Die Dieselkrise hat die deutschen Politiker jetzt auch persönlich und praktisch erreicht. Der Grund: Seit dem Verwaltungsgerichtsurteil vom Dienstag ist das Berliner Regierungsviertel von fahrverbotsbedrohten Straßenabschnitten geradezu umringt. Auch die Kernzone der Macht ist betroffen.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Politisch kann die Dieselkrise mit drohenden Fahrverboten in deutschen Städten schon lange keinen Politiker in Deutschland mehr kalt lassen. Aber praktisch und persönlich konnten viele der 709 Bundestagsabgeordneten, die Kanzlerin, die 15 Bundesminister und zig Staatssekretäre, tausende Beamte und Mitarbeiter bisher noch drei Kreuze machen, weil ihr Arbeitsplatz in Berlin weit genug weg waren vom Stuttgarter Neckartor und den 14 besonders mit Stickoxidemissionen belasteten und deshalb von Dieselfahrverboten betroffenen Städten.

 

Fahrverbote bringen Sand ins Getriebe des praktischen Politikbetriebs

Das hat sich am Dienstag geändert. Seit das Berliner Verwaltungsgericht sein Urteil über Fahrverbote gefasst hat, ist das Regierungsviertel mit fast allen wichtigen politischen Adressen von fahrverbotsbedrohten Straßenabschnitten fast schon umzingelt. Zwar weiß man noch nicht genau, ob der Berliner Senat in Berufung geht, und wie er die Fahrverbote genau zuschneidet, ob es Ausnahmegenehmigungen gibt, und wer sie erhalten kann – aber solche lebenspraktischen Unsicherheiten kennen Bürger und Dieselfahrer in den bekannten Brennpunkten der Dieselkrise schon lange. Der Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH) Jürgen Resch, der die Fahrverbote auf dem Klageweg durchgesetzt hat, ist sicher, dass mit dem Fahrverbot in Berlin Sand in den praktischen Politikbetrieb kommt: „In der Tat wird die Bundesregierung Probleme mit den Fahrverboten bekommen, da auch Zufahrten zum Bundestag und zum Bundeskanzleramt betroffen sind“, erklärte Resch gegenüber unserer Zeitung.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) zum Beispiel residiert mit seinem Ministerium an der Straße Alt-Moabit, das Kanzleramt ist gleich um die Ecke, der Bundestag noch einmal 500 Meter Luftlinie weiter. Auf der anderen Seite des Parlamentsgebäudes verläuft die Dorotheenstraße, die ebenfalls mit einem Fahrverbot belegt werden könnte. Der Bundesrat liegt ein paar Kilometer weiter an der Leipziger Straße, das Finanzministerium und das Umweltministerium residieren einen Steinwurf entfernt in Querstraßen. Justiz- und Arbeitsministerium liegen in der Nähe, das Gesundheitsministerium an der Friedrichstraße. Mit einem älteren Diesel zwischen all diesen Adressen von Sitzung zu Sitzung schnell und problemlos hin- und herfahren? Ab nächstes Jahr im Juni wird das wohl nicht mehr funktionieren – jedenfalls nicht legal.

In Diensten von Regierung und Bundestag sind noch viele Diesel unterwegs

Anders als Otto Normalbürger sind die Spitzenpolitiker und Abgeordneten in den Parlamentswochen allerdings nicht mit alten, sondern mit ziemlich neuen Autos in der Hauptstadt unterwegs. Bei der BW Fuhrpark, die den Fahrdienst des Bundestags organisiert, ist am Telefon denn auch die Erleichterung hörbar. Für den Bundestag sind neben fünf Elektro- und 27 Hybridfahrzeugen auch 88 Diesel im Einsatz. Aber sie erfüllen laut der Firmensprecherin die Anforderungen der Euro 6 Norm b oder c und sind damit von Fahrverboten vorerst nicht betroffen. In der Bundesregierung sind – nach der jüngsten Auswertung der Deutschen Umwelthilfe aus dem Sommer – Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) zwar bereits auf einen Benzin-Elektro-Hybrid umgestiegen. Aber sonst gibt es noch jede Menge Diesel-Fahrzeuge in Regierungsdiensten – das gilt laut der jüngsten Erhebung der DUH für Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU), Justizministerin Katharina Barley (SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und die meisten Staatssekretäre.

Laut der Umwelthilfe, die diese Dienstwagen-Liste jedes Jahr vorlegt, erfüllt kein einziger Dienstwagen der 236 Befragten den vorgeschriebenen CO2-Grenzwert der EU von 130 Gramm CO2 je Kilometer. Und Berlins Umweltsenatorin Regine Günther ist sich nicht sicher, ob die Fahrzeuge mit Euro 6-Norm, die die Grenzwerte trotzdem nicht einhalten, dauerhaft aus den Fahrverboten ausgenommen werden können. DUH-Chef Jürgen Resch hat gegenüber unserer Zeitung schon eine Überprüfung angekündigt, „ob es noch Spitzenpolitiker oder Vertreter von Bundesbehörden gibt, die Euro-5-Diesel fahren“.