Das Sinfonieorchester und die Johanneskantorei bieten bei der Benefiz-Gala des Rotary-Clubs in der Stadthalle eine mitreißende Aufführung der „Neunten“ von Ludwig van Beethoven.

Leonberg - Sie hat weltweit Karriere gemacht, große Orchester und renommierte Dirigenten erlebt, musste die höheren Weihen für Feierstunden liefern, wie zu Führers Geburtstag oder als Hymne der EU, ist trivialisiert und verkitscht worden bis zur Unkenntlichkeit („Song of Joy“), wurde als „göttlicher Gassenhauer“ geschmäht – und doch übt sie rund 200 Jahre nach der Uraufführung eine rätselhafte Faszination aus. Ein „Zauberberg aus Versen, Tönen und öffentlicher Resonanz“, wie Dieter Hildebrandt in seiner Monografie schreibt: „Die Neunte“ von Ludwig van Beethoven mit ihrem explosiven Jubel im Finale („Freude, schöner Götterfunken“) mitten in der Restaurationszeit samt Karlsbader Beschlüssen, „Demagogenverfolgungen“ und dem Versuch, die Französische Revolution ungeschehen zu machen.

 

Angesichts dieser wechselvollen Geschichte hilft es, sie einfach mal so aufzuführen, wie sie (vielleicht) gedacht war, was allerdings nicht einfach ist, da sowohl Friedrich Schiller wie Beethoven sich rückblickend von ihrem Werk distanziert haben: Schiller hat seine „Ode an die Freude“ für ein „schlechtes Gedicht“ und Widerschein einer überwundenen Bildungsstufe gehalten, und Beethoven, der das Chorfinale fast 20 Jahre nach Schillers Tod komponiert hat, hielt den letzten Satz der Sinfonie gar für einen kompositorischen „Missgriff“.

Landrat kündigt „Ohren-Schmauß“ an

Die Benefiz-Gala des Rotary-Clubs zugunsten der Hospize in Leonberg und Weil der Stadt führt die beiden größten Klangkörper Leonbergs (für Attila Kalman „ein Schatz für die ganze Stadt“), die Johanneskantorei (Attila Kalman) und das Sinfonieorchester (Alexander G. Adiarte), in der Aufführung von Beethovens Vermächtnis zusammen und das Publikum in der ausverkauften Stadthalle erlebt unter dem „Bild zum Konzert“ „Silent Power“ von GYJHO ein musikalisches Ereignis.

Helmut Schmauß begrüßt in Vertretung des erkrankten Präsidenten Thomas Seibold als „His Master’s Voice“ die Zuhörer und stellt den Rotary-Club als „sozial engagiertes Netzwerk“ vor, das jetzt schon seit 17 Jahren diese Benefiz-Gala veranstaltet.

Landrat Roland Bernhard als Schirmherr des Konzerts kündigt wortspielerisch einen „Ohren-Schmauß“ an – und dann beginnt pointiert und dramatisch „un poco maestoso“ die letzte Sinfonie Beethovens, die er aufgrund seiner fortgeschrittenen Taubheit nicht mehr selbst (akustisch) hören konnte: Stürme der Geschichte werden fühlbar und hörbar im Donner der Revolutionsereignisse.

Alexander G. Adiarte, der seit 2006 das Sinfonieorchester Leonberg leitet, führt seine Musiker energisch und stringent mit viel Emphase und Esprit.

Fein austariert sind die musikalischen Spannungsbögen, die Dynamik, und sowohl die martialischen Rhythmen in Trompeten und Pauken wie feine Motive in den Holzbläsern („dolce“) und das ferne Donnergrollen der Revolution berühren das Publikum sichtbar.

Herausforderung mit Bravour gemeistert

Bezirkskantor Attila Kalman, der selbst mitsingt, muss manchmal nach Eindruck des Publikums die akustische Hoheit seiner Kantorei neben dem Orchester verteidigen – aber die Herausforderungen in Tonumfang und Tempi meistert sein Chor glänzend. Dazu verleihen die Vokalsolisten Wiebke Huhs (Sopran), Sarah Alexandra Hudarew (Alt), Ewandro Stenzowski (Tenor) und Dominic Große (Bariton) – die Damen in festlichen Roben – dem Konzert zusätzlichen Glanz wie das Sternenzelt des Schöpfers und bestätigen sich gegenseitig ihren Einsatz mit einem Lächeln.

Zwischen Schillers Gelegenheitsgedicht „An die Freude“ und Beethovens Vertonung liegen Geschichtsbrüche, monströse Gewaltexzesse und eine ganz neue (alte) Machtarchitektur. Der vorrevolutionäre Enthusiasmus des jugendlichen Stürmers und Drängers ist der Ernüchterung gewichen, und auch Beethoven hat dem „Weltgeist zu Pferde“ Napoleon die Widmung seiner „Eroica“ wütend entzogen.

Wut, Verzweiflung, Schmerz

Warum dann in „geistesarmer Zeit“ (Franz Grillparzer) der unverhoffte Jubel? Es ist ein trotziges „Dennoch“ im Stile eines Marquis Posa, das Beethoven hier feiert, der von Goethe nach einem Zusammentreffen von 1812 als „leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit“ getadelt wurde, und seinerseits Goethe dafür rügte, dass ihm „die Hofluft zu sehr behagt“.

Wut, Verzweiflung, Schmerz artikulieren sich in Dissonanzen und revoltierenden Streicherbässen, bis – angekündigt mit Fanfaren in den Hörnern – die Freudenmelodie „Freude, schöner Götterfunken“ sich endlich Bahn bricht und alles enthusiastisch übertönt.

Alexander G.Adiarte jagt seine Musiker mit einem Prestissimo ins furiose Finale, bis diese atemlos nach Luft schnappen.

Bei der Uraufführung 1824 reagierte das Publikum enthusiastisch, die Kritik eher zwiespältig: „Auch in der Verirrung groß!“

Applaus!

Die Resonanz beim Publikum in der Stadthalle ist Begeisterung pur: Helmut Schmauß hat der kantable Adagio-Satz am besten gefallen, der als ruhender Pol in der Mitte des Gesangwerks erscheint.

Kristin Kuhl, Vorsitzende des Hospizvereins, spürt im Raum eine ganz besondere Atmosphäre, Landtagsvizepräsidentin Sabine Kurtz betont den aktuellen Bezug zur anstehenden EU-Wahl, und eine Zuhörerin fühlt, wie „ihr Herz aufgeht“. Es gibt sogar im Publikum Stimmen, die bedauern, dass die „Ode“ nicht kollektiv abgesungen worden ist.

Vielleicht muss man Beethoven inzwischen vor seinen Verehrern schützen. Theodor W. Adorno hat Beethovens Sinfonien „Volksreden an die Menschheit“ genannt: Humanität zelebrieren ist einfach – man muss sie auch mal praktizieren. „Und wer’s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund!“