Drei Wochen lang hat der Stuttgarter Bernd Riexinger an der Basis um Vertrauen für die Linksparteiführung geworben. Nun setzt Cochefin Katja Kipping die Charmeoffensive fort.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Wernigerode - In jedem Sozialisten schlummert offenbar auch ein Kapitalist. Als Bernd Riexinger die Genossen aus Wernigerode nach zwei Stunden zufriedengestellt hat, sieht Udo Hammelsbeck seine Chance gekommen. Der Hobbyimker, Jahrgang 1945, sucht Abnehmer für seinen Honig, den er in einem gelben Eimer in das Harzer Gasthaus Blocksberg geschleppt hat. Da kommt ihm der Schwabe Riexinger gerade recht, der 8,50 Euro für drei Gläser Biohonig als ein gutes Geschäft erachtet. Obwohl der selbst ernannte Ökosozialist Hammelsbeck „ganz angetan“ ist vom „Wesen“ des neuen Chefs der Linkspartei, muss dieser zahlen wie jedes x-beliebige Mitglied auch.

 

Ansonsten erhält Bernd Riexinger auf seiner Sommertour durch Niedersachsen und die ostdeutschen Lande viel Rabatt bei den Genossen. Nach dem chaotischen Göttinger Parteitag Anfang Juni schlägt dem bis dahin weithin unbekannten Stuttgarter deutlich mehr Wohlwollen als Ablehnung entgegen, was er erleichtert zur Kenntnis nimmt. Am Freitag hat der 56-Jährige seine dreiwöchige Vorstellungsrunde beendet. In Hannover schickte er seine Co-Chefin Katja Kipping auf die Werbetour.

Bloß nicht wie ein Besser-Wessi wirken

Die Strategie zur Krisenbewältigung ist klar. Sie lautet: zuhören, Anregungen mitnehmen und Vertrauen schaffen – versöhnen, statt weiter zu spalten. Auf den ersten Stationen ist ihm des Öfteren eine sprachliche Distanzierung herausgerutscht: „Ihr“ statt „Wir in den Ostlandesverbänden . . . – das passiert ihm nun aber immer seltener.

Weil die Vorgänger Klaus Ernst und Oskar Lafontaine mehr provoziert als motiviert haben, versucht Riexinger alles, um nicht wie ein weiterer Besser-Wessi zu wirken. „Ich freue mich zu hören, was ihr mir als neuem Vorsitzendem mitgebt“. So pflegt er seine Vorstellungsreden zu eröffnen. Die Partei solle künftig mehr von unten nach oben aufgebaut werden. „Wir sind keine Kaderpartei, wo von oben nach unten durchregiert wird“, stellt er fest.

Um sich ganz der Partei zu widmen, lehnt er für sich weitere Aufgaben wie ein Bundestagsmandat ab. Ein wenig wirkt Riexinger wie ein Pferdeflüsterer, der einen völlig verstörten, traumatisierten Gaul sanft ins normale Leben zurückleiten will. Keineswegs jedoch möchte er künftig alle Differenzen unterdrücken. Unterschiedliche Strömungen findet er gut. „Diese sollen aber nicht dazu führen, dass wir uns zerfleischen“, sagt er. Nie dürfe eine Strömung über die anderen dominieren. „Sonst geht das Projekt in die Binsen.“

„Lafontaine ist ein guter Politiker“

Diejenigen Funktionäre, an die derlei Warnungen gerichtet sind, finden sich freilich nicht im Publikum. Dort sitzen neben den örtlichen Kandidaten vornehmlich Genossen über 65, die den Stuttgarter nur aus den Medien kennen. Kritische Bemerkungen sind rar. Im gut gefüllten Saal des Hotels Blocksberg wagt sich allein Rüdiger Waller vor. Der frühere Betriebsratschef der Brauerei Hasseröder erklärt dem Vorsitzenden unverblümt: „Ich hatte Bauchschmerzen, als du gewählt wurdest.“ Dann kommt er auf Oskar Lafontaine zu sprechen und bohrt nach: „Wie steht ihr zueinander – ist er dein Berater?“ Es ist derzeit wohl Riexingers größtes Problem, dass ihn viele für eine Marionette des Saarländers halten. Doch er kneift nicht. „Ich war niemals in der SPD und habe den Oskar vielleicht zehnmal in meinem Leben getroffen – achtmal auf Parteitagen und zweimal unter vier Augen“, antwortet er. Daraus zu konstruieren, er sei ein Lafontaine-Zögling, empfindet er als eine „seltsame mediale Kunst“. Nach 40 Jahren in der Politik sei er ein eigenständiger Kopf. Gleichwohl hält Riexinger „den Oskar“ für einen guten Politiker und legt Wert darauf, dass Lafontaine der Führung weiter Ratschläge gebe. „Ob wir sie alle annehmen, ist dann unser Bier.“

Die älteren Herrschaften sind begeistert

Nach zwei Stunden ist die Reaktion der älteren Herrschaften einhellig: „Mir hat die Rede sehr gut gefallen – da war viel ökonomische Grundkenntnis drin“, sagt eine Genossin. „Ich war überrascht, dass ich alles verstanden habe“, ergänzt ein Nebensitzer. „Er ist kein Gregor Gysi“, urteilt eine 80-Jährige über die Rhetorik des Gewerkschafters, „aber er bringt es rüber, denn er weiß, was das arbeitende Volk denkt.“ Ihre Nachbarin nickt. „Was mir als Nicht-Mitglied fehlt“, wendet sie dennoch ein, „sind die konkreten Lösungsvorschläge.“ Daraufhin erwidert die 80-Jährige: „Das kommt – die müssen sie erst erarbeiten.“

Ein betagter Genosse tätschelt Riexinger beim Gehen den Arm und gesteht: „Jetzt habe ich wieder Optimismus.“ Der Stuttgarter dankt höflich für das Kompliment. Allerdings lassen sich die Vorurteile vor Ort besser abbauen als in den bundesweiten Medien. Diese haben dem Schwaben anfangs zugesetzt. Kaum jemand traute ihm die neue Rolle zu, oft sah er sich in Klischees beschrieben. Erst nach und nach fühlte er sich fair behandelt.

Angekommen in Berlin

Er sei angekommen in Berlin, doch „Stuttgart fehlt mir ein bisschen“, gesteht Riexinger. Wenig Zeit blieb für die Wohnungssuche. Erst der Zufall bescherte ihm eine 55-Quadratmeter-Wohnung in Charlottenburg, die er demnächst beziehen will. Auch um neue Anzüge kommt er als Parteivorsitzender nicht herum. Nach einem Besuch bei P&C war er gleich um 1000 Euro ärmer. Demnächst will er sich ein gebrauchtes Fahrrad zulegen, um in der Hauptstadt eine Alternative zum schmucken Dienst-Audi zu haben. Seinen Fiesta bewegen derweil die Lebensgefährtin und deren 19-jähriger Tochter. Extravaganzen wie den (älteren) Porsche von Klaus Ernst wird man bei Riexinger vergeblich suchen.

Gut 70 Tage ist die Führung im Amt, doch nicht einmal die Hälfte des 120-Tage-Programms ist abgearbeitet. „Ich glaube, dass wir länger brauchen“, sagt Riexinger und bittet um Geduld. Auch die Umfragewerte könnten nicht von einem Tag auf den anderen aus dem Keller steigen. Ohnehin vermag er nicht weiter zu schauen als bis zur Niedersachsenwahl am 20. Januar und der Bundestagswahl neun Monate darauf. Nur wenn die Linke in beiden Parlamenten bleibt, dürften Riexinger und Kipping die Chance erhalten, das Zufallsduo an der Spitze zu verstetigen.

Beeindruckt von den vielen Mandatsträgern

Die Sommertour wirkt da wie ein Aufputschmittel. Gemessen am Existenzkampf im Westen gleicht sie zuweilen einer Reise ins sozialistische Schlaraffenland. „Ich bin schon sehr beeindruckt, wie viele Mandatsträger die Linke hier stellt“, sagt der Parteichef. In Sachsen-Anhalt, Sachsen oder Thüringen kann die Partei diverse Oberbürgermeister und Landräte aufbieten – zum Beispiel Andreas Henke, der seit 2007 an der Rathausspitze von Halberstadt steht und 2013 auf eine Verlängerung hofft. Das Besondere an seiner Position: im Stadtrat bildet die Linke bei wichtigen Entscheidungen jeweils stabile Mehrheiten mit der CDU. „Das ist ungewöhnlich, hat hier aber Tradition“, sagt Henke. Schlüssig erklären kann er dies nicht – es sei halt eine Übereinstimmung in Sachfragen.

Der 50-Jährige ist ein Pragmatiker. Auch ein linker OB müsse um Verständnis für Kürzungen kämpfen, sagt Henke mit Blick auf seinen Schuldenberg von 60 Millionen Euro. Er kann sich sogar mit Privatisierungen anfreunden, was aber Riexinger zu viel des Pragmatismus’ ist. Ganz behutsam widerspricht er dem OB, nachdem er eine Stunde lang fast nur zugehört hat – jetzt bloß nicht alte Reflexe hervorrufen.

Dann trägt Henke sein wichtigstes Anliegen vor: Die Kommunalpolitik habe in der Partei keine Rolle mehr gespielt, klagt er. Stattdessen hätte die frühere Führung ihr Heil in außerparlamentarischen Bewegungen gesehen. Die Linke müsse aber mitgestalten, wenn sie Erfolg haben wolle. Aufgrund seiner Erfahrungen als Verdi-Geschäftsführer in Stuttgart kann Riexinger in diesem Punkt glaubwürdig einen neuen Kurs einschlagen: „Ihr rennt bei mir offene Türen ein“, sagt er. Die kommunalpolitischen Erfolge und die Verankerung in der Bevölkerung seien das Fundament der Partei. Er wolle sich nicht einschmeicheln, „aber wir müssen die positiven Beispiele intern besser verbreiten“.

40 Millionen Euro für diverse Schmuckbauten

Auf seiner Tour begegnet er jedoch nicht besonders vielen Amtsträgern der Linken, die auch genügend Geld zum Gestalten haben. Im 15 000-Einwohner-Städtchen Borna (Sachsen) geleitet Oberbürgermeisterin Simone Luedtke den Parteichef zu diversen Schmuckbauten. Sie besichtigen das neue Hallenbad, das erweiterte Gymnasium, den Grundschulrohbau, die jüngst eingeweihte Sporthalle – und eine überdimensionale rote Parkbank als Treffpunkt für die Jugend. 40 Millionen Euro hat die 41-Jährige als OB schon verbauen lassen, wie sie nicht ohne Stolz berichtet. Das geht, wenn man dafür alle möglichen Fördertöpfe anzapft.

Westimport Luedtke ist seit 2008 Rathauschefin – auch sie gibt der Linken im Osten mit einer undogmatischen Politik den Anstrich einer Volkspartei. Wie so viele Funktionäre hatte sie sich vor dem Parteitag für den Realpolitiker Dietmar Bartsch als Vorsitzenden ausgesprochen. Doch es kam anders, also lud sie Bernd Riexinger kurzerhand via Facebook nach Borna ein. Jetzt zeigt sich Luedtke überzeugt vom Wandel. Es gebe keine Anfeindungen mehr im Parteivorstand, schildert sie. „Wir rauchen nun alle in der gleichen Ecke.“

Vor Ort ist Parteipolitik unwichtig

Kaffeekränzchen bei Ortsbürgermeister Hilmar Rasche in Stapelburg nahe Wernigerode: Vor dem Fall der Mauer lag das Haus im Sperrgebiet; die DDR-Grenze war nur gut einen Kilometer entfernt. Wie er das hinbekommen habe, als Linker von 47 Prozent der Bürger gewählt zu werden, will Riexinger auf der zugigen Terrasse wissen. „Man muss ein Herz für die anderen haben und selbst ein bisschen zurückstecken“, antwortet der 64-Jährige, der früher bei der SED mitgemacht hat. „Hier zählen die Sachfragen.“ Parteipolitik spiele da kaum eine Rolle. Zwar habe die Linke in Stapelburg lediglich vier Mitglieder – aber dafür „jede Menge Sympathisanten“.