Überraschend haben sich die Berliner Genossen im SPD-Mitgliedervotum für Michael Müller ausgesprochen. Nun wird er seinen langjährigen Weggefährten Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister Berlins beerben. Doch was das Votum für die Partei wirklich bedeutet, kann noch keiner sagen.

Berlin - Als Michael Müller auf die kleine Bühne im Berliner Kurt-Schumacher-Haus steigt, da sieht es einen Moment so aus, als wollte er am liebsten einen Luftsprung machen und laut: „Yippeeh!“ schreien. Völlig gelöst strahlt er seine beiden ärgsten Konkurrenten an, herzt erst den unterlegenen Fraktionschef Raed Saleh und nimmt dann den zweitplatzierten Parteichef Jan Stöß in den Arm. „Ich freu mich wahnsinnig“, sagt der künftige Regierende Bürgermeister. „Aber ich bin auch echt platt.“

 

Überrascht wie er sind wohl die meisten, als am Samstagnachmittag das Ergebnis des Mitgliedervotums verkündet wird, mit dem die Berliner SPD einen Nachfolger für den scheidenden Regierungschef Klaus Wowereit sucht. Mit einer unerwartet deutlichen Mehrheit hat sich die Parteibasis entschieden: 59,1 Prozent der Genossen wollen, dass Müller künftig die Stadt regiert. Jan Stöß und Raed Saleh sind mit 20,9 und 18,7 Prozent dagegen weit abgeschlagen – gerade mal jeder fünfte der Genossen, die abgestimmt haben, kann sich einen der beiden im Amt des Regierenden vorstellen, obwohl sie doch die Parteispitze bilden. Eine so deutliche Entscheidung hatte niemand erwartet – in der Partei war damit gerechnet worden, dass im ersten Wahlgang keiner die absolute Mehrheit erreicht und eine Stichwahl nötig wird.

Nun wird Michael Müller seinen langjährigen Weggefährten Klaus Wowereit beerben. Es ist keine zwei Monate her, dass der Regierende nach 13 Jahren im Amt seinen Rücktritt für den 11. Dezember angekündigt hat – sobald die Partei sich auf einen Nachfolger gefunden habe. Sechs Wochen lang haben die drei Kandidaten bei unzähligen Veranstaltungen an der Basis um Vertrauen geworben – und die SPD-Genossen haben eine sehr klare Ansage gemacht.

Müller: „Der Zombie ist wieder da“

Harter Sarkasmus ist Müller nicht fremd, und deshalb sagt er breit grinsend: „Der Zombie ist wieder da.“ Die anderen haben da längst die Parteizentrale verlassen. Wunden lecken. Der Sieg ist eine späte Genugtuung für ihn. Es waren Saleh und Stöß, die ihn vor zwei Jahren von der Spitze der SPD gestürzt hatten, als einen, der immer nur Wowereit den Rücken frei hielt und zu lange ohne Rücksicht auf die Strömungen in der Partei die Regierungspolitik umsetzte. Lange war Müller an der Seite Wowereits gewesen – zunächst als Fraktionschef, dann zusätzlich an der Parteispitze, seit 2011 als Senator. Dieser Moment im Juni 2012 galt damals als der Anfang vom Ende der Ära Wowereit. Aber Michael Müller ist nun zurück. Und er freut sich diebisch. Natürlich hat er gleich mit Klaus Wowereit telefoniert. Was der sagte? Breites Grinsen. „Na, Glückwunsch.“

Saleh und Stöß wahren die Fassung, sie gratulieren dem Sieger und beschwören natürlich die Solidarität, mit der die SPD sich nun hinter Michael Müller versammeln werde. Aber der Schlag sitzt – und was er wirklich für die Partei bedeutet, kann heute noch keiner genau sagen: Kann Jan Stöß als Parteichef im Amt bleiben, da er nur das Vertrauen von 20 Prozent der Basis hat? Wie will er, der in den vergangenen Wochen die Arbeit Müllers als Politik aus dem Schlafwagen attackiert hat, nun Seit’ an Seit’ mit dem Regierungschef schreiten? Stöß bemüht zu dieser Frage vor den Kameras das Bild von den drei Musketieren: „Alle für einen, einer für alle – und das ist Michael Müller“, sagt er.

Der jedenfalls tut am Tag seiner Wahl so, als sei das alles kein Thema. Die Basis habe sich klar entschieden – und damit nur etwas darüber gesagt, wer Regierender Bürgermeister werden solle. In dem Votum stecke nicht die Botschaft, dass die Genossen Saleh oder Stöß kein Vertrauen schenkten.

Müller arbeitete immer im Hintergrund

Nun also wird der glamouröse und stets etwas rotzige „Arm-aber-sexy“-Bürgermeister Wowereit abgelöst werden von einem Mann, der eher für seinen spröden Charme bekannt ist. Müller, gelernter Drucker und Kaufmann, stammt wie Wowereit aus dem Kleine-Leute-Bezirk Tempelhof. Zehn Jahre führte er die Fraktion, acht Jahre die Partei, und auch wenn er immer als „Kronprinz“ Wowereits gesehen wurde, so arbeitete er eigentlich immer im Hintergrund. Aber offensichtlich beantwortet er in den Augen der Parteimitglieder eine Frage selbst am besten, die er in den letzten Wochen oft gestellt hatte: „Ihr müsst Euch fragen, wie und mit wem erreichen wir so breite Wählerschichten, dass wir 2016 die führende Kraft in dieser Stadt bleiben?“

Für Müller bleibt nun in den kommenden Wochen viel zu tun: Zunächst wird ein Parteitag ihn am 8. November formell für die Wahl im Abgeordnetenhaus nominieren. Bis zur Wahl am 11. Dezember allerdings muss er auch noch nach neuen Kabinettsmitgliedern suchen: der bisherige Finanzsenator Ulrich Nußbaum hatte am Freitag angekündigt, einem neuen Senat nicht mehr angehören zu wollen. Und einen neuen Stadtentwicklungssenator braucht Müller auch – er kann ja nun nicht alles machen.