Das Thema Stuttgart 21 ist immer wieder ein dankbares Thema für Kunst und Kultur. Die Malerin Yulia Kazakova hat das heiße Eisen angepackt – scheint es sich aber mit niemandem verscherzen zu wollen.

Stuttgart - Es war sehr leer, sehr sauber und sehr ruhig.“ Genau das Gegenteil von dem, was Yulia Kazakova erwartet hätte. Im Juni 2017 durfte die Berliner Malerin zum ersten Mal an den Ort, über den ganz Stuttgart redet, den aber nur wenige selbst gesehen haben: die unterirdische Baustelle für den neuen Tiefbahnhof. Mit der Ortsbesichtigung begann für die Künstlerin eine Werkreihe über S21, die bis heute nicht abgeschlossen ist. In der Stuttgarter Galerie Z zeigt Kazakova nun eine Art Zwischenergebnis.

 

Architektur- und Industriemotive bilden seit rund zehn Jahren den Schaffensschwerpunkt der 1980 geborenen Deutschrussin. Wie in klassischer Vedutenmalerei sind die Räume weit aufgespannt, die Perspektiven präzise konstruiert. Doch gleichzeitig unterlaufen Störfaktoren den vordergründigen Realismus. Auch in den S21-Bildern gerät einiges durcheinander, und die berühmten Kelchstützen des Tiefbahnhofs stehen plötzlich oberirdisch. Oder der Torso des Bonatz-Bausverwandelt sich in eine Attrappe aus braunem Pappkarton, während in der Tunnelbaustelle schon Reisende mit Koffern umherspazieren. Die Stimmung der von Sand- und Stahlfarben bestimmten Bilder ist dagegen merkwürdig entrückt. Nichts deutet darauf hin, dass es sich hier um einen politischen Kampfschauplatz handelt.

Spannung zwischen Faszination und Schrecken

Doch in den technischen Geräten wie der monumentalen Tunnelbohrmaschine liegt eine Spannung zwischen ästhetischer Faszination und Schrecken. Doppeldeutige Kommentare geben auch die kleinformatigen Staffagefiguren ab. Das sich innig umarmende Paar zum Beispiel. Eine alltägliche Abschiedsszene? Oder trösten sich beide gegenseitig, weil der Kampf um Parkbäume und oberirdische Gleise verloren ist?

Deutlich merkt man dieser doppelten Lesbarkeit an, dass die Künstlerin versucht hat, einen Eiertanz zu vollführen. Einerseits wollte sie sich neutral halten, andererseits aber auch nicht ganz auf jene Reibungsflächen verzichten, die ein Kunstwerk erst interessant machen.

Wirklich gut getan hat der Rückzug auf die Ambivalenz Kazakovas Bildern nicht, ragen sie doch kaum aus dem magisch verrätselten Einheitsstil der neudeutschen Figuration heraus. Künstlerische Versuche, sich offensiver mit dem Bahnprojekt auseinanderzusetzen, gab es in der Vergangenheit durchaus. Bislang aber haben vorwiegend unabhängige Institutionen oder Off Spaces das heiße Eisen angepackt. Dass sich eine kommerzielle Kunsthandlung, wenn sie das Wagnis einer Ausstellung zu S21 eingeht, vorsichtiger positioniert, ist durchaus nachvollziehbar.

Nicht alle Sammler mögen politisch aktive Galeristen

Stefan Zimmermann von der Galerie Z wird den Fall seines Kollegen Freerk Valentien kennen. Dieser machte aus seiner überzeugten S21-Gegnerschaft kein Hehl und sprach entsprechend klare Worte auf einer Montagsdemonstration. In der Folge, so verriet Valentien in einem Interview unserer Zeitung zu seinem 80. Geburtstag, hätten mehrere Sammler seiner Galerie den Rücken gekehrt.

Auch Kazakova war von Anfang an bewusst, auf welch vermintem Terrain sie sich bewegt. Sie habe die Werkreihe ausführlich mit Zimmermann besprochen, über den auch der Kontakt zur Bahn wegen der Baustellenbesichtigung zustande kam. „Dass ich aus Berlin bin und aus einer gewissen Distanz auf die Sache blicke“, sagt Kazakova, „hat mir sicher geholfen.“

Die Berliner Künstlerin will die gegnerischen Parteien ins Gespräch bringen

So erhielt sie auch eine Fotogenehmigung. Die Aufnahmen dienten als Vorlage für die Gemälde. Darüber hinaus führte Kazakova Gespräche mit Befürwortern wie Gegnern des Vorhabens. „Ich war überrascht, wie unversöhnlich sich beide Seiten immer noch gegenüberstehen.“ Bei längerem Zuhören habe sie aber auch erfahren, dass es durchaus Berührungen in den unterschiedlichen Lagern gibt. „Die extreme Verteuerung“, erfuhr sie, „wird mittlerweile überall kritisch gesehen.“

Dass sie selbst keine klare politische Stellung bezieht, begründet Kazakova folgendermaßen: „Als Künstlerin aus Berlin, die persönlich nicht betroffen ist, kann ich den Konflikt nicht lösen. Aber ich kann mit meinen Bildern ein Angebot an beide Parteien machen, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. “

Ob dieses Gesprächsangebot angenommen wird? Einige Freunde der Galerie, sagt Stefan Zimmermann, hätten auf eine Teilnahme an der Vernissage verzichtet und dabei explizit das Ausstellungsthema als Grund genannt. „Gewundert hat mich dabei, dass die Absagen ausschließlich von Projektgegnern kamen.“

Bis 16. März, Rosenbergstr. 104, Mi 13-21, Do, Fr 13-19, Sa 11-16 Uhr.