Die Saison geht wieder los – und das Image des Radsports ist schlechter denn je. Doch die Vereine leisten fernab aller Skandale weiter gute Arbeit. Zu Besuch beim RSV Öschelbronn.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Öschelbronn - Die Tür öffnet sich. Gloria Eisenbein schaut im Kraftraum des RSV Öschelbronn vorbei. Es ist ein fürchterlicher Tag draußen. Es ist kalt und nass, ein Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür schickt. Nur Radfahrer.

 

Und so sieht Gloria Eisenbein auch aus. Wie Sau, verdreckt, die Hände kalt. Sie strahlt, schickt ein Hallo zu den Jungs rüber, die sich gerade auf der Rolle abquälen, dieser Vorrichtung mit Walzen, auf der man im geschlossenen Raum Hunderte Kilometer auf dem Rad fahren kann. Es war eine gute Einheit, sagt sie. Sie spricht von Spaß, was einem nicht so recht einleuchten will. Radsport hat etwas Masochistisches. Quälen ist Teil der DNA dieses Sports. „Ich komme viel raus, gehe an die Grenzen, es ist einfach schön“, sagt das Mädchen begeistert. Gloria ist ein großes Talent in der Klasse U 15. Gloria ist die Zukunft.

Ja, wirklich. Es gibt eine Zukunft im Straßenradsport. Trotz Dopingskandalen. Trotz des Soundtracks dieser Disziplin, der nur noch aus Misstönen zu bestehen scheint. Es gibt noch junge, begeisterte Radfahrer. Es gibt noch Rennen. Es gibt noch viele aktive Vereine. Wie den RSV Öschelbronn. Das hier ist eine andere Welt. Eine bessere. Ein Universum neben dem kranken Hochleistungssport der Profis.

Der Radsport lebt seit Jahren in einem Shitstorm

Petro Nappa ist der Vater von drei Kindern und ehrenamtlicher Trainer beim RSV. Es ist ein Vollzeitjob, fast zumindest. Er hat einen Ordner mitgebracht. Mitgliederzahlen, die Trainingspläne. Endlose Reihen von Jahresleistungen Jugendlicher, vierstellige Kilometerzahlen. Radfahren ist hart, auch in jungen Jahren. „Aber die Jugendlichen bestimmen, wie viel sie investieren wollen“, sagt er. Petro Nappa sitzt mit dem RSV-Vorsitzenden Stefan Halanke in der rustikalen Vereinsgaststätte, 310 Mitglieder haben sie. Durchs Fenster ist der Stolz des RSV zu sehen, die vier Millionen Euro teure überdachte Radbahn. An der Kopfseite des Raums erzählen Pokale in der Vitrine von der ruhmreichen Vergangenheit und Gegenwart des Clubs. Ja, lebt denn der alte Radsport noch? Ja, er lebt. Gut sogar. Kaum zu glauben. Aber es ist so. Und das ist auch gut so. Halanke spricht vom lebendigen Vereinsleben, von der ungebrochenen Faszination.

Natürlich sind die Folgen des Dauerthemas nicht spurlos an den Vereinen vorüber gegangen. Es gibt Probleme mit Sponsoren und immer weniger Rennen, auch im Nachwuchsbereich, und die Kinder stürmen nicht gerade die Bahn des RSV, aber das war noch nie so. Auch nicht in den Hochzeiten. Es ist zeitintensiv, anstrengend, nicht die idealen Voraussetzungen. „Wir haben letztlich die gleiche Probleme wie alle anderen auch“, sagt Halanke. Wie komme ich an den Nachwuchs? Wer will ehrenamtlich tätig sein? „Vereine sind heute nicht mehr so angesagt“, sagt er.

Der RSV ist einer der aktivsten Vereine, zahlreiche Meisterschaften richtet der Club aus, wie das bekannte Rennen „1001 Runde“ im Juli. Es gibt viel zu tun. Bei den eigenen Veranstaltungen, aber auch, um den Kindern die Teilnahme an Rennen zu ermöglichen. Schon in jungen Jahren kommen die Kinder weit rum bei Wettkämpfen, aber sie müssen eben auch irgendwie dorthin kommen. Bald geht das wieder los. Die Saison nimmt Fahrt auf. An der Basis wie in der Spitze. Dort mit Gegenwind angesichts der ganzen Skandale. Im Internet spricht man von einem Shitstorm, wenn irgendeine Sau wutschnaubend durchs Dorf gejagt wird. Der Radsport lebt seit Jahren in einem Shitstorm. Der Ausnahmezustand ist Alltag. Heute mehr denn je. Die Profis sind vergangene Woche mit Paris-Nizza in die europäische Saison gestartet. Am Sonntag steht der erste Höhepunkt im Rennkalender, Mailand-San Remo. In Öschelbronn ist am Samstag Fahrradbörse.

Die Keimzelle des deutschen Profiradsports in Deutschland

Beim RSV und in all den vielen anderen Vereinen leisten sie gute, wichtige Arbeit, auch wenn die von oben regelmäßig konterkariert wird. Wut? Nein, das trifft es nicht ganz, sagt Stefan Halanke. Es ist etwas anderes. Frust, Enttäuschung. Oder Resignation. Von allem ein bisschen vielleicht. Es nervt, auch das Gerede darüber. Weil es nichts bringt. Ändern können sie aber nichts. „Wir können nur gute Arbeit machen, der Rest liegt nicht in unserer Hand.“

Stuttgart und die Region ist die Keimzelle des Profiradsports in Deutschland. Das Team Telekom ging aus dem von Winfried Holtmann 1988 gegründeten Team Stuttgart hervor. Die Equipe Gerolsteiner hat ihre Wurzeln beim RSV Öschelbronn. Hans-Michael Holczer, der einen Radladen in Herrenberg hat, war von 1975 bis 1996 Manager der Amateurmannschaft des RSV, aus der später der Profirennstall wurde. Das Team Telekom gibt es nicht mehr, Gerolsteiner auch nicht mehr. Aber den RSV Öschelbronn. Den 1. RV Stuttgardia. Den Radsport.

Wegen Leuten wie Stefan Halanke und Petro Nappa. Für Jugendliche wie Gloria oder Niklas, 15 Jahre. Er ist gerade im Kraftraum des RSV und arbeitet dort an seiner Rückenmuskulatur. Ein hoch aufgeschossener junger Mann. Ein bisschen Flaum im Gesicht, kein Haar an den Beinen. Die Glatze der Radfahrer. Wunden heilen ohne störende Beinbehaarung schneller, den Masseuren erleichtert es die Arbeit. Niklas fährt seit sieben Jahren Rad. Sechs bis acht Stunden die Woche sitzt er auf dem Rad, dazu die Arbeit an den Geräten. Er liebt die Schinderei, er mag es, an seine Grenzen zu gehen, Fortschritte zu sehen. Und vor allem: „Die Abwechslung ist toll, und ich bin immer unterwegs.“

Blöde Sprüche nach Verfehlungen der Profis

Jeder von ihnen könnte eine Geschichte erzählen, von blöden Sprüchen, die einem hintergerufen werden, wenn es bei denen da oben mal wieder drunter und drüber ging. Es nervt. Jedes mal aufs Neue. „Zum Kotzen“, sagen sie hier. Niklas geht in die achte Klasse, das Profitum ist außer Reichweite, und auch nicht angestrebt, Metallbauer will er mal werden. Und sauber durchs Leben gehen. Einige Kumpels haben Erfahrungen mit Alkohol gemacht und ihre Lungen mit Nikotin gequält. Er hat Zehntausende von Kilometern auf Asphalt in den dürren Beinen. „Alkohol und Rauchen, das geht bei uns natürlich gar nicht“, sagt Niklas. Der Radsport ist trocken.

Sie holen die Jugendlichen von der Straße auf die Straße. Es ist eine Schule des Lebens, sagen sie beim RSV. Was natürlich für fast alle Sportvereine gilt, wie Halanke sagt, weil sie Werte vermitteln. Disziplin, Pünktlichkeit, respektvoller Umgang mit Enttäuschungen. Das sagt Petro Nappa auch allen, die sich fragen, ob man seine Kinder zum Radfahren schicken sollte. „Es ist ein toller Sport. Und es schult den Charakter.“

Das Auto ist auf dem Rückzug, das Rad wird wichtiger

Ethik steht im Radsport oft auf dem Lehrplan. Nicht in Form von Vorlesungen, sondern im Alltag. Steter Tropfen schärft das Problembewusstsein. „Ich versuche, die Jugendlichen dahin gehend zu prägen, dass sie sauber ihren Weg gehen“, sagt Nappa. Sein ältester Sohn, 21, hat es zu einem Kontinentalteam geschafft, die zweite Liga im Radsport. Er fährt lange Rennen, um die 250 Kilometer. „Er kommt ins Ziel.“ Bisher hat niemand gesagt, dass er etwas nehmen müsse. „Und ich hoffe, dass er auch die Stärke hat, es nicht zu tun, falls es ihm mal angeboten wird. So habe ich ihn erzogen.“

Auch Stefan Halanke will erziehen. Zur Bewegung. Er hat Großes vor in Öschelbronn. Ihm schwebt ein Radpark vor, ein Bewegungszentrum mit allen Facetten des Rads. „Das Rad hat Zukunft“, sagt er. Es wächst tatsächlich stärker denn je, aber er hat sich verlagert. Weg vom Straßenprofisport. Das Rad ist Lifestyle, Städte arbeiten an Mobilitätskonzepten und versuchen, sich fahrradfreundlicher aufzustellen. „Die Formel 1 boomt weltweit, aber das Auto ist auf dem Rückzug“, sagt Stefan Halanke und lächelt: „Der Profiradsport gilt als tot, aber das Rad wird immer wichtiger.“