Das Missmanagement in Berlin trifft alle Bürger. Wochenlang wird auf einen Termin bei Meldebehörden gewartet, das Chaos im Lageso ist symptomatisch.

Redegewandt ist er. Und so sind Klaus Wowereit, dem früheren Regierenden Bürgermeister von Berlin, Formulierungen gelungen, die zu geflügelten Worten geworden sind. Dass Berlin „arm, aber sexy“ sei, ist so ein bekannter Wowereit-Spruch. Und dass die Hauptstadt sparen müsse, bis es quietscht. Das „Quietschen“ ist den 3,5 Millionen Berlinern denn auch leidlich bekannt – und zwar schon lange bevor die unhaltbaren Zustände am inzwischen berühmt-berüchtigten „Lageso“ Schlagzeilen machten.

 

Viel Unmut bereitet seit Monaten, dass die Bürgerämter einen miserablen Service bieten. Wer dieser Tage zum Beispiel auf der Internetseite des Bürgeramts Friedrichshain-Kreuzberg versuchte, einen Termin zur Anmeldung seiner Wohnung zu vereinbaren, der musste feststellen, dass bis 12. Februar 2016 alle Termine ausgebucht sind. Zum Vergleich: wer beispielsweise bei der Freiburger Stadtverwaltung am Freitag nach einem Termin ersuchte, der erhielt für den 30. Dezember mehr als 20 Terminvorschläge. Aber zurück nach Friedrichshain-Kreuzberg: auch für die Zeit nach dem 12. Februar lassen sich dort keine Termine finden. Die würden, heißt es auf der Internetseite, nur mit einem gewissen Vorlauf angeboten: „Schauen Sie in den nächsten Tagen wieder nach.“

Aus der Servicewüste bei den Bürgerämtern haben Unternehmer jetzt ein Geschäftsmodell gemacht. Sie sammeln mit Hilfe einer ausgeklügelten Software, was immer in den 44 Ämtern an Terminen verfügbar ist. Wer 45 Euro bezahlt, der kann innerhalb von 48 Stunden sein Anliegen bei der Behörde abwickeln. Ansonsten bleibt nur, sich frühmorgens in Schlangen einzureihen und zu hoffen, dass man nach stundenlangem Warten aufgerufen wird.

An der Spree ist nichts zu spüren von Verwaltungseffizienz

Dass an der Spree von der berühmten deutschen Verwaltungseffizienz nichts zu spüren ist, hat mit der eigentümlichen staatlichen Konstruktion zu tun. Berlin besteht aus zwölf Bezirken, die die Rolle der Kommunen einnehmen. Doch von einer stolzen kommunalen Selbstverwaltung, wie man sie im Südwesten kennt, kann keine Rede sein. Die Bezirksbürgermeister werden nicht direkt vom Volk gewählt. Bei der Wahl der Bezirksverordnetenversammlung kann der Bürger ohne Kumulieren und Panaschieren nur zwischen fixen Parteilisten wählen. Eigene Steuereinnahmen haben die Bezirke nicht. Die fließen dem Senat, also der Landesregierung, zu, der dann den Bezirken Budgets zuteilt. Offiziell sind die Bezirke eigenständig, das heißt: Es gibt keine Fachaufsicht seitens des Landes. Tatsächlich aber gehen sie am Gängelband des Senats.

So hat der Berliner Senat verfügt, dass die Bezirke knapp 1500 Stellen streichen müssen. Das ist nicht wenig, wenn man bedenkt, dass alle Bürgerämter zusammen 548 Vollzeitstellen haben, mit denen sie mehr als 1,7 Millionen Verwaltungsvorgänge im Jahr bearbeiten. Irgendein System beim Sparen gibt es aber nicht. Berlin hat in den vergangenen 16 Jahren keine sogenannte Aufgabenkritik gemacht – also überlegt, welche Leistungen die öffentliche Hand erbringen muss, was davon sinnvollerweise vom Land und was auf der kommunalen Ebene erledigt wird. Ungeklärt ist auch, wie viele Mitarbeiter wirklich beim Senat und den Bezirken nötig sind und wie sich das Ganze mit moderner Software effizient abwickeln lässt. Ja, Berlin hat gespart – aber leider ohne Konzept und Verstand.

Personalkürzungen im Bürgeramt

Der Grünen-Landtagsabgeordnete Thomas Birk schildert, wie sich die Sparvorgabe auswirkt: Im Bezirk Tempelhof-Schöneberg ist der Stadtrat, der die Bürgerämter unter sich hat, auch für das Jugendamt zuständig. Dort zu sparen hätte das Risiko bedeutet, dass das Amt mangels Personal oder wegen überlasteter Mitarbeiter die Gefährdung oder Misshandlung eines kleinen Kindes nicht rechtzeitig erkennt.

Also kam es in den Bürgerämtern von Tempelhof-Schöneberg zu einer Personalkürzung von mehr 25 Prozent. Birk kämpft seit Jahren dafür, dass die Berliner Verwaltung moderne IT-Verfahren nützt. Schon 2009 sei beschlossen worden, die 100 wichtigsten Leistungen – von der Baugenehmigung über die Anmeldung als neuer Einwohner bis zum Sozialhilfe-Antrag – zu vereinheitlichen. „Nur bei einem standardisierten Verfahren kann ein Softwareentwickler ein sinnvolles IT-Verfahren finden“, betont Birk. Bislang gebe es den gemeinsamen Standard aber nur für acht Leistungen. Kein Wunder also, dass viele Schulen, Straßen und Gehwege verrotten und in der Millionenmetropole Staus allein deshalb entstehen, weil die Baustellenkoordinierung nicht funktioniert.

Seltsamer Kampf gegen Ferienwohnungen

Wenig aussichtsreich war anfangs auch der Kampf gegen Ferienwohnungen. Während in den Innenstadtbezirken bezahlbarer Wohnraum ausgesprochen rar ist, gibt es schätzungsweise 12 000 Ferienwohnungen. Der Senat ging per Gesetz gegen diese „Zweckentfremdung“ vor und beschloss, dass die Behörden dafür Auskünfte beim Bezirks-, Bürger-, Wirtschafts- und Grundbuchamt sowie im Handelsregister und bei der Investitionsbank einholen konnten.

Nur dort, wo alle Welt eine Ferienwohnung sucht, durften die Beamten nicht recherchieren: im Internet. Auch wenn dieser Schildbürgerstreich inzwischen abgestellt ist: Es bleiben viele Missstände, die die Berliner in einer Mischung aus Wut und Fatalismus nolens volens hinnehmen. Ein Trost mag ihnen dabei sein, dass die Schnoddrigkeit Berlins Tradition hat. Als im 19. Jahrhundert der Komponist und Dirigent Felix Mendelssohn Bartholdy gefragt wurde, ob er eine Aufgabe an der Spree übernehmen wolle, lehnte er ab. In Berlin herrsche immer das gleiche Prinzip: „Groß der Plan, winzig die Ausführung.“