Die Zahl der Grundschüler wächst stärker als erwartet. Der Lehrermangel wird sich bis zum Jahr 2025 deutlich verschärfen. Das geht aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor.

Gütersloh/Stuttgart - Wie viele Kinder in sechs Jahren eingeschult werden, ist inzwischen ungefähr klar. Wer sie unterrichten soll, steht in den Sternen. Die Bildungsforscher Klaus Klemm und Dirk Zorn haben für die Bertelsmann Stiftung jetzt berechnet, dass bis zum Jahr 2025 11 000 Grundschullehrkräfte mehr fehlen als bisher angenommen. Sie gehen davon aus, dass dann insgesamt 26 300 Grundschullehrer zu wenig zur Verfügung stehen werden.

 

Die Diskrepanz geht den Experten zufolge wieder einmal auf unterschiedliche Schätzungen der Bevölkerungsentwicklung zurück. Die Kultusministerkonferenz ging im vergangenen Jahr davon aus, dass es im Jahr 2025 in Deutschland 3,064 Millionen Grundschüler geben werde. Nun zeige eine Prognose des Statistischen Bundesamts, dass mit rund 168 000 Grundschülern mehr zu rechnen sei.

Keine Überraschung in Baden-Württemberg

Auch im Jahr 2030 werde es mehr Grundschüler geben, als bisher erwartet, haben Klemm und Zorn ermittelt. Der Lehrermangel werde sich fortsetzen, wenn die Politik keine Maßnahmen ergreife. Die Zahlen beruhen nur auf dem prognostizierten Schülerzuwachs. Bildungspolitische Maßnahmen wie etwa der Ausbau der Ganztagsbetreuung seien noch gar nicht berücksichtigt. Der sollte trotz des Mangel nicht aus den Augen verloren werden.

„Die Zahlen decken sich gut mit unserer langfristigen Gesamtmodellrechnung“, sagte Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Montag. Zum ersten Mal ließ sie Anfang des Jahres eine solche Rechnung erstellen. Sie ergab für den Südwesten einen Bedarf an 2150 zusätzlichen Stellen für die Grundschulen bis zum Jahr 2030.

Auch Doro Moritz, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sagt, durch die neue Studie werde sich der Bedarf im Südwesten eher unwesentlich erhöhen. Sie mahnt jedoch angesichts der Diskussion um zusätzliche Stellen: „Es wird unterschätzt, dass von 2015 bis 2030 die Hälfte der Grundschullehrkräfte in Pension geht.“ Aufgrund der Pensionierungen müssten deshalb in dieser Zeit 11 500 Grundschullehrerstellen im Land neu besetzt werden – das ist etwa jede zweite Stelle. Dazu seien mehr Studienplätze nötig.

Zusätzliche Studienplätze

Jörg Dräger, der Vorstand der Bertelsmann Stiftung, warnt: „Es dauert noch etliche Jahre, bis die zusätzlich eingerichteten Studienplätze auch mehr Absolventen hervorbringen.“ Er fordert „schnelle Lösungen um gute Bildung für alle gewährleisten zu können“.

In Baden-Württemberg wurden im Jahr 2018 an den Pädagogischen Hochschulen 200 zusätzliche Anfängerplätze für angehende Grundschullehrer geschaffen. Damit könnten die Hochschulen rund 18 Prozent mehr Anfänger aufnehmen, hatte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) damals gesagt. Das Studium dauert acht Semester.

Bildungsforscher verlangen Nachqualifizierung

Die Bildungsforscher halten „ein ganzes Bündel an Maßnahmen“ für nötig um dem Lehrermangel kurzfristig begegnen zu können. Entscheidend sei dabei die Qualifizierung von Menschen ohne Lehramtsbefähigung für die Grundschule. Dräger nennt dabei Gymnasiallehrer und Personen mit Fachstudium aber ohne Lehramtsabschluss. Der Stiftungsvorstand fordert berufsbegleitende Qualifizierungen für diesen Personenkreis. Auch sollten angehende Ruheständler ermuntert werden, länger zu unterrichten. Dräger regt auch Verbesserungen in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf an, damit Grundschullehrerinnen eventuell ihre Teilzeitdeputate erhöhen.

Um vor weiteren Überraschungen gefeit zu sein, sollten die Bedarfsprognosen jährlich aktualisiert werden“. Das eröffne mehr Zeit für politische Reaktionen.

Südwesten hat Maßnahmen eingeleitet

Baden-Württembergs Kultusministerin Eisenmann spricht sich schon länger für regelmäßige Prognosen aus. Auch die von der Stiftung vorgeschlagenen Maßnahmen sind im Südwesten bereits eingeleitet. 1700 Lehrkräfte haben nach Angaben des Kultusministeriums ihre Deputate erhöht, so seien für das kommende Schuljahr 200 Stellen gewonnen worden, allerdings nicht nur für Grundschulen. An Grundschulen werden 100 ausgebildete Gymnasiallehrer ihre Arbeit aufnehmen, damit würden 86 Stellen abgedeckt. Inzwischen seien rund 300 Gymnasiallehrer an Grundschulen tätig. Sie werden ein Jahr berufsbegleitend für die Grundschule qualifiziert. Das Programm läuft jetzt im zweiten Jahr.

Eisenmann sieht jedoch nicht vor, beispielsweise Vertretungslehrer, die kein zweites Staatsexamen haben, gesondert zu qualifizieren. Ihnen stehe das Referendariat offen.