In einem belgischen Dorf entscheidet sich am 18. Juni 1815 das Schicksal Europas. 200 Jahre nach der Niederlage Napoleons in der Schlacht von Waterloo treffen der französische Kaiser, der Herzog von Wellington und der preußische Marschall Blücher erneut aufeinander.

Waterloo - Drei große Kastanien sind die letzten lebenden Zeugen des Gemetzels. Wobei nicht mehr allzu viel Leben in ihnen steckt. Kahl ragen die toten Äste der drei Riesen in den Himmel über Hougoumont, jenem Gehöft, an dem die Schlacht von Waterloo ihren Anfang nimmt. „Nimm Hougoumont und stoße dann zu mir“, hatte Napoleon seinem Bruder Jérôme am Morgen des 18. Juni 1815 befohlen. Siebenmal rennen die Franzosen gegen den mit Mauern eingefassten Hof vor Wellingtons rechter Flanke an. Doch Hougoumont fällt nicht.

 

Da bricht ein Trupp von 50 Franzosen durch das rückseitig gelegene Nordtor, der ganze Hof ein einziges Wüten. In letzter Minute gelingt es einer Handvoll britischer Soldaten, das Tor wieder zu verriegeln. Die Franzosen sitzen in der Falle. Als die Nacht hereinbricht, ist Hougoumont ein Flammenmeer, Tausende sind gefallen. In den drei Kastanien sieht man noch heute die Einschusslöcher. Dabei sollte der Angriff nur ein Ablenkungsmanöver sein, denn die eigentliche Schlacht findet auf einer etwas nördlicher gelegenen Anhöhe statt.

„Bataille de Waterloo 1815“

Dass Hougoumont zu großen Teilen immer noch so aussieht, als habe Napoleon den Angriff eben erst befohlen, ist einem Zufall zu verdanken. „In den anderen Höfen, die umkämpft waren, wie Papelotte oder La Haye Sainte, wohnen bis heute die Besitzer. Da wurde immer wieder umgebaut. Hougoumont dagegen wurde vermietet. Deswegen blieb es, wie es war“, erklärt Nathalie du Parc Locmaria, Präsidentin von „Bataille de Waterloo 1815“, einer Gesellschaft, die sich um das Erbe der Schlacht kümmert. Im Hintergrund kreischen Sägen, in wenigen Tagen wird das neue Museum fertig sein, dann wird der Hof offiziell für Besucher geöffnet. Auch Dan Harvey ist gekommen, um sich das Schlachtfeld anzusehen, auf dem Napoleons Stern unterging und Großbritannien zur stärksten Macht Europas aufstieg.

Harvey ist Lieutnant-Colonel der irischen Armee, hat ein Buch geschrieben über die Iren in Wellingtons Heer und stellte während der Recherche verblüfft fest, dass zwei seiner Vorfahren bei Hougoumont gekämpft hatten. „William wurde am Tag seiner Hochzeit praktisch von der Kirchentür weg gen Waterloo verschifft und verlor bei den Kämpfen einen Arm. James gehörte zu der Gruppe, die das Nordtor wieder schloss.“ Hougoumont ist nicht die einzige Baustelle, ganz Wallonien rüstet sich für den großen Tag.

Denn am Donnerstag jährt sich Napoleons Niederlage gegen die Briten und Preußen unter dem Kommando von Wellington und Blücher zum 200. Mal. Und das wird ausgiebig gefeiert: 5000 Menschen werden die Schlacht nachstellen. Ein Riesenspektakel mit 300 Pferden, 100 Kanonen und 3500 Kilogramm Schwarzpulver - und den Royal Scots Greys, jener Kavallerie-Einheit auf grauen Schimmeln, die Napoleon so schwere Verluste zufügte, dass der Kaiser verzweifelt ausrief: „Diese schrecklichen grauen Pferde, wie sie kämpfen!“

Startschuss ist am Freitag mit dem Angriff der Franzosen, am Samstag folgt der Gegenangriff der Verbündeten. Die britische Kavallerie wird dann auch auf Julien aus Namur treffen. Keine angenehme Vorstellung für seine Gegner, denn der Belgier mit dem Drei-Tage-Bart und den schweren Reiterstiefeln ist ein Baum von einem Mann. An seiner Seite hängt ein schwerer Säbel, auf dem Kopf thront ein riesiger Rosshaarhelm. „Wir sind bereit“, versichert der 32-jährige Hüne, der sich mehrmals im Jahr von einem Lokführer in einen französischen Kürassier verwandelt, um sich ins Schlachtgetümmel zu werfen. Auch Benoit ist gerüstet - und der Landwirt aus Ligny hat allen Grund, dabei zu sein.

„In Ligny gelang Napoleon ein letzter Sieg. Auf einem meiner Äcker wurde Marschall Blücher während einer Attacke unter seinem Pferd begraben“, erzählt Benoit. Blücher entgeht wie durch ein Wunder der Gefangennahme, eilt zwei Tage später dem arg bedrängten Wellington zu Hilfe und entscheidet so die Schlacht von Waterloo. „Ich wünschte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen“, soll Wellington gerufen haben, als alles verloren scheint - und die Preußen kommen. Doch obwohl Blücher praktisch zur Familien-Folklore des kleinen Belgiers gehört, wird Benoit sich in die Linien der französischen Infanterie einreihen, wenn die Kontrahenten erneut aufeinandertreffen.

„Wann ich sterbe, entscheidet mein Pferd“

Rasiert hat er sich schon seit Tagen nicht mehr, schließlich soll alles so sein wie vor 200 Jahren. Er habe versucht, vor der Schlacht mehr zu schlafen, aber es sei ihm nicht gelungen, erzählt er. Die Aufregung ist einfach zu groß. Fallen wird Benoit weder bei Ligny noch bei Waterloo: „Ich sterbe nie.“ Julien ist da nicht ganz so frei in seiner Entscheidung. „Wann ich sterbe, entscheidet mein Pferd“, sagt er und schmunzelt. Damit die Besucher auch nach dem Spektakel zum 200. Jahrestag nach Waterloo strömen, wurden die Sehenswürdigkeiten in der ganzen Region auf Vordermann gebracht. Höhepunkt ist zweifelsohne das vor wenigen Wochen eröffnete „Memorial 1815“ gleich neben dem riesigen Löwenhügel, der an die fast 50 000 Gefallenen erinnern soll und von dem man einen atemberaubenden Blick auf das Schlachtfeld hat.

Das unterirdische Museum ist ein multimediales Trommelfeuer - samt Guillotine, die jeden Feind der Revolution digital ins Jenseits schickt, und einer Panoramaleinwand, auf der man mitten in die Schlacht geworfen wird. Langweilig wird es sicher niemand auf den 6000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, selbst die Schlachtengemälde erwachen zum Leben. In Napoleons letztem Hauptquartier ein paar Kilometer südlich können Besucher das Feldbett des Kaisers bestaunen und sich beim Anblick der Knochen in einem kleinen Beinhaus im Garten gruseln.

Im Wellington-Museum werden derzeit neben dem berühmten Zweispitz des Franzosen auch das Zahnpflege-Set des reinlichen Wellingtons und die Totenmasken der beiden Gegenspieler ausgestellt. Und wer von Napoleon gar nicht genug bekommen kann, folgt seiner Marschroute bis Waterloo, kommt vorbei an 150 Denkmälern, Stelen und Museen und erfährt auch sonst einiges über das letzte Hurra des kleinen Korsen. Etwa, dass der Pfarrer von Jamioulx ihm einen derart guten Burgunder kredenzte, dass der Kaiser beschloss, ihn zum Bischof zu ernennen.

Oder dass ein Junge in dem kleinen Dorf Hestrud Napoleons Untergang voraussagte. „Ich an Eurer Stelle bliebe zu Hause, da Euer Stern schon morgen sinken wird.“ Vier Tage später verblutet die französische Armee im Kugelhagel der Kanonen und Musketen. Hätte Napoleon nur auf den Bengel gehört.

Infos zu Waterloo

Anreise
Mit dem Auto erreichen Sie das etwa 20 Kilometer südlich der belgischen Hauptstadt Brüssel gelegene Waterloo in knapp sechs Stunden (A61/E40 oder A8/E411). Mit dem Zug geht es trotz mehrmaligem Umsteigen etwa eine halbe Stunde schneller ( www.bahn.de ).

Unterkunft
Das Martin’s Grand Hotel ist in einer ehemaligen Zuckerraffinerie aus dem Jahr 1836 untergebracht, liegt mitten in Waterloo und hat 79 Zimmer ( www.martinshotels.com ).

Direkt am Schlachtfeld befindet sich das Drei-Sterne-Hotel „Le 1815“ mit 15 Zimmern und einem Apartment. Statt Nummern tragen die Zimmer die Namen der wichtigsten Feldherrn und Generäle der Schlacht ( www.le1815.be ).

Wer es etwas günstiger mag, nimmt ein Zimmer im Ibis-Hotel in Waterloo ( www.ibis.com ).

Museen
Das Wellington-Museum im Zentrum Waterloos ( www.museewellington.be ) zeigt bis zum 31. Juli eine Ausstellung über die Kontrahenten Napoleon und Wellington.

Lohnend ist auch ein Besuch in Napoleons letztem Hauptquartier ( http://dernier-qg-napoleon.be ) in Vieux-Genappe und natürlich im vor wenigen Wochen eröffneten „Memorial 1815“ am Löwenhügel in Braine-L’Alleud.

Auch in Ligny, wo Napoleon seinen letzten Sieg errang, befindet sich ein kleines Museum ( www.1815ligny2015.be ).

Literatur
Johannes Willms: Waterloo. Napoleons letzte Schlacht, C.H. Beck 2015.

Bernard Cornwell: Waterloo. Eine Schlacht verändert Europa, Rowohlt 2015.

Allgemeine Informationen
belgien-tourismus.de

waterloo2015.org

www.napoleon-grouchy-1815.com