Eine Ikone der Architekturgeschichte steht vor dem Verkauf. Der Bund und die Stadt sollen 16 Millionen Euro als Kaufpreis für die Weißenhofsiedlung vereinbart haben. Noch vor dem Jahresende soll das städtische Wohnungsunternehmen Eigentümerin werden.

Stuttgart - Die weltberühmte, ab 1927 entstandene Weißenhofsiedlung soll noch vor Silvester aus dem Eigentum der Bundesrepublik an das städtische Wohnungsunternehmen SWSG übergehen. Der Wirtschaftsbürgermeister und SWSG-Aufsichtsratsvorsitzende Michael Föll (CDU) sagte unserer Zeitung, er sei vorsichtig zuversichtlich, dass es klappe. Zu Informationen, wonach der Bund 16 Millionen Euro erhalten solle, mochte sich Föll nicht äußern.

 

Der nahende Verkauf lässt in der Siedlung allerdings die Wogen hoch gehen. Bei einer Versammlung äußerten Mieter diverse Befürchtungen: dass die – heute teilweise noch günstigen – Mieten steigen, dass der Denkmalschutz „wackelt“ und dass die Wohnungen nicht mehr für Bedienstete des Bundes zweckbestimmt seien. Der Verkauf verbiete sich schon deshalb, weil jüngst bei einem Wohnungsgipfel in Berlin die Absicht zur „Wohnungsfürsorge“ für Bundesbeschäftigte in den Ballungsräumen bekräftigt worden sei, außerdem auch im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), die bisher die Weißenhofsiedlung verwaltet.

Brandbrief an Olaf Scholz

Nils Büttner, Professor an der Kunstakademie Stuttgart, hat als Bewohner der ebenfalls betroffenen Beamtensiedlung auf dem Nachbarareal vor wenigen Tagen in einem Brandbrief Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) um die Verhinderung des Verkaufs gebeten. Es sei offenbar keine vertragliche Regelung vorgesehen, um den Weiterverkauf dieses hochrangigen Kulturdenkmals zu verhindern. Büttner äußerte den Verdacht, der Bund räume finanziellen Erwägungen den Vorrang ein vor der Wohnungsfürsorge und dem Denkmalschutz. Das heimliche Verhandeln mit nur einem Kaufinteressenten verstoße auch noch gegen das Verbot der Wirtschaftlichkeit und sei ein Skandal.

Zuvor hatte bereits eine Anwaltskanzlei im Auftrag von Bewohnern an Scholz und die Bima geschrieben. Tenor: Im Interesse der weiteren Wohnungsfürsorge sei zumindest eine „dingliche Absicherung im Grundbuch“ geboten. Danach stellte die Bima klar, die Mietverträge blieben nach Gesetzeslage bestehen: „Die beabsichtigte Veräußerung an die SWSG stellt daher keinen Nachteil für die Mieter dar.“ Die Belange von Beschäftigten des Bundes, die erst noch eine Wohnung wie in der Weißenhofsiedlung suchen, werde man im Rahmen des gesetzlichen Auftrags bei einem Siedlungsverkauf berücksichtigen.

Mietverträge sollen unverändert fortbestehen

Föll bestätigt: „Das Thema Wohnungsfürsorge ist Gegenstand der Verhandlungen.“ Die Mietverträge würden fortbestehen. Er wisse nicht, warum die SWSG von vornherein eine schlechtere Eigentümerin sein sollte als der Bund. Speziell die Denkmalschutzbehörden seien „bei der Stadt fast noch strenger und nicht nachlässiger als wenn der Bund Eigentümer ist“. Es stehe außer Frage, dass es sich um eine „herausragende Siedlung“ der Stadt und um eine Ikone der Architekturgeschichte handle. Daher wolle man sie auch sichern. Dass die Stadt sie bei ihrem Wohnungsunternehmen ansiedele, liege nahe. Die SWSG habe auch Expertise im Umgang mit denkmalgeschützten Siedlungen.

Mehrfach wurde der Finanzminister eingeschaltet

Dass von Mietern ein Finanzminister zu Hilfe gerufen wurde, ist im Fall der Weißenhofsiedlung übrigens nichts Ungewöhnliches. Seit den 1980er Jahren war das mehrfach vorgekommen, nachdem Verkaufsabsichten seitens des Bundes bekannt geworden waren. Mal wollte die Bima an die Bewohner einzeln verkaufen, dann wieder die Siedlung komplett abgeben – mindestens zur Verwaltung durch ein Privatunternehmen. Die damalige Bundestagsabgeordnete Ute Kumpf (SPD) schaltete den SPD-Finanzminister Hans Eichel ein, der sich 2004 die Siedlung anschaute und den Verkauf stoppte. Der Abgeordnete Stefan Kaufmann (CDU) alarmierte später den CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble. Die Stadt schlug in Person des früheren Städtebaubürgermeisters Matthias Hahn (SPD) den Kurs ein, die Siedlung in ihre Obhut zu bringen, damit die Häuser nicht in Streubesitz fallen, ihre Erhaltung und ihr Schutz nicht erschwert werden. Sie sollen in einer Hand und im öffentlichen Eigentum bleiben. Seit gut zwei Jahren verhandelte Föll über die SWSG-Lösung. Um zu einem realistischen Preis zu kommen und Risiken bei Sanierungen zu vermeiden, wurde die Siedlung nicht pauschal bewertet, sondern Haus für Haus.

Formal müsse der Kauf nun vom SWSG-Aufsichtsrat beschlossen werden, dem aber nur Stadträte angehören, sagte Föll. Den Kaufpreis werde die SWSG teils aus dem Eigenkapital bestreiten, teils mit „echtem Fremdkapital“ vom Geldmarkt.