Als kleiner Bub schaute Manfred Mauermann schon vom Blaueisgletscher hinunter auf das Berchtesgadener Land. Der nördlichste Gletscher der Alpen liegt an der Nordseite des Hochkalters – eingebettet zwischen der Blaueisspitze (2480 Meter), dem Hochkalter (2607 Meter) und dem Kleinkalter (2513 Meter). Für einen Fünfjährigen – von außen betrachtet – eine gewaltige Leistung. Er habe die Touren mit den Eltern geliebt, erinnert sich der heute 56-Jährige. Anstrengend seien sie aber nicht gewesen, dafür hätten sie einen unbändigen Spaß gemacht.
Was er als Fünfjähriger noch nicht in Worte fassen konnte, ist heute die Erklärung für einen Lebenstraum, den sich Mauermann vergangenen Oktober erfüllt hat. „In den Bergen spüre ich Freiheit wie sonst nirgendwo.“ Und als er als junger Bub gehört habe, dass es noch größere Berge als den Blaueisgletscher gebe, sei der Traum geboren, dass er selbst einmal auf einem stehen möchte.
Tipps von Ultraläufer und Bergführer
Für 2019 war die Tour in den Himalaja geplant. Doch Corona machte dem gebürtigen Kölner, der 1998 im Schwabenland seine zweite Heimat gefunden hat, einen Strich durch die Rechnung. Das Gute an der Verschiebung: Mauermann blieb mehr Zeit, sich vorzubereiten. „Ich komme aus dem Turnierbereich und habe gelernt, mir professionelle Hilfe zu holen“, sagt der Tanzlehrer.
https://youtu.be/dvdH8gciSZI
Von Gerhard Unger beispielsweise. Der Waiblinger läuft 170 Kilometer in 40 Stunden mit 10 000 Höhenmetern am Mont Blanc. Seine Leidenschaft sind Ultraläufe in sämtlichen Klimazonen der Erde. 2020 begann Mauermann die Einheiten mit dem Ultraläufer. „Er machte mir klar, dass es nicht um Leistung geht, sondern darum anzukommen“, beschreibt er das mentale Training mit dem Profi.
Wöchentliches Lauftraining
Mit einem Zehn-Kilometer-Lauf fingen die beiden an. „Es ging darum, eine Grundkondition aufzubauen, um die Gefahr der Höhenkrankheit zu minimieren“, erklärt Mauermann. Auch nach der Rückkehr aus Nepal hielt der Bietigheimer am Lauftraining fest. Inzwischen steht eine Distanz über 15 Kilometer drei- bis viermal in der Woche auf der Agenda. Auch beim Silvesterlauf in Bietigheim war er am Start und ging als 922. über die Ziellinie. Das nächste sportliche Etappenziel ist der Berlin-Marathon.
Das Training mit dem Ultraläufer war das eine, der Austausch mit Heinz Schauer das andere. Der 71-Jährige war schon 40-mal im Himalaja unterwegs und weiß, was wichtig ist. Er stellte die Routen zusammen und tüftelte für Mauermann einen Plan B aus – sogenannte Abbruchrouten. Und er machte dem 56-Jährigen klar, dass er vor Ort auf jeden Fall Bargeld braucht, falls er mit dem Hubschrauber abgeholt werden muss.
„Mein Kumpel Sven und ich wollten ohne Gruppe unterwegs sein. Heinz kennt viele Sherpas und hat alles für uns organisiert“, erzählt Mauermann. Der Tourismus im Himalaja boomt. Die einheimischen Sherpas arbeiten als Bergführer und jonglieren die Lasten der Fremden über die steilen Pässe auf die Berge.
Am 14. Oktober startete der Flieger in Richtung Kathmandu. Mit dem Taxi ging es zum Guide, bei dem sich Manfred Mauermann und sein Freund erst einmal drei Tage lang auf 1400 Meter Höhe akklimatisierten. Danach ging es wieder in den Flieger. Zumindest kurz, denn nach einer halben Stunde landete die Gruppe auf dem Flughafen von Lukla inmitten der Berge der Khumbu-Region. Der Flughafen gilt als der gefährlichste der Welt, denn die Flugzeuge haben nur 530 Meter Start-und-Lande-Bahn zur Verfügung – und die befindet sich auch noch direkt an einem Hang.
Atmen wird schwer
Dann wurde es ernst. Mit dem Guide, einem Träger und einem Sherpa ging es Meter für Meter nach oben. Immer mit dabei: Yaks. Die Rinder werden als Lastenträger eingesetzt. „Sie tun einem nichts, aber man hat uns dennoch ans Herz gelegt, falls sie einmal scheuen oder auf einen zukommen, immer gleich auf die Bergseite zu gehen“, erzählt Manfred Mauermann.
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Die Etappen sind anstrengend und überwältigend zugleich. Der kürzeste Tagesmarsch dauerte viereinhalb Stunden, der längste knappe zwölf. Einmal legten sie an einem Tag einen Höhenunterschied von 1200 Metern zurück. Je näher die Wanderer dem Himmel kamen, desto anstrengender wurde es für Körper und Geist. „Ab 4500 Höhenmeter merkst du, dass die Luft dünner wird. Auf über 5000 Meter wird das Atmen schwer, und die Energie geht weg“, beschreibt der 56-Jährige die körperliche Ausnahmesituation.
Das Durchhalten in den letzten eineinhalb Stunden vor dem höchsten Punkt der Tour auf 5400 Meter sei eine reine Kopfsache gewesen, erinnert sich Mauermann. „Mein Körper tat weh und war unglaublich schwer. Ich wollte mich einfach nur hinsetzen und mich vom Hubschrauber abholen lassen. Als ich aber begonnen habe, mich nicht aufs Ziel zu fokussieren, sondern immer nur auf die nächsten Meter, und meine Gedanken bewusst umlenkte, konnte ich weitergehen.“ So verrückt es klingt. Das Fokussieren auf das Traumauto, einen 300er SL Mercedes half, Grenzen zu überwinden und am Ende mit einem Blick auf sieben Achttausender belohnt zu werden. „Das ist der Wahnsinn. Ein Erlebnis, dass du überall mitnimmst.“
Das Mauermann Blicks auf die Welt und das Leben auch seit der Rückkehr in die Heimat am 5. November verändert hat. Er sei innerlich ruhiger geworden, sagt der 56-Jährige, und wisse seinen Alltag zu schätzen. „Die Menschen dort leben in Zimmern bei bis zu minus zwölf Grad, und wir beschweren uns hier gerade über 19 Grad in Räumen.“