In der Rising-Star-Höhle in Südafrika sind Überreste der bisher unbekannten Menschenart Homo naledi entdeckt worden. Diese Frühmenschen scheinen vor mehr als zwei Millionen Jahren ihre Toten bestattet zu haben. Das werde die Wissenschaft noch Jahrzehnte beschäftigen, sagt der Archäologe Lee Berger.

Johannesburg - Das Verständnis des Menschen von sich selbst und seinen Ursprüngen muss neu überdacht werden, nachdem Wissenschaftler am Donnerstag in Südafrika den umfangreichsten Fund in der Geschichte der Paläoanthropologie, der Lehre von der Frühzeit des Menschen, bekanntgegeben haben. Ein internationales Team unter Leitung des in Südafrika lebenden US-Amerikaners Lee Berger wertete in den vergangenen 22 Monaten mehr als 1500 Überreste von Frühmenschen aus, die aus der bei Johannesburg gelegenen Rising-Star-Höhle geborgen worden waren. Dabei kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass es sich um die Überreste einer neuen Art der Gattung Homo handeln muss, die sie nach der in der Region gesprochenen Sprache Sesuthu „Naledi“, Stern, nannten – und dass diese weit über zwei Millionen Jahre alten Frühmenschen bereits ihre Toten beerdigten.

 

Gefunden wurden versteinerte Knochen von 15 Individuen, die ihrer Größe und ihren Zähnen nach zu urteilen aus unterschiedlichen Altersgruppen stammen. Neben einem Baby wurden ein Kind, mehrere Jugendliche und Erwachsene sowie eine Greisin gefunden, die an ihren abgenutzten Zähnen zu erkennen war. Die Skelettteile befinden sich in einem guten Zustand: Noch nie habe eine neue Art der Gattung Homo mit besseren und zahlreicheren Fundstücken belegt werden können, sagte Berger, der an der Johannesburger Witwatersrand-Universität lehrt.

Homo naledi unterscheidet sich offenbar deutlich von anderen frühen Menschenarten wie dem Homo erectus, dem Homo habilis und dem Homo rudolfensis. Er hatte Fußknochen, die den Füßen des heutigen Homo sapiens ähnlich sind und ihn als Läufer auszeichnen. Dafür verfügte er über vergleichsweise „primitive“ Schultern und stark gekrümmte Fingerknochen, die darauf hinweisen, dass er auch gut klettern konnte. Er war mit durchschnittlich 1,50 Metern relativ groß, wog aber nur rund 45 Kilogramm. Am auffälligsten ist jedoch sein kleines Gehirn: Mit der Größe einer Orange entsprach dieses nicht einmal einem Viertel des Volumens unseres Gehirns und ist kaum größer als das Hirn eines Schimpansen.

Bisher schienen Bestattungen Homo sapiens vorenthalten

Zusammen mit einer anderen Beobachtung stellt diese Tatsache die eigentliche Sensation des Fundes dar. Die frühmenschlichen Fossilien wurden in einer fast 40 Meter unter der Erdoberfläche gelegenen Höhle gefunden, die nur über einen 90 Meter langen Gang zu erreichen ist, der sich an einer Stelle auf knapp 20 Zentimeter verdünnt und über fast zehn Meter abfällt. Geologische Untersuchungen ergaben, dass die Höhle bereits seit langer Zeit in der heutigen Form existiert. Außerdem wiesen die Funde keinerlei Hinweise auf, dass die Frühmenschen von wilden Tieren umgebracht wurden oder dass ihre Knochen dort hingeschwemmt wurden. Auch enthielt die Kammer lediglich die Fossilien der Frühmenschen und einiger Nagetiere. Diese Begleitumstände könnten sich die Wissenschaftler nur dadurch erklären, dass die Höhle dem Homo naledi als Bestattungsort diente, sagte Berger.

Bisher ging die Paläoanthropologie davon aus, dass die rituelle Beerdigung von Toten dem lediglich rund 200 000 Jahre alten Homo sapiens vorbehalten war. Noch sei nicht abzusehen, welche Schlüsse daraus auf die Entwicklung des Menschen im Allgemeinen zu ziehen seien, fügte Berger hinzu: Die Konsequenzen dieses Fundes würden die Wissenschaft vermutlich noch jahrzehntelang beschäftigen.

Offen muss noch das Alter der neuen Menschenart bleiben. Gewöhnlich bestimmen Forscher das Alter von Fossilien nach Ablagerungen und anderen Funden in der Umgebung – beides gibt es in diesem Fall jedoch nicht. Die Forscher wollten sich mit einer genauen Bestimmung noch mehr Zeit lassen, sagte Berger. Es sei aber davon auszugehen, dass der Homo naledi zu den ältesten Arten der Gattung Homo zählt und vor 2,5 bis 3,0 Millionen Jahren lebte.

In der Höhle werden noch weitere Fossilien vermutet

Mit der Entdeckung etabliert sich Südafrika neben der äthiopischen Afar-Region endgültig als weltweit wichtigster Ort für die Erforschung der frühen Menschen. Die Dinaledi-Höhle befindet sich in einer von der Unesco als Weltkulturerbe anerkannten Hügelregion westlich von Johannesburg, in deren Höhlen schon zahllose Fossilien von Früh- und Vormenschen, dem sogenannten Australopithecus africanus, gefunden wurden. Allerdings entspricht die Zahl der im Rahmen der jüngsten Ausgrabung entdeckten Knochenteile sämtlicher bisher in der Region gefundenen frühmenschlichen Fossilien. Und dabei sei die Höhlenkammer noch nicht einmal ganz ausgeräumt worden, fügte Berger hinzu: Vermutlich würden dort noch „Hunderte“ weitere Fossilien liegen.

Das System der Rising-Star-Höhle war vor zwei Jahren von zwei jungen Johannesburger Höhlenforschern entdeckt worden. Sie hatten ihren Fund Lee Berger gemeldet, der daraufhin die „größte Ausgrabung in der Geschichte der Paläoanthropologie“ in die Wege leitete. 60 junge Höhlenforscher und Wissenschaftler, die über einen schmalen Körperbau verfügen mussten, bargen im November 2013 und im März 2014 mehrere Tausend Fossilien. Die vom Magazin „National Geographic“ mitfinanzierte Ausgrabung wurde live von Kameras ins Internet übertragen. Südafrika habe kein Recht, die Erforschung der Geschichte des Menschen zu einem kommerziellen und der Öffentlichkeit verborgenen Unternehmen zu machen, sagte Südafrikas Vizepräsident Cyril Ramaphosa bei der Bekanntgabe des Fundes. Die Regierung am Kap der Guten Hoffnung verspricht sich von der Entdeckung auch einen mächtigen Impuls für ihre Tourismusindustrie. Die Region werde noch mit „mancher Überraschung“ aufwarten, kündigte Berger an.