Kein Staatsanwalt ist in Stuttgart so umstritten wie Bernhard Häußler. Ob beim Polizeieinsatz im Schlossgarten, beim EnBW-Deal oder bei NS-Ermittlungen – er steht massiv in der Kritik. Für viele Bürger ist er das Gesicht einer Staatsanwaltschaft, die sie an der Justiz zweifeln, zuweilen sogar verzweifeln lässt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der bekannteste Oberstaatsanwalt Stuttgarts zeigt sich medienscheu. Nein, lässt Bernhard Häußler die Pressestelle ausrichten, für ein Interview stehe er der Stuttgarter Zeitung nicht zur Verfügung – auch nicht schriftlich, auch nicht zusammen mit dem Behördenleiter. Zu einem Hintergrundgespräch sei er genauso wenig bereit. Die nächsten Gerichtstermine, bei denen Häußler die Anklage vertritt, darf die Sprecherin nicht verraten. Ob er einer Partei angehöre, womöglich der CDU? Dazu sage man grundsätzlich nichts. Und fotografieren lassen will er sich schon gar nicht.

 

Erkannt wird Häußler in der Stadt auch so. Für viele Bürger, vorneweg Stuttgart-21-Gegner, ist der Leiter der „politischen Abteilung“ das Gesicht einer Staatsanwaltschaft, die sie an der Justiz zweifeln, zuweilen sogar verzweifeln lässt. Einer Staatsanwaltschaft, so sehen sie es, die nicht objektiv, sondern einseitig ermittelt, die Demonstranten hart und Polizisten zart anfasst, die überhaupt die Kleinen unerbittlich verfolgt, aber die Großen so lange wie möglich schont. Für viele Kritiker ist Häußler seit dem Polizeieinsatz im Schlossgarten zur Reizfigur, wenn nicht zur Hassfigur geworden. „Häußler weg“-Rufe ertönten, als er einmal am Rande einer Demonstration gesichtet wurde. Im Prozess gegen einen „Parkschützer“ wurden seine Einlassungen kürzlich mit Gelächter quittiert. Hohn und Spott ergießen sich im Internet über ihn, bis hin zu üblen Beschimpfungen.

Dauerkritik seit dem „schwarzen Donnerstag“

Umstritten war der 62-jährige Chefermittler, der seit gut drei Jahrzehnten bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart arbeitet, schon früher. Unter Dauerkritik steht er indes seit dem 30. September 2010, als die Polizei mit Wasserwerfern und Pfefferspray den Schlossgarten räumte. Jenen „schwarzen Donnerstag“ verbrachte Häußler bei der Polizeiführung, von morgens zehn Uhr bis nachts gegen 3.40 Uhr. Gleichwohl übernahm er federführend die Ermittlungen gegen Demonstranten und Polizeibeamte – und vermeldete bald darauf Entlastendes: Es gebe „keine Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz insgesamt offensichtlich unrechtmäßig war“; der Verdacht, die Wasserwerfer hätten auf Jugendliche in den Bäumen gezielt, sei bereits ausgeräumt. Noch vor dem Regierungswechsel forderten die Grünen daher die Ablösung Häußlers. Er sei „offensichtlich befangen“ und „nicht in der Lage, objektive Ermittlungen zu führen“, rügte der Fraktionsgeschäftsführer Hans-Ulrich Sckerl. Per Antrag forderte er, die Verfahren einer anderen Staatsanwaltschaft zu übertragen. Doch Justizminister Ulrich Goll (FDP) verwies kühl auf die Einschätzung des übergeordneten Generalstaatsanwalts Klaus Pflieger, dafür gebe es „keinen Grund“.

Seine Forderung erneuerte Sckerl erst kürzlich wieder, aber der neue Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) bleibt ganz auf der Linie des alten. Vergeblich forderten auch der Freiburger Rechtsanwalt Frank-Ulrich Mann – er vertritt schwer verletzte Opfer des Polizeieinsatzes – und der pensionierte Richter Dieter Reicherter den Wechsel der Staatsanwaltschaft. Womöglich habe sich Häußler selbst strafbar gemacht, weil er Verstöße gesehen habe und nicht eingeschritten sei, argumentiert Reicherter. Ob der Chefermittler selbst als Zeuge gehört wurde und was er ausgesagt hat – dazu gibt es bis heute keine Auskunft. Stickelberger wies die Ansinnen jedenfalls zurück, erneut unter Berufung auf den Generalstaatsanwalt; politische Einflussnahme auf die Justiz lehne er ab. Dabei könnte man es als „Akt der Fürsorge“ sehen, Häußler aus der Schusslinie zu nehmen, befanden Koalitionsstrategen. Doch die grün-roten Differenzen über Stuttgart 21 schlagen offensichtlich auch hier durch.

Ermittlungen gegen Wasserwerfer-Besatzung

Just am gleichen Tag – wohl kein Zufall – gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass sie nun auch wegen des Einsatzes der Wasserwerfer ermittele; es gebe Verdachtsmomente gegen einzelne Beamte. „Da wird es zu Verurteilungen kommen“, erwartet die Rechtsanwältin Simone Eberle von den Juristen gegen Stuttgart 21. Zumindest in diesem Punkt bescheinigt sie der Staatsanwaltschaft saubere Arbeit, die Akten seien „sehr umfangreich“. Häußlers Ankündigung, man hoffe den Komplex Anfang 2013 abschließen zu können, ist freilich schon wieder überholt: nun werde es frühestens März, verlautet aus der Behörde.

Konsequenzen etwa für die „Rohrführer“ in den Wasserwerfern würden dem Eindruck entgegenwirken, mit Härte werde vor allem gegen Demonstranten vorgegangen – wie jene Frau, die einen Beamten vor einen Lastwagen gestoßen haben soll. Haftbefehl wegen versuchten Totschlags beantragte die Staatsanwaltschaft daraufhin, doch der Tötungsvorsatz, so Häußler später, „war nicht nachweisbar“. Verurteilt wurde die Frau wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Wenn sich Projektgegner besonders streng verfolgt fühlten, erläuterte der Oberstaatsanwalt unlängst in einem seiner raren Interviews, dann „vor allem aufgrund irriger Rechtsauffassungen“. Es gebe, zum Beispiel, kein Recht auf Sitzblockaden.

Mappus war laut den Mails regelmäßig informiert

Weitere Anklagen gegen Polizeibeamte dürften aber auch die Frage aufwerfen, warum die politisch Verantwortlichen eigentlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Ex-Ministerpräsident Mappus und die beteiligten Minister hatte Häußlers Abteilung schon früh exkulpiert: Sie seien „in die konkrete Planung des Einsatzes“ nicht eingebunden gewesen. Dabei fiel die Entscheidung zur Räumung, wie der Grüne Sckerl sagt, „im Amtszimmer des Ministerpräsidenten“. Für ihn steht fest, dass der Einsatz „unmittelbar von der politischen Führung befehligt“ wurde. Mappus habe zwar „Kenntnis von den Umständen des geplanten Einsatzes“ gehabt und sei „regelmäßig informiert“ worden, folgert die Staatsanwaltschaft aus zwischenzeitlich sichergestellten Mails; Hinweise auf eine politische Einflussnahme ergäben sich daraus jedoch nicht. Den exakten Inhalt kennen indes nur die Ermittler. Der Landtag bekommt Einblick erst dann, wenn er einen zweiten Untersuchungsausschuss zum „schwarzen Donnerstag“ bilden sollte – womit die Grünen drohen.

Die Mails hätten Häußler & Co. womöglich immer noch nicht sichergestellt, wenn ihnen nicht gleich doppelt auf die Sprünge geholfen worden wäre. Zur Durchsuchung in der Villa Reitzenstein kam es nämlich erst, nachdem die StZ über Mappus’ Datenvernichtung berichtet hatte; bis dahin hatte die Staatsanwaltschaft argumentiert, der Ex-Regierungschef habe dort ja kein Büro mehr. Die Ermittlungen wegen des EnBW-Deals, in deren Kontext die Razzia erfolgte, gibt es wiederum nur dank des Landesrechnungshofs: Erst dessen Prüfbericht öffnete den Staatsanwälten die Augen, dass das Milliardengeschäft sehr wohl strafrechtlich relevant sein könnte. Anderthalb Jahre lang hatte Häußlers Abteilung zuvor partout keinen Anfangsverdacht erkennen können. Die Untätigkeit grenze schon an Strafvereitelung, entrüstete sich eine bayerische Staatsanwältin. Nun, da die als unerschrockener geltende Wirtschaftsabteilung die Federführung übernommen hat, wird mit Nachdruck ermittelt.

Nazigegner verfolgt, Nazis laufen lassen?

Ausgesprochen zäh schleppte sich auch ein Verfahren dahin, das Häußler erst kürzlich abschloss: Nach zehn Jahren entschied er da, die Ermittlungen wegen eines SS-Massakers im toskanischen Bergdorf Sant Anna di Stazzema einzustellen. Begründung: Da sich der „notwendige individuelle Schuldnachweis“ nicht erbringen lasse, könne keine Anklage erhoben werden. Fassungslos reagierten nicht nur Hinterbliebene und Vertreter der 560 Opfer, sondern auch der italienische Staatspräsident. Er könne „die Empörung bei den Betroffenen (. . .) sehr gut verstehen“, bekundete Häußler später.

Prompt wurde daran erinnert, wie unerbittlich der Chefermittler vor einigen Jahren gegen einen antifaschistischen Versand vorgegangen war, der Artikel mit durchgestrichenen Hakenkreuzen vertrieb. Nach der damaligen Rechtsprechung, rechtfertigte er sich kürzlich, sei das Zeigen des Symbols eben unabhängig vom Motiv verboten gewesen. Nazigegner verfolgen, aber Nazis laufen lassen – auf diesen verkürzten Nenner brachten das Häußlers Kritiker. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, wehrte er sich.

Behördenchefs nehmen Häußler in Schutz

Das Rechtsempfinden vieler Bürger verletzt es gleichwohl. Ob der als enorm fleißig, aber eher unpolitisch beschriebene Oberstaatsanwalt ein Gespür dafür hat? Er wende eben unbeirrt vom öffentlichen Echo die Gesetze an, sagen Kollegen. Umso mehr müsste der Behördenchef Siegfried Mahler die Arbeit der Ermittler erklären – doch zu dessen Stärken zählt Kommunikation auch nicht gerade. Als in einer Online-Petition Häußlers „sofortige Entlassung“ verlangt wurde, wollte sich Mahler erst gar nicht äußern. Kurz darauf verschickte er dann doch eine Pressemitteilung. Sein Abteilungsleiter sei „ein besonders erfahrener und in ganz unterschiedlichen, zumeist schwierigen Arbeitsfeldern erprobter Staatsanwalt“. Den Vorwurf nachlässiger oder parteiischer Ermittlungen weise er entschieden zurück. Im Gegenteil: Häußlers Arbeit sei „von Objektivität, Geradlinigkeit, hoher Gründlichkeit und sehr großer Gewissenhaftigkeit geprägt“.

Zuvor war der Chef der politischen Abteilung schon vom Generalstaatsanwalt Pflieger in Schutz genommen worden: „Abstrus“ sei der immer wieder erhobene Vorwurf, einzelne Kollegen wie Häußler hätten „Ermittlungen gegen CDU-Politiker aus persönlichen Motiven heraus blockiert oder verzögert“. In bedeutsamen Fällen entscheide ohnehin nicht ein Staatsanwalt alleine, da gelte das „16-Augen-Prinzip“. In Teilen der grün-roten Koalition wird indes auch Pflieger kritisch gesehen: Die notwendige Kontrolle über die Staatsanwaltschaft Stuttgart gebe es wohl erst, wenn ein neuer „General“ eingesetzt sei, sagt ein hochrangiger Grünen-Stratege. Doch Justizminister Stickelberger hat die Amtszeit des Behördenchefs gerade erst über die Altersgrenze hinaus verlängert.

Wie Häußler selbst mit den massiven Anfeindungen umgeht, weiß man nicht. Zumindest äußerlich zeigt er sich gelassen: Bei seinen Kritikern handele sich nur „um eine Minderheit der Bahnhofsgegner“.