Der Regisseur und Autor Oliver Frljic hat zuletzt beim designierten Stuttgarter Intendanten Burkhardt C. Kosminski inszeniert. Nun hinterfragt er das migrantische Konzept des Berliner Gorki-Theaters.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Berlin - Bei dem Stichwort Publikumsbeschimpfung denkt man an Peter Handke. Der Autor wurde mit dem gleichnamigen Stück 1966 berühmt. Jetzt kann man noch einen Namen nennen: Oliver Frljic. In der Uraufführung von „Gorki – Alternative für Deutschland“ am Donnerstag im Maxim-Gorki-Theater in Berlin geht es um die Partei AfD – und um die Frage, ob das dezidiert migrantische Konzept des Gorki-Theaters eine Alternative für die deutsche Bühnenwelt darstellt.

 

Peng, Peng, Peng. Die Darsteller knallen die im eisernen Vorhang eingelassene Tür zu. Sie meckern über das Gorki: Man zelebriere sich selbst, verweigere Kritik von außen, auch inszenierten hier zu wenige Frauen. Motzen über das Theater im Allgemeinen: Die Tatsache, dass am Gorki Menschen mit Migrationshintergrund bevorzugt würden, führe dazu, dass der Rest der Theaterwelt sich zurücklehne. Und denke, wie Falilou Seck vermutet: „Die Ausländer da, die machen sicherlich nettes, niedliches, politisches Theater ... aber die richtige Kunst können nur WIR machen!“

„Das schlechteste Publikum der Welt“

Doch es dauert nicht lange, bis die Schauspielerin Nika Miskovic, die als Gorki-Bewerberin mit Ensemblemitgliedern knutschen sollte, lospoltert. Sie liest den vermeintlichen Opfern im Theaterbetrieb die Leviten. Auch beschimpft sie die Erwartungshaltung der Zuschauer. Das Gorki sei ein „Fake-Theater“ voller talentfreier, narzisstischer Darsteller. Das Publikum sei „das schlechteste Publikum der Welt“. Es juble jedem Mist meinungs- und kritiklos zu. Das sitzt! Da wähnt man sich im Theaterwalhall des politisch Korrekten, und dann das. Sie redet sich furios in Rage. Doch Frjlic ist ein Freund von Ambivalenz und Ironie – Miskovic bricht zusammen und heult, sie sei ja so unter Druck, weil sie unbedingt ins Gorki-Ensemble wolle und keine Lust mehr habe, „in einem Schuhladen zu arbeiten“.

Balkanische Tiraden

Das ist die Stärke des streitbaren, aus Bosnien-Herzegowina stammenden Autors und Regisseurs, der in Kroatien den Nationalismus anprangerte und seinen Job als Theaterleiter verlor. In Polen erregte er mit einer angeblich gotteslästerlichen Inszenierung die Gemüter. Oliver Frljic, der zuletzt auch beim designierten Stuttgarter Intendanten Burkhard C. Kosminski in Mannheim eine starke Arbeit gezeigt hat, lässt kein Wohlgefühl zu, stößt alle vor den Kopf. Auch die Gorki-Theaterleiterin Shermin Langhoff, die selbstironisch genug ist, sich selbst kritisieren zu lassen: Die Schauspieler rätseln, ob es positive Diskriminierung sei, wenn man hier nicht nur Minderheit sein darf, sondern soll. Was in der Frage von Falilou Seck gipfelt, ob er der „Quotenneger“ sei. Wenn die Bewerberin vom Balkan sagt, dass es nicht nur um Ich-Geschichten geht, sondern auch um Kunst, berührt sie einen wunden Punkt. Und wird prompt gefesselt geknebelt und abgeführt von den politisch Korrekten.

Faschistoide Reden

Bei der Theaterbefragung bleibt’s nicht. Dass die Abschaffung der Kunst auch keine Lösung sei, zeigt er dann doch auch. Der eiserne Vorhang hebt sich. Schauspieler Till Wonka (bekannt aus Hasko Webers einstigem Stuttgarter Ensemble) bekommt alles, was er in seinem Mecker-Monolog zuvor vermisst hatte, bis auf „eine Fechtszene“ und „schöne Kostüme“: Ein tolles Bühnenbild mit Säulen und einem Haus – dem man sogar ganz im Wortsinn aufs Dach steigen kann. Bühnenbildner Igor Pauska lässt das bühnengroß nachgebildete Gorki-Theater bis an die Rampe vorfahren. Woraufhin die Schauspieler es demontieren und zur politischen Bühne umbauen, faschistoide Reden halten, AfD-Ausweise „vom Gorki bezahlt!“ herzeigen. Heilloses Durcheinander, Geschrei bei angeschaltetem Saallicht. Positionen werden kurzgeschlossen, Linkspopulisten stoßen auf Rechtspopulisten. Alle wollen Deutschland retten, aber wie und vor wem - vor Islamisten, vor Faschisten?

Das letzte Wort hat der kindliche Theaternachwuchs. Alexander Sol Sweid (zuvor als Kind einer Schauspielerin aktiv) antwortet auf die Frage „Würdest du für Deutschland sterben“ mit: „Warum?“ Dass das Theater ein Ort für intelligente Fragen ist, hat Oliver Frljic in einem rasanten 90-minütigen Theaterabend gezeigt. Auch das Gorki-Publikum jubelte.