Eine Studie zeigt am Beispiel der „Schorndorfer Woche“, wie sich eine missverständlich formulierte Polizeimeldung auswachsen kann. Auch nachträgliche Faktenchecks haben dann kaum mehr eine Chance.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Berlin - „Schorndorfer Woche“? Da war doch was. „1000 Migranten randalierten auf einem Volksfest“: Diese Aussage hält ein knappes Drittel der Deutschen für wahr und etwas mehr als die Hälfte für unwahr, wie Ende September eine bundesweite Umfrage mit mehr als 1000 Befragten im Auftrag der Stiftung Neue Verantwortung ergab. Unter den befragten AfD-Wählerglauben 44 Prozent an diese Version der Geschichte, jedoch nur 20 Prozent der Grünen-Sympathisanten; die Anhänger anderer Parteien rangieren dazwischen.

 

Das ist es, was von einem geradezu mustergültigen Fall von Fake News bleibt. Tastächlich randalierten nicht 1000 sondern 100 Menschen „überwiegend mit Migrationshintergrund“, wie die Polizei ihre eigene, zunächst missverständliche Pressemitteilung nachträglich korrigierte. Zwei Fälle sexueller Belästigung durch Flüchtlinge aus dem Irak und Afghanistan waren bereits in der ersten Meldung enthalten.

Als die Polizei drei Tage nach Ende des Straßenfests ihre Bilanz der Vorfälle veröffentlichte, war die Sau längst durchs Dorf getrieben, denn die erste Meldung der Nachrichtenagentur dpa setzte noch am Wochenende neben den sexuellen Belästigungen die falsch verstandene Zahl von 1000 randalierenden Migranten in die Welt. Zahlreiche Onlinemedien übernahmen das ungeprüft und machten den Vorfall deutschlandweit bekannt. Von da war der Weg auf die Websites und Facebookprofile der AfD oder der rechtsgerichteten „Jungen Freiheit“ nicht mehr weit. Die sprachen von einer „islamischen Grapschparty“ oder titelten „Einwanderermob sprengt Volksfest“ – und machten so aus unsauberem Journalismus Fake News.

Am Anfang steht eine journalistische Ungenauigkeit

Im Internet verbreiten sich solche Meldungen dank entsprechender Netzwerke schneller als früher. Welche Wege Fake News durchs Internet und in die Köpfe derMenschen nehmen, hat die Stiftung Neue Verantwortung anhand konkreter Fälle analysiert. Mit der Software Talkwalker untersuchte sie Themenkarrieren von Falschmeldungen und maß hinterher per Befragung, wer sich an solche Meldungen später noch erinnerte und sie für wahr hielt. Der Anfang des Jahres kursierende Behauptung, Flüchtlinge bekämen in Deutschland den Führerschein kostenlos vom Staat, glauben demnach etwa 41 Prozent der AfD-Anhänger. Die Studie ist keine Spielerei: Wer sich in der Wahlkabine an mehrere solcher angeblichen Skandale erinnert, macht sein Kreuzchen leichter bei rechtspopulistischen Parteien.

„Das Muster bei solchen Zyklen ist immer ähnlich: am Anfang steht eine journalistische Ungenauigkeit, die etwa von der AfD dankbar aufgenommen wird“, schildert Alexander Sängerlaub, der an der Fake-News-Studie gearbeitet hat. Aus einem wahren Kern stricken rechtspopulistische Parteien oder die sie umgebenden Onlinemedien Fake News – von Sängerlaub beschrieben als „Teil einer Kommunikationsstrategie, um Weltbilder aufrecht zu erhalten. Wenn die Welt nicht dramatisch genug ist, werden Fakten eben verdreht“. Allerdings setzten auch etablierte Medien Fake News in die Welt – etwa die „Bild“, die der Überschrift halber einfach mal überhöhte Zahlen zu fehlenden Schulabschlüssen von Flüchtlingen in die Welt setzt.

Das Problem ist weniger, dass solche Falschmeldungen nicht erkannt oder korrigiert würden. Doch wenn die dpa ihre Schorndorf-Meldung nachbessert oder der ARD-Faktenfinder Falschinformationen aufdeckt, sind die Fake News längst in der Welt – und erreichen gerade nicht jenes Publikum, dessen Weltbild von der Falschmeldung mal wieder bestätigt wurde. Dies liegt an der in solchen Kreisen kaum mehr vorhandenen Glaubwürdigkeit herkömmlicher Medien, aber eben auch daran, dass sich Fake-News-Jünger in abgeschrimten Mediennetzwerken bewegen, wie groß angelegte Studien der Universität Venedig zeigen. Auch wohlmeinende Internetnutzer tun sich manchmal schwer: Fast die Hälfte der Über-45-Jährigen fühlt sich beim Erkennen von Fake News überfordert, ergab im Frühjahr eine Forsa-Umfrage im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien.

Fake-News sind erfolgreicher als Korrekturen

Insgesamt erzielen Fake News im Netz mehr Reaktionen als Beiträge, die solche Falschmeldungen korrigieren, berichtet Alexander Sängerlaub – zumindest, wenn zunächst herkömmliche Medien über die Vorgänge berichten und damit entsprechende Aufmerksamkeit für ein Thema erzeugen. Der Rest ist Interpretation, und da tut sich etwa die AfD bei ihren Anhängern oftmals leicht. Frei erfundene Fake News hätten es hierzulande dagegen schwer und würden schnell entlarvt. Insofern, so Sängerlaub, sei die Lage hierzulande noch nicht so schlimm wie etwa in den USA.

Im Fall der Schorndorfer Randale zeigt Sängerlaubs Auswertung, dass unmittelbar nach der dpa-Meldung die Produktion von Facebook-Posts in den Kanälen der Rechtspopulisten auf Hochtouren lief. Nach dieser ersten Welle kamen erst die korrigierenden Berichte, die in den sozialen Medien aber längst nicht mehr so stark beachtet wurden.

Wo ansetzen? Faktenchecker wie die von der ARD oder dem Netzwerk Correctiv können Fake News zwar nicht aus der Welt schaffen, helfen aber einigen Aufrechten, in die Diskussionen auch auf rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Seiten einzugreifen. Politiker könnten sich mit dem Wissen um die Nachrichtenzyklen im Netz genauer überlegen, welche Themen sie aufgreifen können, ohne absichtlich falsch interpretiert zu werden. Dazu kommt eine besondere Sorgfaltspflicht bei klassischen Medien, allen wirtschaftlichen Zwängen zum Trotz. Schließlich, so Alexander Sängerlaub, „sind Fake News ausgerechnet dann am erfolgreichsten, wenn der Journalismus schludert“.