Die Berliner Kommissare Ritter und Stark müssen zwei Todesfälle aufklären. Aber eigentlich kämpfen sie mit dem Gesundheitssystem.

Stuttgart - Was waren das doch für Zeiten, als es noch die Praxis Bülowbogen gab. Doktor Brockmann (Günter Pfitzmann) hatte nicht nur ein Stethoskop, sondern immer auch ein offenes Ohr für seine Patienten, flirtete mit Arzthelferin Gabi Köhler (Anita Kupsch) und fand quasi nebenbei eine Antwort auf die Frage: "Na, was fehlt uns denn heute?" Auch gefühlte 15 Gesundheitsreformen nach der ersten Folge ist diese Praxis noch immer soetwas wie die bundesdeutsche Idealvorstellung einer Hausarztpraxis. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum sich die Macher des Berliner Tatorts "Edel sei der Mensch und gesund" (Regie: Florian Froschmayer, Buch: Dinah Marte Golch) einen medizinischen Sehnsuchtsort ausgedacht haben, der dem Bülowbogen verblüffend ähnelt.

 

Denn in diesem TV-Krimi (Sonntag, 20.15 Uhr im Ersten oder in der ARD-Mediathek) geht es nicht nur um die Aufklärung zweier Todesfälle, sondern vor allem um die kleinen Schönheitsfehler und großen Ungerichtigkeiten eines Gesundheitssystems, das aus den Fugen geraten ist.

Das Bild eines Eilands für Kassenpatinten bekommt gleich zu Beginn tiefe Risse. Zwar kann der alte Doktor Schmuckler (Dieter Mann) noch immer seine Patienten mit Namen ansprechen, ohne vorher in die Akte schauen zu müssen. Aber auch ihm sind mehr und mehr die Hände gebunden. Regelmäßig überzieht er sein Quartalsbudget, damit seine Stammpatienten die gewohnten Medikamente bekommen. Verschreibt er zu viel, gibt's Ärger mit der Krankenkasse. Braucht er länger als acht Minuten pro Behandlung, zahlt er drauf. So ist das nun mal in Zeiten des Sparszwangs.

Tod durch falsche Medikation?

Und so mag man auch erst einmal glauben, dass der Tod seines unheilbar kranken Patienten Olaf Mühlhaus (Thomas Neumann) nur ein schlimmes Versehen war, ein Medikationsfehler. Ausnahmsweise wurde er von der Vertretungsärztin Antje Berger (Julika Jenkins) behandelt, die demnächst in die Praxis einsteigen soll. "Wir stellen hier erst demnächst auf Computer um", sagt Sprechstundenhilfe Karin Diestel (Petra Kelling), als die Kommissare Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic) ermitteln. Die elektronische Gesundheitskarte ist da noch ganz weit weg.

Wenn der Junior Dr. Martin Schmuckler (Thomas Scharff) zusammen mit Antje Berger einmal die Praxis übernimmt, soll sich das alles ändern. "Ich bin kein Arzt, ich bin Geschäftsmann", sagt ein Banker, als die beiden einen Kredit für den Einstieg beantragen wollen. Die neue Generation der Hausärzte ist irgendwo dazwischen: weder kompromissloser Verfechter des hippokratischen Eids, noch Dienstleister, der auf Gewinnmaximierung aus ist.

 Die gewisse Lindenstraßenhaftigkeit

Dass sich der Tatort ganz auf das eine Thema Gesundheitsystem einlässt, verleiht im phasenweise eine gewisse Lindenstraßenhaftigkeit, was übrigens auch daran liegt, dass sein Radius so klein ist, dass der Film fast einem Kammerspiel gleicht. Das Seltsame ist, dass es dadurch nicht langweilig oder unglaubwürdig wirkt. Geschickt und glaubhaft sind Botschaft und Geschichte miteinander verwoben. Da macht es auch nichts, dass am Ende noch einmal alle Dramatik-Regler nach oben geschoben werden, als beinahe ein Kind stirbt.

Jede Wette: Nach diesem Tatort möchte man lieber nicht krank werden. Und wenn, dann bitte nur mit einer Überweisung in die Praxis Bülowbogen.

Schönste Krimifloskel: "Ich muss Sie das fragen."

Schlimmster modischer Fehlgriff: Immer noch die Lederjacke von Till Ritter, auf die nicht einmal Horst Schimanski neidisch wäre.

Heimliche Stilikone: Ein Mann mit seltsamen Hut und glänzender Jacke, taucht in drei Szenen nacheinander als Statist auf.

Gefühlter Moment, in dem der Fall gelöst ist: Etwa in Minute 55. Aber das täuscht.