Es ist nicht das erste Mal, dass nach einem Anschlag der Ausweis eines mutmaßlichen Täters entdeckt wurde. Experten haben dafür verschiedene Erklärungsansätze.

Berlin - Der wegen des Anschlags in Berlin gesuchte Tunesier Anis Amri konnte durch ein Ausweisdokument identifiziert werden. Das Dokument zu seiner Duldung als Asylbewerber lag im Fußraum des Lkws, mit dem ein Attentäter am Montagabend in einen Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz gerast war. Es ist nicht das erste Mal, dass nach einem Anschlag ein Ausweis eines mutmaßlichen Täters entdeckt wurde. Experten zufolge passiert das möglicherweise, um eine Art Visitenkarte zu hinterlassen.

 

Ausweise auch in Paris und Nizza

Auch die Attentäter, die Anfang 2015 die Redaktion der Zeitung „Charlie Hebdo“ in Paris gestürmt hatten, ließen einen Ausweis in ihrem Auto zurück. Ebenso tat es einer der Angreifer der Terrornacht von Paris am 13. November 2015. Auch der Ausweis des Tunesiers, Mohamed Lahouaiej Bouhlel, der in Nizza ähnlich wie der Attentäter von Berlin in eine Menschenmenge gerast war, wurde in dem Lkw gefunden. Alle Angreifer in diesen Fällen wurden getötet und konnten nicht mehr gefragt werden, warum sie Ausweise zurückließen.

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„Es könnte sein, um eine Spur zu hinterlassen, und potenzielle Behauptungen zu bekräftigen, dass man für die Tat verantwortlich ist“, sagt Otso Iho von der Jane’s Information Group. „Es ist so oft passiert, dass vermutlich ein Kalkül dahinter streckt.“

Eine Art Lebensversicherung

So nehmen Selbstmordattentäter in manchen Fällen bewusst Ausweispapiere mit, um sicherzustellen, dass ihre Identität bekannt wird. Einige Terrororganisationen „belohnen“ im Anschluss die Familie des „Märtyrers“ finanziell, der Ausweis ist quasi die Police dieser „Lebensversicherung“. Der Psychologieprofessor Jan Kizilhan von der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen, Autor des Buches „Die Psychologie des IS“, sieht in einem zurückgelassenen Ausweis auch eine Art Mahnung an die eigenen Leute. Dem ARD-POlitikmagazin „report München“ sagte er: „Sie wollen damit ihrer Gemeinschaft eine Botschaft als Märtyrer hinterlassen.“

Es ist aber eher zweifelhaft, ob das auch eine durchgängige Strategie der Terrormiliz „Islamischer Staat“ bei Anschlägen in Europa ist. Auch Christoph Sydow, beim „Spiegel“ Spezialist für Terrorismus-Themen, hatte keine Antwort: „Mir ist nicht bekannt, dass die IS-Propaganda Terroristen dazu auffordert, ihre Ausweise am Tatort zu hinterlassen“, twitterte er.

Menschliches Versagen

Der Sicherheitsexperte Fred Burton, Vize-Präsident des US-Analysedienstes Stratfor und dort Experte für Terrorismusbekämpfung, glaubt an einen naheliegenden Grund: „Menschliches Versagen, würde ich sagen. Keine Erfahrung. Diese Leute landen nicht das Space Shuttle“, erklärte er. Dass der mutmaßliche Terrorist Papiere mit sich führte, ist aus der Logik des Terrors durchaus nachvollziehbar. Ein möglicher Terrorplan soll nicht an einer Kontrolle scheitern, bei der der Täter keine Papiere vorweisen kann.

Die Praxis des „Racial Profiling“, eine Kontrolle von Personen wegen ihres Aussehens und der vermuteten ethnischen Herkunft, wird von Behörden abgestritten. Doch das Risiko einer Überprüfung ist höher für Menschen, die eine ausländische Herkunft vermuten lassen. Der Tunesier könnte deshalb das Papier griffbereit gehabt und in der Ausnahmesituation tatsächlich vergessen haben.