Er spricht weder besonders laut, noch besonders aufgeregt. Fast schon im Plauderton berichtet Hans Kammerlander vor den Mittel- und Oberstufenschülern der Freien Waldorfschule Engelberg von seinem Leben als Extrembergsteiger. Und es ist wohl genau die Art, die seinen Worten noch mehr Kraft verleiht. Während er von seiner Kindheit erzählt und davon, wie seine Leidenschaft für Berge entstand, wird es immer ruhiger im großen Saal des Schulgebäudes.
Hätte er alles vorher gewusst, hätte Kammerlander einen anderen Weg gewählt
Gebannt lauschen die Schüler einem Lebensbericht, der auch manches schlimme Erlebnis nicht auslässt und mit aussagekräftigen Worten schließt: „Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, würde ich den Weg nicht noch einmal einschlagen. Der Preis, den ich bezahlt habe, war viel zu hoch. Ich habe Freunde verloren. Es waren teilweise Kamikaze-Aktionen. Fehler am Berg werden einem nicht verziehen.“
Hans Kammerlander beginnt seine Vortragsreise an dem Punkt, wo so eine starke Leidenschaft wie seine Liebe für die Bergwelt wahrscheinlich oft geweckt wird – in der Kindheit. Aufgewachsen in einer Berghütte in einem abgelegenen Dorf mit vielen Geschwistern sei das Thema Schule schwierig gewesen. „Es gab keinen Strom, keine Straßen, und mir fehlte die Konzentration. Da haben die Lernmöglichkeiten gefehlt.“ Doch nach dem Start einer Maurerlehre war für ihn schnell klar, dass das nicht sein Weg werden würde. Dass er in der Zeit das Hobby Berg entdeckte, dass er später Bergführer und Skilehrer zum Beruf machte, kam durch einen Zufall. Als achtjähriger Junge schlich er Touristen auf den wohnortnahen Hausberg Moostock des kleinen Südtiroler Ortes Ahornach hinterher. Seine Neugier war geweckt. „Sie schenkten mir einen Apfel, und ich saß mit dem Obst da und genoss die Weite und Freiheit. Meine Verführung zum Bergsteigen lief also wie in der Bibel mit einem Apfel ab“, sagt Kammerlander und lacht.
Bilder und Videos vermitteln die Erlebnisse des Bergsteigers
Doch je öfter er die Play-Taste des Beamers drückt, desto ernsthafter werden die Schilderungen und desto eindrucksvoller die Bilder. Man sieht Kammerlander ohne Seil die steilsten Wände bezwingen. Sieht Flächen mit enormem Schnee und eingefrorene Gesichter mit rissigen Lippen und schwärzlich verfärbten Zehen. „Die Zehen konnten gerettet werden, und auch aus der Gletscherspalte, in die ich fiel und in der ich nicht mehr viel Hoffnung hatte, kam ich wieder raus. Aber ich habe Tragödien erlebt und habe mich lange von der Bergwelt abgekehrt.“ Höhen und Tiefen lägen eng beieinander, und ein Fehler entscheide in der sauerstoffarmen Todeszone über Leben und Tod.
Und er war auf vielen hohen Bergen der Welt, erkundete Wüsten, den Nordpol. Und er verlor sein Herz an Tibet, wo er den Kindern dort hilft, zur Schule gehen zu können. Mit dem nicht minder bekannten Extrembergsteiger und Autor Reinhold Messner bestieg Kammerlander etliche Achttausender. Später gelangen ihm – der zeitlebens trainierte, um fit für die Aufstiege ohne künstlichen Sauerstoff zu sein – weitere Touren, und dabei unter anderem die Skiabfahrten vom Mount Everest und vom Nanga Parbat. Er bezwang auf allen Kontinenten die Gipfel und fuhr als Erster vom Everest über die Nordwand mit Skiern bis ins Basislager. Eine ziemlich gewagte Aktion in der Dolomitenregion Drei Zinnen machte Reinhold Messner auf ihn aufmerksam. Mit ihm und seiner Hilfe wagte er sich an die „ganz hohen Berge“. Er bestieg 14 Gipfel weltweit, die höher waren als 8000 Meter. „Ich war müde, die Luft war so dünn, dass man nicht lange überleben konnte, aber es ging.“ Die Einsamkeit setze einem zu, oft seien andere Menschen eine Woche entfernt gewesen, oder sie fanden Verunglückte früherer Touren tot vor. Als Messner aufhörte, machte Kammerlander alleine weiter und veränderte seinen Stil.
Er versuchte, Aufstieg und Skiabfahrt am Hang zu verbinden. „Das ist so steil, dass die Hüfte den Hang berührt, der Ellenbogen als Stütze dient, und man bloß niemals ausrutschen darf.“ Und er organisierte für Kletterfreunde eine Tour, die in einer Tragödie endete. „Durch Sturm und Blitze verlor ich zwei Freunde. Es war ein Albtraum, und ich kehrte mich danach lange von den Bergen ab“, sagte Kammerlander, während er die schreckliche Szene per Video mit Donner und Blitzeinschlag mittels Beamer in den Schulsaal holte. Der laute Knall fuhr den Schülern in die Glieder. Bei der Fragerunde im Anschluss beantwortete Kammerlander Fragen zum Proviant, zu Ängsten und zu Halluzinationen mangels Sauerstoff. „Heute lebe ich ruhiger. Ich mache keine Wettläufe von Gipfel zu Gipfel mehr, und die Berge sind auf meinen Reisen nur noch ein Teil, nicht Mittelpunkt.“