Man baut sie, bewundert sie, liebt sie – und weiß oft gar nicht warum. Einige Gedanken darüber, was die Menschen dermaßen an Brücken fasziniert.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Zu allen Zeiten haben Brücken Dichter, Maler, Musiker und Philosophen fasziniert. Sie versetzen den Betrachter in ehrfürchtiges Staunen und ziehen ihn magisch in Bann. „Über sieben Brücken musst du gehn, sieben dunkle Jahre überstehn, siebenmal wirst du die Asche sein, aber einmal auch der helle Schein“, heißt es in einem der bekanntesten Brücken-Songs, der ursprünglich von der DDR-Rockband Karat stammt.

 

Bauwerke mit großer Symbolkraft

Brücken vereinen Menschen, Völker, Landschaften und Welten. Sie überwinden tiefe Schluchten, unwegsame Täler und reißende Flüsse. Dabei sind sie mehr als nur funktionale Konstruktionen aus Holz, Stein, Eisen oder Stahl, die zwei Orte auf der Landkarte miteinander verbinden.

Brücken sind Symbole menschlicher Sehnsucht und Willensstärke. Wer sie – im metaphorischen Sinne – überquert, lässt die Vergangenheit hinter sich und bricht zu neuen Ufern auf. Brücken führen ins Vertraute oder ins Ungewisse.

Vor fast 8000 Jahren: Die erste Brücken

Der erste Brückenbau markiert einen der wichtigsten Umbrüche in der Menschheitsgeschichte: den Übergang vom Ausgeliefertsein an die Natur zur Gestaltung und Formung der Welt als Heimstatt des Menschen. Im Gefolge der Neolithischen Revolution, die vor rund 10 000 Jahren begann und den Übergang vom mobilen Leben als Jäger, Sammler und Fischer zum sesshaften Dasein als Bauer darstellt, begann der Mensch auch damit Brücken zu bauen.

Die ältesten archäologischen Funde stammen aus der Jungsteinzeit um 5500 v. Chr. Erste Holzpfade wurden durch gefährliche Moorlandschaften angelegt. Während der Bronzezeit entstanden in Mitteleuropa die ersten primitiven Holzbrücken. Ihr Bau war ökonomisch inspiriert: Die Menschen sparten Zeit, indem sie durch den Brückenbau gefährliche Umwege vermeiden konnten.

Brücken und Philosophie

Der Philosoph Georg Simmel (1858–1918) war einer Ersten, der die „Korrelation von Getrenntheit und Vereinigung“ als zentrales Merkmal von Brücken hervorhob. Im Essay „Brücke und Tür“ (1909) schreibt er: „Die Menschen, die zuerst eine Weg zwischen zwei Orten anlegten, vollbrachten eine der größten menschlichen Leistungen . . . Im Bau der Brücke gewinnt diese Leistung ihren Höhepunkt.“ Hindernisse überwindend, „symbolisiert die Brücke die Ausbreitung unserer Willenssphäre über den Raum“.

Der Philosoph Martin Heidegger (1889– 1976) verklärt die Gebilde in seinem Vortrag „Bauen Wohnen Denken“ (1951) in poetisch-religiösen Bildern: „Die Brücke versammelt auf ihre Weise Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen bei sich.“

Für Friedrich Nietzsche (1844–1900) hat der Mensch selbst eine Brückenfunktion inne: „Was groß ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist: Was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist“, heißt es in seinem Hauptwerk „Also sprach Zarathustra“. Nietzsche verwendet das Brückensymbol als „Metapher für die Unwegsamkeit menschlicher Sehnsucht“, wie es in dem Bildband „Brücken der Welt“ heißt.

Bögen des Lebens

In einem übertragenen Sinne sind Brücken Bögen des Lebens, die der Mensch beschreitet. In Träumen sind sie ein häufig vorkommendes Symbolbild, das auf den Übergang von einer in eine andere Lebensphase hinweist. Sie verbinden Gegensätze im Fühlen, Denken und Handeln, überbrücken Schwierigkeiten und führen zusammen, was zusammengehört.  

In der Mythologie fungieren Brücken als Übergang zwischen den Daseinssphären – wie der sagenumwobene „Bifröst“ in der nordischen Mythologie. Dort stellte man sich den Übergang zwischen Diesseits und Jenseits als schwankende Himmelsstraße und dreistrahlige Regenbogenbrücke vor.

Diese sogenannte Asenbrücke verbindet die Erdenwelt Midgard mit dem Himmelsreich Asgard. Die Asen – das Göttergeschlecht um Odin und Thor – benutzten sie, um von Asgard nach Midgard zu gelangen. „Von Asgard aus schlugen sie eine Brücke, auf dass ihnen Midgard nie entrücke“, heißt es in einem alten nordischen Gedicht.

Der Papst – „Pontifex Maximus“

Bis heute trägt das katholische Kirchenoberhaupt den Titel „Pontifex Maximus“ – größter Brückenbauer zwischen Himmel und Erde –, eine Ehrbezeichnung, die die Päpste von den antiken römischen Kaisern übernommen haben.

Brücken stehen für ein projektives Handeln, das Ausdruck des menschlichen Willens ist, Grenzen zu überschreiten und die Natur nach seinem Willen zu gestalten. In dieser Hinsicht sind sie technologisch-ästhetische Meilensteine der Zivilisation. Wie die ersten Brückenbauer entnehmen auch die heutigen Ingenieure ihre Ideen der Natur. Die älteste Konstruktion – die Balkenbrücke – beruht auf denselben statischen Prinzipien wie ihre natürlichen Vorgänger, etwa ein umgestürzter Baum, der über einer Schlucht liegt.

Pont du Gard: Brückenbau in Vollendung

Die ersten Bogenbrücken wurden von den Römern angelegt, die die Brückenarchitektur perfektionierten. Besonders eindrucksvoll ist der Pont du Gard, ein 49 Meter hohes und 275 Meter langes Aquädukt aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. in Südfrankreich. Die aus drei Ebenen bestehende Brücke aus Kalksteinen beinhaltet einen der am besten erhaltenen Wasserkanäle aus der Römerzeit.

Brücken sind aber auch Orte des Untergangs. In Kriegen sind sie ein bevorzugtes Angriffsziel, das Feldzüge beschleunigen oder zum Stillstand bringen kann. Die Geschichte des Krieges hängt eng zusammen mit gesprengten, bombardierten oder strategisch angelegten Brücken.

Der persische Großkönig Xerxes I. ließ im Jahr 480 v. Chr. die Pontonbrücke über den Hellespont bauen, um die griechischen Stadtstaaten zu erobern. Der römische Feldheer Julius Cäsar ließ während des Gallischen Krieges 55 v. Chr. eine hölzerne Konstruktion über den Rhein errichten, um eine Strafexpedition gegen die Germanen durchzuführen.

Stari Most: Symbol der Völkerverständigung

Nur wenige Brücken sind so voller Symbolik wie die berühmte Stari Most. Dieses aus dem 16. Jahrhundert stammende Bauwerk überspannt den Fluss Neretva und verbindet den bosniakisch-muslimisch geprägten Ostteil mit dem kroatisch-katholisch geprägten Westteil der Stadt Mostar in Bosnien-Herzegowina.

Am 9. November 1993 wurde sie von kroatischer Artillerie zerstört, danach restauriert und 2004 wieder eröffnet. Diese „Alte Brücke“ ist so zu einem Wahrzeichen für Krieg und die Sehnsucht nach Frieden geworden.