Armin Petras, der künftige Stuttgarter Theaterintendant, erinnert in seinem Berliner Gorki-Theater zwei Wochen lang an Heinrich von Kleist.

Berlin - Im Heckengarten der Tronkaburg dampfen Kessel über offenem Feuer, es wird Glühwein ausgeschenkt und eine scharfe und dünne Suppe, die ein ungarisches Gulasch sein soll. Nebenan in der Burg lärmen die Zecher. Eine schöne milde Novembernacht in Berlin. Wann kommt Michael Kohlhaas, der Rächer Kleists, und lässt die Burg in Flammen aufgehen?

 

Kohlhaas hätte leichtes Spiel, denn die Tronkaburg ist eine zwar imposante, aber doch aus alten Theaterkulissen zusammengenagelte Holzbude hinter dem Maxim-Gorki-Theater. Den labyrinthischen Burggarten hat das Künstlerduo Franz Höfner und Harry Sachs aus militärischen Tarnnetzen gebaut. Ihr "Kleistpark" steckt voller ironischer Anspielungen auf Motive des Dichters - und bis zu dessen 200. Todestag am 21. November findet rund um diesen Themenpark an mehreren Spielstätten ein großes Kleist-Festival statt. Die hölzerne Burg bietet reichlich Platz für die Vortragsreihe "Kleist im Diskurs" und "Fachbesuche" von Kriminalisten, Erdbebenforschern, Juristen und Psychiatern. In den klaustrophobischen Kellergängen des Theaters selbst ist eine Videoinstallation der Filmemacher Harun Farocki und Antje Ehrmann zu sehen, zusammengeschnitten aus Kriegsfilmen. Im schrammeligen Dachgeschoss wartet die ungarische Regisseurin Ildikí Enyedi auf Besucher, die ihren Lieblingstext von Kleist vor der Kamera lesen wollen. Zum Kleistpark gehört auch das nahe ungarische Kulturinstitut. In Ungarn genießt der preußische Dichter - man höre und staune - geradezu Kultstatus. So kommt es, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert am Dienstag im Collegium Hungaricum über Kleists gescheiterte Karrierepläne im Staatsdienst spricht.

Armin Petras präsentiert komplettes Dramenwerk

Aber neben all den Medien- und Diskursexperimenten mit Kleist wird tatsächlich auch Theater gespielt. Das vom künftigen Stuttgarter Theaterintendanten Armin Petras geleitete Gorki-Theater präsentiert das komplette Dramenwerk in alten und neuen Inszenierungen. Der Regisseur Jan Bosse machte den Anfang mit dem "Käthchen von Heilbronn". Vorab ließ er verlauten, dass er das Stück für nicht sehr gelungen hält. Mit seinem großen historischen Ritterschauspiel habe Kleist den Erfolg als Dramatiker erzwingen wollen, deshalb funktioniere des überladene Stück hinten und vorne nicht. Doch im Kleist-Jahr muss auch dieses Werk irgendwie auf die Bühne.

Bosse seinerseits will den Erfolg erzwingen, indem er dem Stück erst alle verdächtige Romantik austreibt und es dann mit Späßchen, Mätzchen, Puppenspiel, Pyrotechnik, Schaumbad und sonstigem Budenzauber zu einem Spektakel aufbrezelt. Das hat Bosse allerdings auch schon besser gemacht. Die alles beherrschende Figur ist ein Graf Wetter vom Strahl, der nicht mehr sein darf als ein tumber Rittersmann in rasselnder Rüstung. Joachim Meyerhoff gibt mit seiner enormen physischen Präsenz den Haudegen, Großsprech, Kindskopf und Gefühlskrüppel, einen furchtbar lächerlichen Ritter von trauriger Gestalt. Zu zärtlichen Gefühlen für Käthchen ist der Kriegsmann nicht in der Lage, sein Begehren drückt sich in geilem Gestammel aus. Im dem berühmten Käthchen-Mädchen-Monolog legt Meyerhoff die Betonung so penetrant auf das Wort "Erguss", dass alle andere Sehnsuchtsformeln nur noch wie verlogenes Beiwerk klingen.

Viel Wind um Kleist

Damit ist - schon zu Beginn des zweiten Akts - der Abend gelaufen: Dieses Mannsbild bleibt so hohl wie seine Rüstung. Da steckt inwendig rein gar nichts, worum man in den noch folgenden drei Stunden bangen oder worauf man hoffen könnte.

Armes Käthchen! Mit wachsender Resignation rennt Anne Müller gegen diesen Panzer an. Kein zartes Mädchen, sondern eine knabenhafte Person mit Kurzhaarfrisur. Käthchen weiß selbst nicht, wie ihr geschieht, als Getriebene zieht sie in einer trostlosen Bühnenwelt hinter dem Geliebten her. Als der Ritter dieses Käthchen dann als Braut in die Arme schließen will, seufzt sie "Schütze mich Gott und alle Heiligen!" - und ist plötzlich durch einen Theatertrick spurlos verschwunden. Aufatmen: es gibt doch noch Götter und Regisseure, die am Ende Gnade walten lassen.

Käthchens Gegenspielerin Kunigunde (Sabine Waibel) ist eine Verführungsmaschine, die blitzschnell die Kostüme und die Haarfarbe wechselt. Matti Krause, Ruth Reinecke und Albrecht Schuch teilen sich alle übrigen Rollen souverän mit den drei Puppenspielern der Gruppe "Das Helmi". So rettet ein geflügelter Engel aus weißen Schaumstoffabfällen das todesmutige Käthchen aus der brennenden Burg von Thurneck. Der Bühnenbildner Stéphane Laimé hat einen Gestängewürfel mit Theatervorhängen mitten auf die Drehbühne gestellt, der sich geschwind in alle benötigten Schauplätze verwandeln lässt.

Aufführung lässt sich nicht auf Kleists Text ein

Die Aufführung passt in das ganze Kleist-Spektakel, das drum herum entfesselt wird. Oberflächlich hält sie sich an Kleists Text, lässt sich aber nicht wirklich darauf ein. Sie macht viel Wind um Kleist, ohne ihn als Dramatiker ernst zu nehmen. So aber bleibt fraglich, warum man sein Ritterspiel rund ums "Käthchen von Heilbronn" heute überhaupt noch zeigen muss.

Nach diesem Muster funktionieren viele Projekte in diesem Kleist-Jahr, das die Bundeskulturstiftung mit 2,3 Millionen Euro gefördert hat. Es wird munter alles ausprobiert, angeblich um die Anschlussfähigkeit des Projektemachers Kleist an die Gegenwart zu beweisen. In Wahrheit dient sein großer Name aber dann doch nur der Legitimation eigener Beliebigkeit. Gewiss, am Ende des Jahres wird niemand mehr in Abrede stellen können, dass man mit Kleist heute viel anfangen kann. Aber wer überzeugt uns, dass man es auch muss?

Weitere Aufführungen des "Käthchens von Heilbronn" am 6. und 21. Dezember.

Kleist und das Festival

Grab: Am 21. November 1811 schied Kleist am Berliner Wannsee aus dem Leben. Erst erschoss er seine Geliebte Henriette Vogel, dann sich selbst – der spektakulärste Doppelselbstmord der Literaturgeschichte. Bis zum 200. Todestag soll der Park um die Grabstätte am Kleinen Wannsee fertig renoviert sein. Vom 11. November an sind am S-Bahnhof Wannsee Audioguides mit einem Hörspiel von Paul Plamper ausleihbar: eine Art akustisches Kleist-Denkmal.

Kundus: Unter dem Titel "Kleist in Kundus" wird auch in Potsdam ein Audiowalk angeboten. Dort, wo Kleist einst stationiert war, befindet sich heute das Afghanistan-Einsatzkommando der Bundeswehr.

Festival: Das dicht bepackte Kleist-Programm läuft bis zum 21. November. Täglich finden mehrere Veranstaltungen im Gorki und anderswo statt.

Weitere Infos unter www.gorki.de