Wie steht es um eine „heimliche Agenda“ der FDP?

Deutlich schwerer wiegt in Köpfen von Unionisten und Grünen ein Eindruck vom frühen Freitagmorgen: Als CSU-Chef Horst Seehofer zu diesem Zeitpunkt zum allerersten Mal Kompromissbereitschaft beim Nachzug von Flüchtlingsfamilien gegenüber den Grünen signalisiert habe – um diesen Punkt war zuvor erbittert gerungen wurden -, legte demnach ausgerechnet Lindner sein Veto ein. Seehofer wäre nach dieser Lesart rechts von der FDP überholt worden, womit er nicht zurück nach München hätte fahren können. Die Verhandlungen mussten ins Wochenende hinein verlängert werden. Die Grünen warfen unter anderem deshalb der FDP nach Abbruch der Sondierungen vor, so weit rechts zu stehen wie seit 1968 nicht mehr und der AfD deutschnationale Wähler abjagen zu wollen. Für die FDP ist dies hingegen „Quatsch“ und mithin im Nachhinein ein weiterer Beleg dafür, dass vor allem mit den Grünen kein vertrauensvolles Miteinander möglich gewesen wäre. Lindner habe seine Verhandlungsposition in der Flüchtlingspolitik, die ein Kompromissangebot gewesen wäre, nicht geändert, und habe vielmehr die völlig zerstrittenen CSU- und Grünen-Vertreter aufgefordert, sich selbst erst mal beim Familiennachzug anzunähern und dann wieder an die FDP heranzutreten. Gegen die Rechtsauslegerthese der Grünen spricht, dass die FDP sich, gemeinsam mit den Grünen, vehement für ein modernes Einwanderungsgesetz eingesetzt hatte – und dieses übrigens wohl auch bekommen hätte. Eine weitere Theorie, die auch in der CDU zu hören ist, sieht als Ziel der FDP-Operation sogar den Sturz von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deren parteiinterner Kritiker Jens Spahn, Finanzstaatssekretär, Präsidiumsmitglied und privat eng mit Lindner befreundet, hätte im Zusammenspiel mit dem FDP-Chef und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die „Jamaika“-Verhandlungen bewusst torpediert. So erklärt sich zumindest die Grüne Claudia Roth die stetigen Angriffe während der Verhandlungsphase auf ihre Partei: „Diese Boygroup Lindner-Dobrindt-Spahn hat wohl gedacht, die Grünen koffern wir mal an, vielleicht um die Kanzlerin zu treffen.“ Belege für einen solchen strategischen Masterplan gibt es zwar nicht und jene, die solche Gerüchte streuen, tragen gewiss keine Liebe für Lindner, Spahn oder Dobrindt im Herzen. Aber zumindest in der FDP-Führung lässt sich schon erspüren, dass dort viele ein schnelles Ende Merkels nahen sehen. Merkel habe nach deren Deutung enorm an Autorität eingebüßt, könne deshalb nicht mehr verlässlich führen und es gibt Führungskräfte in der FDP, die darin den Hauptgrund für das Scheitern Jamaikas erkennen. Ihre Methode, ohne inhaltliche Positionierung rein machttaktisch motiviert Politik zu betreiben, sei am Ende, heißt es bei den Liberalen. Lindner selbst hat noch während der Sondierungen über ein Ende der Ära Merkel nach dieser Wahlperiode laut nachgedacht, fortan allerdings wohlweislich geschwiegen.