Parfümeure träumen davon, eines Tages den eigenen Duft zu komponieren. Der Weg dorthin ist wenig verlockend. In Versailles gibt es einen Studiengang für Parfümeure.

Versailles - Sie kennt ihn. Aber er kennt sie nicht. Dabei stammen Marine Belmonte und Jean-Claude Ellena aus derselben Gegend. Sie geben sich derselben Leidenschaft hin. Sie haben denselben Beruf gewählt. Beide sind „Nasen“, wie die Franzosen sagen – Duftvirtuosen, die aus unzähligen Essenzen eine Handvoll herausgreifen, ins rechte Verhältnis bringen, zu Parfüms mischen. Aber die in Nizza aufgewachsene Belmonte ist in der Parfümeur-Branche eben noch eine Unbekannte.

 

Die 26-Jährige studiert im zweiten Jahr, was der in Ehren ergraute Maestro des Modehauses Hermès ein Leben lang zelebriert. Und während sie in Versailles im Labor der „Internationalen Hochschule für Parfüm, Kosmetik und Lebensmittelaromen“ (Isipca) experimentiert, lässt er sich im Hinterland von Nizza von Meeresblick, Lavendelfeldern, Orangengärten und Pinienhainen inspirieren. „Es so weit bringen zu wollen wie er, wäre vermessen“, sagt die Studentin. Aber der verklärte Blick aus dunkelbraunen Augen sagt auch, dass sie diese Vermessenheit aufbringt.

Ellenas Arbeitsplatz liegt in den Hügeln von Grasse. Ein passenderer, geschichtsträchtigerer Ort als die nordwestlich von Cannes gelegene 50 000-Einwohner-Stadt ist schwer vorstellbar. Anfang des 20. Jahrhunderts säumten noch Blumenfelder die Stadt. Männer schleppten die Ernte in Parfümfabriken. Frauen griffen in Blütenberge, sortierten die Ware nach Qualität. Die meisten Fabriken haben mittlerweile dichtgemacht. Eine Parfümstadt ist Grasse aber noch immer. Jasmin- und Lavendelduft steigt in die Nase. Auf dem Markt gesellen sich Melonen- und Korianderaromen hinzu. Ein Museum erläutert die Welt des Parfüms. Auf zerknautschten Kissen hingefläzt, entdeckt der im Halbdunkel ganz auf sein Geruchsorgan fixierte Besucher, dass selbst Schnee wunderbar riecht.

Jede Faser an ihm sagt: Ich bin ein Künstler

Das volle Haar leger gekämmt, die Gesichtszüge aristokratisch, die Nase scharf geschnitten, das Lächeln feinsinnig-melancholisch: schon die Erscheinung des in Grasse geborenen 65-jährigen Ellena signalisiert: Ich bin ein Künstler. Während sich die Kollegen meist mit Komponisten vergleichen, sieht er sich eher als Geruchsschriftsteller. Jedes Parfüm habe seine eigene Grammatik, seine eigene Syntax, versichert er. Nach Art eines Romanciers notiert er auf losen Blättern, welchen Essenzen er welche Rolle zugedacht hat. Die Assistentin Anne ergreift die mit schwarzer Tinte beschrifteten Zettel, schreitet ins Labor. Aus rund 200 Flacons schöpft sie dort. Wie Orgelpfeifen reihen sich die Glasfläschchen aneinander. Etiketten künden von Stoffen, aus denen Träume sind: Lavendel, Amber, Sandelholz, Iris oder auch Moschus. Rund 20 Essenzen fügen sich am Ende zu einem neuen Hermès-Parfüm.

Belmonte schüttelt den Kopf. „Die Duftstoffe mögen träumen lassen, die Welt der Parfüms ist alles andere als traumhaft“, sagt sie. Wer als „Nase“ Erfolg haben wolle, brauche Ellbogen. Branchenkenner bestätigen das. Kostendruck und ein globaler Konkurrenzkampf prägen das Geschäft mit den Gerüchen. Während sich Maler oder Musiker im Lauf der Jahrhunderte aus dem Klammergriff der Patronage befreien konnten, sind Parfümeure Dienstleister geblieben. Selbst Koryphäen wie Ellena verrichten Auftragsarbeiten. Und noch etwas ist für einen Parfümeur schwer zu ertragen. Belmonte nennt es das Gefühl, es nie geschafft, nie ausgelernt zu haben. Das Universum der Düfte ist unendlich. Schon an der Hochschule zeigt sich das.

Im Labor haben die Studenten die Qual der Wahl unter mehr als 600 Substanzen. In einer Plastikschale, die ein Etikett mit dem M trägt, steht da etwa ein Fläschchen mit Mousse de chêne, Eichenschaum. Unter C findet sich Coumarine, ein aus der südamerikanischen Tonkabohne gewonnener Stoff. Unzählige Kombinationsmöglichkeiten tun sich in diesem Raum auf. Aber Belmonte ist entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen, herauszubilden, was es in diesem Metier nun einmal braucht: Empfindsamkeit, Ausdauer, Härte. „Schon der Sinnenfreuden wegen“, sagt die Studentin. Nach ihren jüngsten Duftfunden hat sie innerlich jubiliert. Sie hat sie nicht im Labor der Hochschule gemacht, sondern im benachbarten Paris, nicht in den Blumengärten des Palais Royal, sondern an einer Baustelle. Einen Garten gab es dort zwar auch, aber nur einen kleinen, eingezäunten. Ein paar Lilien blühten darin. Deren Duft stieg Belmonte in die Nase. Er allein hätte die in Südfrankreich mit floralen Duftwolken aufgewachsene Frau kaum sonderlich beeindruckt. Aber da kam eben noch hinzu, was der Laie mit allem Möglichen verbinden mag, nur nicht mit Parfüm. Die Mittagssonne hatte den frisch aufgetragenen Teer erweicht. Die schwarze Masse setzte Dämpfe frei. Ein Lastwagen wirbelte Sand auf. Der Wind blies Staubwolken herüber. „Lilien, Teer, Sand, Erde – daraus könnte ein großes Parfüm werden“, sagt Belmonte.

„Genau darum geht es“, meint Fabienne Du Teil. Die Sprecherin der Hochschule von Versailles lächelt der Studentin anerkennend zu. Belmonte hat soeben bewiesen, was aus Sicht der Schule das Wichtigste ist: Kreativität. Das Wissen um Duftstoffe, ihre Reaktionen, ihre Verbindungen ist nicht schwer zu vermitteln. Die Studenten tun sich auf diesem Gebiet leicht. Voraussetzung für die Aufnahme an der Hochschule ist ein abgeschlossenes Chemiestudium. Auch der Geruchssinn lässt sich schärfen. Am Ende der zweijährigen Ausbildung hat bisher noch jeder Absolvent den Prüfungsanforderungen genügt und 250 Düfte identifiziert. Aber detailliertes Wissen und eine feine Nase reichen eben nicht. Genauso wenig wie ein Mensch mit gutem Gehör schon einen guten Musiker abgibt, ist ein mit sensiblem Geruchsorgan die Welt der Düfte erkundender Mensch noch lange kein guter Parfümeur.



„Unsere Aufgabe ist, aus Diplomchemikern kreative Molekülakrobaten zu machen“, sagt die 38-jährige Sprecherin, auch sie eine Südfranzösin. Schöpferische Kraft ist umso gefragter, als die meisten Parfüms nicht lange leben. Zwischen 2000 und 2011 sind weltweit 5000 neue Parfüms auf den Markt gekommen, rund 450 pro Jahr. Nur wenige hatten Erfolg. Von den Erfolgreichen konnten sich wiederum nur wenige behaupten. Um im internationalen Wettbewerb zu bestehen, setzen Kosmetikkonzerne auf immer neue Geruchssensationen. Flacons-Designer und Marketingexperten suggerieren, dass ein genialer Parfümeur alle paar Monate ein Novum schafft, der Zeitgeist jedes Mal maßgeblich mitmischt. Zustatten kommt ihnen, dass sie weitgehend freie Hand haben.

Düfte sind geduldig. Namen wie „Egoïste“ stehen ihnen letztlich genauso gut zu Gesicht wie andere, die für Leidenschaft und Liebesrausch stehen. Die Trends wechseln immer schneller. Metropolen und mit ihnen assoziierte frische Aromen sind zurzeit angesagt. Oder sind sie es schon nicht mehr?

Da war zuletzt jedenfalls kaum eine Parfümwerbung, die neben dem Urversprechen, das andere Geschlecht zu verführen, nicht auch den Glanz der weiten Welt verhieß: Im Vordergrund Mann, Frau und Flacon, im Hintergrund die Lichter von London, New York oder Shanghai, so wurden Kunden und zumal Kundinnen umworben. Nicht zu vergessen: Paris. Yves Saint Laurent brachte „La Parisienne“ auf den Markt, Cartier zeigte zum „Baiser volé“ den Grand Palais, Nina Ricci zu „Ricci Ricci“ die Dächer der Seine-Metropole.

Kunst kommt von üben

„Um die für einen Parfümeur so wichtigen schöpferischen Kräfte zu entwickeln, heißt es üben, üben, üben.“ Das ist die Überzeugung Lydie Gumerys , der pädagogischen Leiterin der Hochschule von Versailles. Überall gelte es neugierig hineinzuschnuppern, sagt sie selbst. Metrotunnel und Straßenränder seien mit der Nase zu erkunden. Belmonte nickt. Wenn es gutgeht, wird die Marketingabteilung eines Unternehmens die Duftkompositionen der Südfranzösin eines Tages mit Gazellen ähnlichen Geschöpfen anpreisen, die auf Highheels durch Großstadtlandschaften stolzieren. Die Frau, die sich das Parfüm erdacht hat, trägt Stiefel mit flachen Absätzen und Bluejeans – Arbeitskleidung eben. Aber kann man sich Kreativität wirklich erarbeiten?

Die 45-jährige Dozentin Gumery ist davon überzeugt. Natürlich könne man einen Studenten nicht einfach ins Labor setzen und auffordern, etwas Originelles zusammenzumischen, sagt sie. Für einen angehenden Parfümeur gelte dasselbe wie für einen angehenden Musiker und Komponisten. „Den setzt man ja auch nicht einfach vor einen Konzertflügel und befiehlt: Spiel etwas Eigenes.“ Am Anfang gelte es, Kompositionen alter Meister zu interpretieren, sich in sie hineinzuversetzen, ihre Werke zu durchdringen, sie möglichst vollendet darzubieten. In der Parfümbranche sei das schon schwer genug. Was sich der Laie simpel vorstelle, erweise sich beim Eindringen in die Materie oftmals als erschreckend komplex. „Wer auch nur Tomatenduft reproduzieren will, muss 100 bis 200 unterschiedliche Moleküle in bestimmten Proportionen zusammenbringen, damit die Nase dem Gehirn tatsächlich Tomaten meldet“, erzählt Gumery.

Der Traum von der großen Kreation

Im Idealfall beginnt der angehende Parfümeur eines Tages dann, fremde Werke zu transzendieren, zu improvisieren, Eigenes zu entwickeln, auf welcher Stufe der Karriereleiter auch immer: als Junior-Parfümeur, Senior-Parfümeur, in Diensten eines weitgehend unbekannten Parfümherstellers, der Duftkombinationen und Rohstoffe feilbietet, oder gar wie Ellena, im Auftrag eines großen Kosmetikhauses. Belmonte blickt versonnen in die Runde, rupft an ihrem Ohrring. „Genau davon träume ich“, sagt sie. „Von dem Augenblick, da ich mein eigenes Parfüm erschaffe, wo auch immer.“