Nach den jüngsten Todesfällen fehlt weiterhin die Einsicht, dass nicht jeder Kletterer auf jeden Berg gehört.
Österreich - Immer, wenn etwas passiert in den Bergen, rufen die Leute beim Hofrat Karl Gabl in Innsbruck an, obwohl er im vergangenen Jahr pensioniert worden ist. Gabl ist Meteorologe, hat aber auch Philosophie studiert. Er gibt keine einfachen Antworten, auch schon deswegen nicht, weil es in den Bergen (und über die Berge) eigentlich keine einfachen Antworten gibt. Gabl aber hat – und daran erinnern sich viele Personen – am Ende Gerlinde Kaltenbrunner aus der Ferne auf ihre letzten Achttausender gelotst, bis sie alle vierzehn, die es auf der Welt gibt, zäh und leise erobert hatte. Wenn der Gabl da gesagt hat, dass es wohl nicht gehen wird, ist Gerlinde Kaltenbrunner für den nächsten Abschnitt gar nicht erst raus aus dem Zelt. Oder direkt runter. Außerdem hatte sie ihren eigenen Kopf und Erfahrung von klein auf. Kaltenbrunner ist ein Kind der Berge, wie die meisten Alpinisten, denen Großes gelungen ist. Und selbst solche Könner haben sich in ihrer ureigenen Umgebung schon oft genug getäuscht.
Zu den fünf Toten am schweizerischen Lagginhorn im Wallis und den neun Toten Mitte der vergangenen Woche am Montblanc ist Karl Gabl dann auch nicht viel mehr eingefallen, außer dass er angesichts der Windgeschwindigkeit von 50 bis 70 Stundenkilometern vor dem Unglück im Gebiet am Montblanc „eher vorsichtig“ gewesen wäre. Eine Lawinenwarnung allerdings gab es bekanntermaßen dort nicht, das sagt auch Stefan Winter vom Deutschen Alpenverein (DAV). Bei den Toten vom Samstag, erneut in den Savoyen, liegen die Dinge wohl anders. Die 30-jährige Polin und der 25-jährige Spanier starben, von der Schweizer Grenze kommend auf dem Weg zur Vallot-Hütte, offensichtlich an Entkräftung. Sie hatten sich wohl zu viel vorgenommen, waren nicht gut genug trainiert.
Beim Absturz der fünf Bergsteiger (darunter ein 14-jähriges Mädchen) am Lagginhorn war, nach dem, was bisher bekannt ist, die Schneedecke bis hinauf auf 4000 Meter wegen vorherigem Regen stark aufgeweicht. Da sollten Bergsteiger eigentlich nicht losgehen. Zudem war die Gruppe als Seilschaft ohne Sicherung im Fels unterwegs und hatte keine einheimische Begleitung. Einer muss den anderen mit in den Tod gerissen haben: ein trauriges Phänomen, das in der Gegend Tradition hat, seit Edward Whymper mit seinen Männern am 14. Juli 1865 das Matterhorn triumphal eroberte, um beim Abstieg am ebenfalls gemeinsamen Seil – von dem der DAV schon seit Jahrzehnten abrät – gleich vier Kletterer tragisch zu verlieren.
Der Name ist die Attraktion
Bezeichnenderweise waren es besonders die Nachgeborenen des Zeitalters der Aufklärung gewesen, die auf die mitteleuropäischen Gipfel drängten, „im Dienste der ewigen Wissenschaft“, wie der Naturforscher Friedrich von Tschudi im 19. Jahrhundert formulierte. Davon ist der heutige Hype um die Höhe aber auch wieder sehr weit entfernt. Manchen Bergsteigern – und es sind von vorneherein die schwer Gefährdeten – bewegt etwas ganz anderes: sie gehen nach Namen. Anders ist es kaum zu erklären, warum Berge wie der Montblanc oder das Matterhorn einen Zulauf haben, welcher, sobald die Saison losgegangen ist, zur Schlangenbildung auf dem Anmarsch führt.
Berge mit einem gewissen Ruf, die man sich mit erheblicher finanzieller Aufwendung für einen Bergführer, „erkaufen“ kann, stehen hoch im Kurs. Es darf, anders als der Bergsteiger Arved Fuchs zuletzt vorgeschlagen hat, eben nicht der Brocken im Harz sein, dessen Coolness- und Renommierfaktor buchstäblich nicht hoch genug ist. Ginge es um den Weg und nicht das Ziel, reichte gegenüber dem Wallis vorerst einmal das sogenannte Allgäuer Matterhorn, die Trettalspitze, 2595 Meter hoch und nicht wesentlich weniger anspruchsvoll.
Eben das Fordernde des Berges an sich jedoch wird zunehmend klein geschrieben, seit ein paar Standards des Bergwanderns und Kletterns mehrheitlich nicht mehr vernachlässigt werden. Städter in Sandalen sind abseits der Gipfelstationen, die man bequem mit Bahnen erreicht, nur noch selten anzutreffen. Die Ausrüstung ist, gemessen an den Zeiten von Hermann Buhl und Luis Trenker, manchmal sogar professioneller, als sie sein müsste. Es läuft aufs Überausstaffieren hinaus, aber irgendwo wollen die ganzen Produkte der Outdoormessen ja schließlich auch untergebracht werden. Allein das Material macht jedoch noch keinen Bergsteiger.
Es fehlt an Kondition, Können und Konzentration
Oft fehlt es zwar nicht an der (Über-) Motivation, wohl aber an der Kondition, dem Können und der Konzentration sowie diesem speziellen Gefühl für natürliche Zusammenhänge – eine Erfahrung, an der viele überhaupt nicht interessiert sind. Berge nimmt man nicht nebenbei und allein mit einer sportlichen Leistung mit. Berge stellen einen infrage – und es können einem sehr schnell die Antworten ausgehen. „Die Restrisiken“, sagt Arved Fuchs, „werden leider oft bagatellisiert.“
Das Lagginhorn beispielsweise ist eines nicht: ein „leichter Viertausender“, den es ohnehin nicht gibt. Wer aber, als Ausländer oder Ortsfremder zumal – und sie machen die weitaus größte Zahl der Unfallopfer aus – nicht weiß, wie sich das Lagginhorn zu naheliegenden Bergen wie dem Pollux oder dem Weissmies verhält, trifft wahrscheinlich schon am Fuß die falsche Entscheidung. Diese wiederum führt dann zu anderen, durchaus auch mit fatalen Folgen.