Der Berlinale-Eröffnungsfilm „My Salinger Year“ erinnert ans analoge Zeitalter und zeigt, welche Wirkung große Literatur auf Menschen haben kann.

Berlin - Eine hübsche kleine Dramödie ist der Berlinale-Eröffnungsfilm „My Salinger Year“. Er erzählt nach einer autobiografischen Erzählung der Autorin Joanna Rakoff von ihr selbst als Studentin (Margaret Qualley), die im New York der 1990er Jahre für die resolute Margaret (Sigourney Weaver) arbeitet, eine Literaturagentin alter Schule. Deren wichtigster Kunde ist der Autor J. D. Salinger, der sich nach dem Erfolg seines Erstlings „Der Fänger im Roggen“ (1951) aus der Öffentlichkeit zurückzog. Während sein 17-jähriger Protagonist Holden Caulfield zum Idol von Generationen entfremdeter Heranwachsender wurde, blieb Salinger ein Phantom. Fanpost bekam er weiterhin reichlich, und Joannas Aufgabe ist es, darauf mit Standardbriefen zu antworten, woran sie sich nicht immer hält. Die Szenen in der mit Charakterfiguren bevölkerten Agentur sind köstlich, geprägt von feinem Humor und der Leidenschaft von Menschen für Kunst, mit der sie sich identifizieren. Beim Exkurs in Joannas Privatleben und der Darstellung ihres Ringens mit Beziehungen dagegen produziert der frankokanadische Regisseur Philippe Falardeau manche Überlänge. Unterhaltsam genug für den ersten Berlinale-Abend ist „My Salinger Year“, der nicht im Wettbewerb läuft, sondern in der Reihe Berlinale Special – das widersinnige Etikett „außer Konkurrenz“ hat die neue Festivalleitung abgeschafft.

 

Machen Computer mehr Arbeit als sie erledigen helfen?

Außerdem bringt der Film Sigourney Weaver auf den roten Teppich, die untrennbar mit ihrer Figur Ripley und der „Alien“-Reihe verbunden ist. Im aktuellen Film hat sie sichtlich Lust daran, eine distinguierte Bewahrerin des Bewährten zu spielen, die Computer hasst und wenig von sich preisgibt. „Margaret fühlt sich wie eine Hohepriesterin, die einen kleinen Teil der Literatur retten möchte. Sie ahnt, dass alles zusammenbrechen wird, wenn sie geht“, sagt Weaver vor der Presse. „Sie hat Computer im Verdacht, mehr Arbeit zu erzeugen, als sie erledigen helfen.“

Diese Passagen zählen zu den komischsten, obwohl sie auf die dramatische Zeitenwende hin zur Internetära verweisen, an deren Schwelle die Geschichte spielt. „Wir kämpfen ja noch damit, versuchen Halt zu finden“, sagt Falardeau – „in der alten Welt hatte das geschriebene Wort viel größeres Gewicht.“