Die Arbeitsagentur und das Kultusministerium haben ein Programm mit dem Titel „Lebensbegleitende Berufsberatung“ aufgesetzt. Im Kreis Göppingen hat die Umsetzung an Schulen bereits begonnen. Alle finden den Ansatz sinnvoll.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Kreis Göppingen - Vertraut man alleine den bunten Zetteln an der Pinnwand, so haben die Neuntklässler des Göppinger Werner-Heisenberg-Gymnasiums (WHG) schon recht konkrete Vorstellungen, wohin sie der berufliche Weg einmal führen soll. „Architekt“, „Jurist“ und „Zahnarzt“ ist dort unter anderem zu lesen. Es handelt sich also um akademische Tätigkeiten also, die ein Abitur samt Studium erfordern. Es gibt aber auch einige von den Schülerinnen und Schüler beschriftete Blätter, auf denen ganz andere, klassische Ausbildungsberufe zu finden sind: Physiotherapeut etwa oder Automechatroniker.

 

Dass Gymnasiasten bereits in der neunten Klasse im Berufsinformationszentrum (Biz) an der Göppinger Mörikestraße aufschlagen, ist neu und hat mit einem veränderten Ansatz bei der Berufsberatung zu tun, den die Arbeitsagentur und das Kultusministerium vereinbart haben. Der übergeordnete Titel dafür lautet „Lebensbegleitende Berufsberatung“. Im speziellen Fall geht es um den Einstieg. „Dieser kann durchaus auch als ,Karriere mit Lehre’ bezeichnet werden“, erklärt Kati Schwenck, die zuständige Teamleiterin bei der Göppinger Arbeitsagentur.

Dass es einen Trend zur weiterführenden Schule und zum anschließenden Studium gebe, sei nichts Neues, fügt sie hinzu. „Aber nicht für jeden Jugendlichen ist das der richtige Weg, wie die steigende Zahl an Studienabbrechern zeigt“, sagt Schwenck. Auch das duale Ausbildungssystem rüste bestens für die berufliche Zukunft. „Wir drängen niemanden, zeigen aber auf, welche Berufe zu welchen individuellen Stärken passen könnten“, fügt sie hinzu.

Christine Oesterreicher: Als Berufsberater brauchen wir neue Ansätze

Genau darum geht es auch beim früheren Start für die Gymnasiasten. Christine Oesterreicher ist seit gut 20 Jahren als Berufsberaterin tätig und hält es für überfällig, „dass wir früher und intensiver an die Sache rangehen“. Nach Klasse zehn habe jeder Gymnasiast die Mittlere Reife, so dass es zu spät sei, erst in dieser Altersstufe mit den Beratungen anzufangen. „Gleichwohl zeigt sich, dass die Jüngeren von diesem Thema noch weit weg sind, was bei mir und meinen Kollegen andere Ansätze erfordert“, betont Oesterreicher.

Dass sie sich selbst als „Wieder-Lernende“ bezeichnet, wird bei der ersten Begegnung mit den WHG-Schülern im Biz nicht deutlich. Zwei Dutzend Augenpaare sind gespannt auf die Berufsberaterin gerichtet, als sie kund tut, dass es in Deutschland 600 Ausbildungsberufe und mittlerweile 20 000 verschiedene Studiengänge gibt. Dass es da Informationen braucht, steht für die Schülerin Lisa Frey fest. Die Schlaterin findet es gut, „dass wir einen ersten Einblick bekommen, was alles möglich ist“. Ihr Klassenkamerad Christian Rüdrich sieht das ähnlich. „Für jeden der abgeht, ist das sinnvoll“, sagt der Dürnauer. Er selbst wolle auf jeden Fall sein Abi und danach eine Pilotenausbildung machen. „Dass ich mich darüber hier im Biz oder auf dem Online-Portal der Arbeitsagentur schlau machen kann, ist deshalb sehr praktisch“, sagt Rüdrich.

Lars Bürk: Es gibt eine Tendenz, früher vom Gymnasium abzugehen

Lars Bürk ist am WHG nicht nur Wirtschaftslehrer, sondern auch für das Thema Berufsorientierung an Gymnasien, kurz Bogy, zuständig. Er findet es „grundsätzlich richtig, dass über das immer breiter werdende Feld von Ausbildung und Studium frühzeitig informiert wird“. Zwar sei es das Bildungsziel des Gymnasiums, neben einer breiten Allgemeinbildung auch die Studierfähigkeit der Schüler herzustellen. „Aber es gibt, womöglich auch dem G 12 geschuldet eine Tendenz, früher abzugehen“, hat Bürk festgestellt. Zudem gebe es immer mehr Ausbildungsberufe, die eine Abitur verlangten, so dass es sinnvoll sei, eine Ahnung davon zu haben.

Christine Oesterreicher versteht sich auf diesem Weg als Begleiterin: „Von einer Entscheidung oder gar Realisierung kann in dieser Phase noch gar nicht die Rede sein.“ Für die Jugendlichen gehe es im ersten Schritt um eine Selbsterkundung, darum, ihre Interessen und Neigungen, ihre Stärken und Schwächen, ihre Werte und Ziele für sich herauszufinden. „Mehr muss erst mal gar nicht sein“, sagt sie.