. Man braucht viele Hände. Aber jemand mit Erfahrung in der Pflege sieht einfach, was da Not tut. Man sieht am Verhalten der Menschen, was sie brauchen, oder kann an der Haut erkennen, welche Krankheiten Leute haben und welche Medikamente sie einnehmen müssen. Wir fragen anders, weil wir das gewohnt sind und das auch gelernt haben. Gerade bei den Menschen, die zu Hause versorgt werden, haben wir noch unsere Hausaufgaben zu machen. Wir müssen uns nichts vormachen: Diese Schadensereignisse werden zunehmen. Auf Basis der Erfahrung im Ahrtal haben wir dazu Basisschulungen initiiert. Das Verhalten im Katastrophenfall soll nun zumindest in einem Modellprojekt in die Pflegeausbildung aufgenommen werden. Je früher desto besser.

Pflegekompetenz

Person
Susanne Scheck (66) ist seit 2021 Landesvorsitzende des Landespflegerat. Die examinierte Krankenschwester und Diplom-Pflegewirtin. Sie verfügt über mehr als 30 Jahre Berufserfahrung in der professionellen Pflege. Seit 2016 leitet sie als Oberin und Vorstandsvorsitzende die Belange der Württembergischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz.

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