Die als autoritär geltende Glaubensgemeinschaft Spätregenmission führt eine Musterklage gegen die Rentenversicherung: Sie will keine Beiträge für ehemalige Mitglieder nachzahlen.

Kreis Ludwigsburg - An ihre Rente werden sie kaum gedacht haben, als sie der als autoritär geltenden Glaubensgemeinschaft Spätregenmission den Rücken kehrten. Doch nun werden so manche Aussteiger von ihrer Vergangenheit eingeholt: Kurz vor dem Ruhestand stellten sie fest, dass die Freikirche nie Rentenbeiträge für sie entrichtet hat. Die Spätregenmission mit europäischem Hauptsitz in Beilstein (Kreis Heilbronn) weigert sich jedoch, dies nachzuholen und zieht jetzt gegen die Rentenversicherung vor das Sozialgericht Heilbronn – das gilt als Musterklage. Konkret geht es vor dem Sozialgericht Heilbronn derzeit um den Fall einer 64-Jährigen, die von 1965 bis 1979 Mitglied der Spätregenmission in Beilstein war und nun im Kreis Ludwigsburg lebt. Auf ihren Hinweis hin forderte ihre Rentenversicherung Nachversicherungsbeiträge für die fast 15 Jahre ihrer Mitgliedschaft in der Gemeinschaft. Doch die Freikirche argumentiert, zu Recht keine Beiträge gezahlt zu haben.

 

Freikirche sieht keine Ansprüche auf Rentenbeiträge

Denn in den 60er und 70er Jahren sei das Leben in den Häusern der Glaubensgemeinschaft vergleichbar mit dem einer Wohngemeinschaft gewesen, erklärt Peter Krause, der Anwalt der Deutschen Spätregenmission. Man habe zusammen gelebt, sich geholfen und durchaus Arbeiten übernommen – von Beschäftigungsverhältnissen im sozialversicherungspflichtigen Sinne könne aber keine Rede sein. Daher gebe es keinen Anspruch auf Rentenbeiträge.

Im Übrigen erklärt die Spätregenmission laut dem Sozialgericht Heilbronn, ihre Mitglieder hätten im Alter Anspruch auf „eine in der Glaubensgemeinschaft übliche Versorgung“ – sprich: auf Leben im Kreise der Gemeinde. Auch zwischenzeitlich ausgeschiedene Mitglieder hätten die Möglichkeit, zu diesem Zweck wieder aufgenommen zu werden. Darüber hinaus seien jegliche Beitragsansprüche nach 30 Jahren verjährt. Dem widerspricht die Rentenkasse: Es sei nicht rechtens, sich auf Verjährung zu berufen, denn ihr sei das Ausscheiden der betroffenen Frau seinerzeit gar nicht mitgeteilt worden.

Verfahren gilt als exemplarisch für weitere Fälle

Das Verfahren gilt laut Joachim von Berg, Pressesprecher des Sozialgerichts Heilbronn, als exemplarisch für mehr als ein Dutzend weitere Fälle. Auch Martin Kerdels, der Anwalt von mehr als zehn der betroffenen Aussteiger, hält den Prozess für richtungsweisend. Denn juristisch gesehen seien solche Fälle bislang quasi unbekannt. Alle Beteiligten hätten sich in die Thematik zunächst einarbeiten müssen. „Wir wussten gar nicht, wie wir damit umgehen sollen“, sagt Kerdels. In der Tat müssten Glaubensgemeinschaften keine Rentenbeiträge für ihre Mitglieder zahlen, weil sie sich dazu verpflichteten, auch im Alter für diese zu sorgen. Mit der Regelung bei Austritten habe man sich juristisch aber bislang kaum beschäftigt: „Das hat mich auch erstaunt“, so Kerdels. Er wisse von einigen Fällen, in denen Nonnen aus Orden ausgetreten seien, für die dann wohl nachträglich Rentenbeiträge gezahlt worden seien. Aber dass so viele Betroffene auf einmal Ansprüche anmeldeten, sei ungewöhnlich.

Und für die Spätregenmission eventuell fatal: Im schlimmsten Fall geht der Anwalt Peter Krause von Nachforderungen in Höhe von einer halben Million Euro aus. Das übersteige zwar die Liquidität der Freikirche, doch im Zweifelsfall gebe es genügend finanzielle Unterstützer, betont er. Er geht davon aus, dass die Freikirche auch in den mehr als zehn weiteren Fällen noch Klage erheben wird: „Wir müssen uns ja wehren.“