Der Berliner Theaterstreit um die Volksbühne eskaliert: Ein Künstlerkollektiv hält das Haus besetzt. Der umstrittene Intendant Chris Dercon ist zur Symbolfigur für den Protest gegen Gentrifizierung gemacht worden.

Berlin - Was ist das hier? Theater? Politik? Eine Idee? Oder einfach nur die Selbstermächtigung einer kleinen Kulturguerilla, die ihre Kunst und ihre Anliegen legitimer findet als die anderer?

 

Im Foyer der Berliner Volksbühne steht am Freitag Abend ein Mann im pinkfarbenen Minirock am Mikro und verkündet, in den nächsten 60 Stunden werde es hier „den besten Club“ geben, den die Stadt je gesehen hat. Über dem Gesicht trägt er eine glitzernde Sturmhaube. Man will sich lieber nicht vorstellen, dass das vielleicht an die russische Frauenpunkband Pussy Riot und deren Mut erinnern soll, gegen Putins Russland zu protestieren.

Der Jubel der etwa 100 meist jungen Zuhörer auf dem Boden jedenfalls ist recht ordentlich. Da ist es gerade eine Stunde her, dass ein Kollektiv mit dem Namen „Staub zu Glitzer“ das Theater am Rosa-Luxemburg-Platz besetzt hat. Sie nennen die „Übernahme des Hauses“ eine „transmediale Inszenierung“.

An der Fassade hängt nun eine blaue Stoffbahn mit dem Schriftzug „Doch Kunst“, die Fronttüren sind mit Fahrradschlössen gesichert, man will länger bleiben, fürs Wochenende oder für drei Monate – mit Selbstverwaltung, Bühnenprogramm, Debatten. Die Themen dürfen den Verlautbarungen zufolge nicht ausgehen: protestiert wird gegen Clubsterben, Gentrifizierung und Flüchtlingspolitik, Standortmarketing, Privatisierung und Karrierezwang.

Giftiger Streit um den Intendanten Chris Dercon

Für so viel Unrecht kann nicht einmal ein Multitasker wie der neue Volksbühnenintendant Chris Dercon verantwortlich sein. Seit Monaten kennt die Szene kein anderes Thema als den giftigen Streit um den Belgier und den Vorwurf, er mache die geliebte Volksbühne zur Eventbude. Der pauschale Zorn gegen den Neuen trägt inzwischen Züge von Fremdenfeindlichkeit. Er reicht schon vor der ersten Sprechtheaterpremiere so weit, dass Unbekannte dem Intendanten Kot vor die Tür gelegt haben.

Nun ist der Berliner Theaterstreit eskaliert, die Besetzer machen die Debatte, denn Mann und etliche Künstlerkollegen zum Symbol und das öffentliche Theater zur Kulisse, um einer Frage Aufmerksamkeit zu verschaffen: „In was für einer Stadt wollen wir leben?“ Die Szene der Besetzer weist Schnittmengen zu der Gruppe derer auf, die schon vor ein paar Monaten die Humboldt-Universität besetzt haben – damals ging es vordergründig auch um eine Personalie, die des Staatssekretärs Gentrifzierungskritikers Andrej Holm. Der Zeitpunkt der Theateraktion ist mit Bedacht gewählt: nach Möglichkeit wird niemand der Verantwortlichen in Politik und Polizei vor dem Wahltag die Situation eskalieren lassen - sprich: räumen.

Die Volksbühne sei ein Symbol für die Stadtentwicklung als Ganzes, verkündet eine Sprecherin, die sich für die zu erwartende Medienpräsenz mit doppelreihiger Perlenkette und Galeristinnenbrille angetan hat. Sie proklamiert unter Jubel das Theater „zum Eigentum aller Menschen“ zum „Anti-Gentrifizierungszentrum“. Monatelang hätten vier Dutzend Leute dafür im Verborgenen gearbeitet. Zur Sicherheit trägt man noch ein bisschen dicker auf. Helfer platzieren ein olles Pappraketenmonster, das „VB61-12“ heißt und eine Atombombe sei. „Make Berlin geil again“, steht auf einem Transparent. Die Sprecherin beschwört das Berlin der 90er Jahre als Sehnsuchtsort, dessen Freiräume nicht verteidigt, sondern Investoren als Beute dargeboten worden seien. Berlin stehe nun der Weg anderer Metropolen bevor – mit Verdrängung, Ausgrenzung, Zerschlagung jeglicher Gemeinschaft. Das will man verhindern.

Zur Not auch mit Verbannung: Für Chris Dercon haben die Besetzer sich die Lösung ausgedacht, dass er in Tempelhof bleiben und spielen soll, dort wo er vor zwei Wochen die Spielzeit mit einem viel kritisierten Tanzevent für alle eröffnet hatte. Von der Volksbühne soll er die Finger lassen.

Gemeinschaft ist eben immer am liebsten das, wo man drin ist – nur schert sich in der Volksbühne im Moment niemand um die Frage, wer hier eigentlich auf welcher Grundlage das Drinnen und das Draußen definiert und diejenigen, die dazugehören.

Schon seit Tagen Gerüchte um eine Besetzung

Was macht man in so einer Situation, wenn man Kultursenator der Linkspartei ist, gleichzeitig Dienstherr von Dercon, einer seiner Kritiker, Hausherr eines öffentlichen Theaters und stellvertretender Bürgermeister? Klaus Lederer bemüht fürs Erste Rosa Luxemburg mit einem Zitat, das man in jede Richtung verstehen kann: „Kunstfreiheit ist immer auch die Kunstfreiheit der Andersperformenden!“, überschreibt er eine Erklärung, die sich bewegt zwischen Verständnis für die politischen Ziele der Besetzer und einer Abgrenzung: „Die These, eine kulturpolitische Personalentscheidung vernichte Freiräume ist absurd. Wer entscheidet denn und wer darf darüber entscheiden, was die „richtige“ Kunst am Ort ist?“

Man kann annehmen, dass Lederer von der Besetzung nicht überrascht wurde, schon seit Tagen gibt es entsprechende Gerüchte. Schließlich steht das Gebäude seit dem tränenreichen Abschied der Castorf-Truppe unbespielt herum und stellt auf diese Weise selbst Fragen. Nun, da es passiert ist, setzen alle auf Dialog. Noch hat niemand die Menschen im Theater aufgefordert zu gehen – juristisch begehen sie also vermutlich nicht einmal einen Hausfriedensbruch. Es gibt Gespräche zwischen Besetzern, Kulturverwaltung und Polizei. Später kommt auch Lederer selbst und beteiligt sich an einem Plenum, das er nach kurzer Zeit verlässt. Eine Eskalation der Lage will man vermeiden.

Drinnen gibt es eine Hausordnung, Rauchen ist verboten. In den Fluren sitzen Leute und trinken vermutlich zu warmes Bier, Hunde schnüren um einen Flügel, Kinder hüpfen durch den Gang. Ein Nutzer auf twitter spottet schon: „Bitte Rutschesocken mitbringen.“ Draußen steht ein Polizist mit zwei Kolleginnen an seinem Dienstfahrzeug vor dem Theater. Was geschieht nun? „Abwarten“, sagt er.