Bertold Leibinger, der die Maschinenfabrik Trumpf groß gemacht und lange geführt hat, wird am 26. November 85 Jahre alt. Unternehmer mit einer solchen Nähe zum Betrieb sind selten geworden.

Stuttgart - Berthold Leibinger zuckt zusammen. Jäh ist er an diesem Morgen aus seinem Traum erwacht, in den er nach dem ersten Klingeln des Weckers noch mal geglitten war: „Ich muss ins Büro!“, fährt er hoch. Und genau da sitzt er ein paar Stunden später im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung, lacht über die Szene und schüttelt ein wenig den Kopf über sich selbst, denn er weiß genau, dass er eigentlich gar nichts mehr muss. Erstens wird der gebürtige Stuttgarter in wenigen Tagen, am 26. November, 85 Jahre alt, und zweitens hat er im Unternehmen, dem Maschinenbauer Trumpf in Ditzingen, gar keine offizielle Funktion mehr, die seine Präsenz erfordern würde.

 

Leibinger hält sich nicht für unentbehrlich und macht mit verschmitztem Gesichtsausdruck Witze über Männer seines Alters, die im eigenen Betrieb noch immer alle Fäden in der Hand behalten wollen. Aber obwohl der Mann, der Trumpf zum Unternehmen von Weltrang gemacht hat, auf Abstand gegangen ist, hat er doch einiges gemeinsam mit den geschmähten Patriarchen seiner Generation. So ist ihm keine Entscheidung so schwer gefallen wie der Generationswechsel vor zehn Jahren, mit dem er das Schicksal des führenden Herstellers von Lasern und Maschinen zur Blechbearbeitung in die Hände seiner Kinder gab. Immerhin war er da ja auch schon 75.

Sogar von einer „Liebesbeziehung“ hat er gesprochen

Aber Leibinger und Trumpf, das ist eine besondere Liaison. „Die Verbindung mit diesem Unternehmen ist eine ganz tiefe, bis heute“, sagt Leibinger. „Ich habe meinen Kindern gesagt: Ich verzichte auf jedes Amt, aber ihr könnt mir nicht verbieten, dass ich existenziell Anteil nehme am Weg dieses Unternehmens.“ Von einer „Liebesbeziehung“ zur Firma hat er bei anderer Gelegenheit sogar gesprochen.

Dass seine Meinung auch ohne ein offizielles Amt gehört wird, steht nach vielen Jahrzehnten an der Spitze nicht in Frage. Aber Tochter Nicola Leibinger-Kammüller als Chefin und ihr Bruder Peter sowie Nicolas Ehemann Matthias Kammüller entscheiden selbst, zum Beispiel beim Erwerb des chinesischen Herstellers Jiangsu Jinfangyuan vor zwei Jahren. „Die Unternehmensleitung geht einen Weg, den nachzuvollziehen ich zumindest zu Beginn große Mühe hatte“, räumt Leibinger ein. Der Grund: ihm gefiel die Produktpalette der Chinesen nicht, die erst eine Schweizer Abkantpresse (mit der Blech gebogen wird), dann eine japanische Maschine nachgebaut haben. Leibinger: „Damals habe ich zu meiner Tochter und dem Schwiegersohn, der das insbesondere betrieben hat, gesagt: Das Letzte, was ich tue, ist, dass wir uns an einem Kopisten von einem Japaner beteiligen. Aber sie lagen richtig.“ Beim letzten Satz klingt an, dass er sich zu dieser Einschätzung erst durchringen musste.

„Der Mensch möchte Eigentum bewahren“

Berthold Leibinger verkörpert Trumpf, obwohl er das Unternehmen gar nicht gegründet hat – oder gerade deswegen. „Es ist fast Besessenheit eines Menschen, mit diesem Unternehmen verbunden zu sein, es besitzen, führen und vererben zu wollen und danach das Leben auszurichten. Ich habe 40 Jahre gebraucht, das Unternehmen zu erwerben“, sagt er. Diese intensive Nähe ist in einer Zeit selten geworden, in der Neugründungen wie im amerikanischen Silicon Valley in Kalifornien nach den ersten Erfolgen schnell den Besitzer wechseln oder zumindest neue Gesellschafter aufnehmen.

Die Digitalisierung fordert alle heraus

Erst vor wenigen Wochen hat der Stuttgarter Unternehmer Ulrich Dietz öffentlich darüber räsoniert, dass er den von ihm gegründeten und groß gemachten IT-Dienstleister GFT nicht unbedingt an seine Kinder weitergeben müsse; diese hätten vielleicht ganz andere unternehmerische Interessen. Bei Leibinger ist solch eine Sichtweise kaum vorstellbar. „Der Mensch möchte Eigentum bewahren“, lautet sein Kredo.

Innovationen waren in der Blechbearbeitung selten

Gegründet wurde Trumpf als mechanische Werkstätte Julius Geiger, der heutige Namensgeber Christian Trumpf und weitere Partner kamen erst 1923 hinzu. Berthold Leibinger fing hier 1950 als Lehrling an, kam nach Studium und USA-Aufenthalt 1961 zurück und begann 1963 Geschäftsanteile zu erwerben – bis er schließlich Alleineigentümer war. Schritt für Schritt ging das, indem er einerseits seine vielen bei Trumpf erworbenen Patente einsetzte und andererseits mehrfach Kredite aufnahm. Leibinger sagt von sich: „Ich bin Maschinenbauer durch und durch. Was ich kann, ist die Maschine zu beurteilen und auch Neues wie den Laser als Werkzeug hinzuzufügen.“

Das hat Trumpf zu einer Größe im Maschinenbau mit jetzt 2,7 Milliarden Euro Umsatz und 11 000 Mitarbeitern gemacht. Leibingers große Innovation war die Einführung des Lasers als Werkzeug in einer Branche, die er mit „einem unbestellten Acker“ vergleicht: Blechbearbeitung. Große technische Umwälzungen waren da eher die Ausnahme, mit Fleiß und Ideen konnte Trumpf punkten.

Nun hat der Maschinenbauer so wie die ganze Branche die nächste Herausforderung zu bewältigen: die Digitalisierung. Und Leibinger ist froh, dass sich darum jetzt Jüngere kümmern. Der Unternehmer räumt ein: „Ich bin in dieser digitalen Welt nicht groß geworden. Das ist eine neue Welt.“ Er sieht eine Spaltung in eine digitale und eine dingliche Welt, die eine flüchtig, die andere etwas langsamer. Aber gleich darauf schwächt er ab: „Und doch bedingen beide einander.“ Gleichwohl: zu einem Unternehmen wie dem Karlsruher Start-up Axoom, das Trumpf gegründet hat und eine Plattform für die durchgängige Organisation eines Unternehmens nach den Erfordernissen von Industrie 4.0 bietet, hat Leibinger, das gibt er zu, nicht den gleichen Zugang wie die jüngere Generation. Gleichwohl weiß er um den Stellenwert der Digitalisierung, spricht sogar mit einer gewissen Ehrfurcht davon.

Zwischen den USA und Japan

Für ihn ist klar, dass Deutschland seine Position in der Welt nicht wird halten können, wenn die Bits und Bytes vernachlässigt werden. Leibinger, der gut 70-mal in Japan war und auch sonst überall auf der Welt herumgekommen ist, sieht die deutsche Wirtschaft in einer Position zwischen Amerika und Japan – nicht so innovativ wie die Amerikaner, aber in der Qualität viel besser; nicht so qualitätsbesessen wie die Japaner, aber innovativer. Leibinger: „Unser Ziel muss es sein, Innovation und Qualität miteinander zu verbinden. Und zur Innovation gehört die digitale Welt ganz und gar dazu.“

„Ich mag den Nur-Unternehmer nicht“

Berthold Leibinger, der Bildungsbürger, der im Gespräch auch mal wie zufällig ein Zitat aus Schillers „Wallenstein“ fallen lässt, zweifelt nicht an Talent und Ehrgeiz der „Digital Natives“. Deren Ferne zur klassischen Bildung stört ihn aber schon ein wenig – ebenso, dass sich auch gestandene Manager selbst beim Geschäftsessen noch von ihren Smartphones hypnotisieren lassen. Immerhin räumt er ein, dass Wissens- und Bildungsstandards schon immer auch Definitionen ihrer Zeit gewesen sind.

Interesse an der Deutsch-Note im Abitur

Der Maschinenbauingenieur glaubt aber schon, dass es vielen Unternehmern heutzutage an der Vielfalt der Interessen fehlt. Leibinger, der seine angehenden Ingenieure früher gerne mal nach der Deutschnote im Abitur gefragt hat (und das bei der Einstellung dann auch berücksichtigt hat), hält viele deutsche Unternehmer für zu selbstzentriert und zu wenig ambitioniert, weil sie sich mit ihrem wirtschaftlichen Erfolg zufriedengeben. Leibinger: „Für mich stand der wirtschaftliche Erfolg nicht im Vordergrund, der kam sozusagen dazu. Mir war immer wichtig, in unserem Bereich die beste Maschine zu machen.“ Und er wird noch deutlicher: „Ich mag den Nur-Techniker nicht; ich mag auch den Nur-Unternehmer nicht. Wir sind in eine so farbige und interessante Welt hineingestellt, da ist das zu einseitig.“

Erfolgsgeschichten wie Trumpf sind in Deutschland selten geworden. Mit einer Mischung aus Zurückhaltung und Koketterie spricht Leibinger über das eigene Werk: „Verglichen mit Steve Jobs und Apple ist das ein bescheidenes ,Sächle‘, was wir hier gemacht haben.“

Leibinger hat viele Leute reich gemacht

Dass es an Gründungen, auch produktionsnahen Gründungen, im Land fehlt, glaubt er nicht. Nur bleiben sie offenbar nicht lange selbstständig – weil sie aufgekauft werden: „Die großen Unternehmen spüren, dass Größe und Verkrustung eng beieinanderliegen. Sie suchen das Unruhige, das Neue und sind auf die Kleinen aus.“ Und offenbar fehlt manchen Gründern dieser unbedingte Wille, den Leibinger ausstrahlt: etwas aufbauen, es erhalten und in der Familie weitergeben zu wollen.

Aber es gibt sie: „Die Stärke unseres Landes“, sagt Leibinger, „ist der besitzorientierte Mittelstand auch kleinerer Art, von dem man wenig liest.“ So gab es aus Trumpf heraus etwa 20 Gründungen durch Servicetechniker. Die kannten die Maschinen und machten sich selbstständig, um dann Blechteile für Kunden zu bearbeiten – fast Handwerksbetriebe, so wie Trumpf einst auch einer war. Viele Leute haben Leibinger schon gesagt, dass sie durch ihn reich geworden seien. Das freut ihn.