Am zweiten Tag offenbart das Festival, welche Welten zwischen Filmen und Mentalitäten liegen können.

Berlin - Unterschiedlicher kann Film kaum sein: Disney feiert am Freitag in Berlin die Weltpremiere der magischen Coming-of-Age-Komödie „Onward“ aus dem Hause Pixar, ein buntes Trick-Abenteuer, das der Reihe Berlinale Special Hochglanz-Prestige bringt; parallel dazu nähert sich die kunstvolle, maximal herausfordernde Biografie „Hidden away“ dem stark deformierten Künstler Antonio Ligabue und setzt im Wettbewerb ein europäisches Ausrufezeichen.

 

Alle Filmfestivals müssen mit diesem Widerspruch umgehen, mit unterschiedlichen Kunstbegriffen und ungleichen Produktionsmitteln. Wie schon beim Berlinale-Auftakt zeigt sich: Es ist richtig, die Sphären klar voneinander zu trennen und große US-Produktionen nicht mehr „außer Konkurrenz“ im Wettbewerb mitlaufen zulassen.

Eine muntere Rollenspiel-Fantasie

„Onward“ erzählt von einer Gegenwart, die der aktuellen entspricht, nur dass sie von Elfen, Trollen und anderen mythischen Wesen bevölkert ist. Diese haben ihre magischen Fähigkeiten verloren, weil der technische Fortschritt sie überflüssig gemacht hat. Zwei ungleiche Elfenbrüder bekommen einen Zauberstab in die Hand, mit dem sie ihren verstorbenen Vater für einen Tag wieder zurückholen können, doch es gibt Komplikationen, und schon kommt eine muntere Rollenspiel-Fantasie ins Gang. „Onward“ ist keine Pixar-Filmkunst wie „Wall-E“, sondern ein witziger, unterhaltsamer und anrührender Publikumsfilm wie „Die Monster Uni“ (2013), der ebenfalls von dem Regisseur und Drehbuchautor Dan Scanlon stammt.

„Mein Vater starb, als ich eins war und mein Bruder drei – die Grundkonstellation ist also wie beim mir“, sagt dieser auf der Pressekonferenz. Sechseinhalb Jahre hat er an dem Film gearbeitet, über 300 Trickser bei Pixar waren beteiligt. „Denen muss ich nicht sagen, wie sie ihren Job machen sollen, die kommen von sich aus mit Ideen an, die magischer sind, als ich mir es je hätte erträumen können“, sagt Scanlon. „Ich bin als Regisseur dazu da, ihnen die Dramaturgie und die Emotionen in einer Szene nahezubringen und sie zu inspirieren.“ Eines ist ihm besonders wichtig, und es klingt sehr amerikanisch: „Wir wollten keinen Anti-Technologie-Film machen, uns geht es um eine Balance: Leben heißt auch, sich ab und zu aus der Komfortzone herausbewegen und etwas zu wagen.“

Ein Monster wird Künstler

Jenseits jeglichen Komforts wächst Antonio Ligabue Anfang des 20. Jahrhunderts bei Schweizer Pflegeeltern auf, die an dem unerziehbaren Kind verzweifeln. Weil Toni Italiener ist, schicken ihn die Schweizer irgendwann zurück über die Grenze. Er lebt als verhöhnter Sonderling in einer halbverfallenen Hütte am Ufer des Po, bis der im nahen Gualtieri lebende Maler Marino Mazzacurati sein Talent entdeckt. Einige Psychiatrie-Aufenthalte später gelingt es Antonio Ligabue, sich eine Existenz als Kunstmaler aufzubauen.

Schiefer Gang, hängende Unterlippe, starrer Blick, gruslige Tier-Imitationen: Der Italiener Elio Germano macht aus Ligabue sehr konsequent ein Monster, von dem man nicht den Blick wenden kann – ähnlich wie einst Ron Pearlman als Klostertrottel Salvatore in „Der Name der Rose“. Germano ist definitiv ein Anwärter auf den Schauspiel-Bären. Der Regisseur Giorgio Diritti zeigt den Mann und seine naive Kunst, die auf ihre Art eine Magie verströmen, in einem virtuosen Bilderreigen, eingebettet in Gemäldeansichten historischer Kulissen und Naturaufnahmen.

Dabei schenkt Diritti den Zuschauern nichts – die erste Stunde, in der aus einem geschundenen Kind ein Schmerzensmann wird, ist schwer zu überstehen. Bei Pixar wären nur 30 Sekunden davon undenkbar.