Bis jetzt können Werkreal- und Gemeinschaftsschüler, die Probleme haben, ihren Schulabschluss und dann einen Ausbildungsplatz zu erreichen, Einzelunterstützung erhalten. Das Land will dies nicht mehr finanzieren. Wird es einen Stuttgarter Weg geben?

Viele Schülerinnen und Schüler tun sich schwer, ihren Hauptschulabschluss zu schaffen und dann auch noch Bewerbungen zu schreiben und einen Ausbildungsplatz zu finden, der zu ihnen passt. Das gilt insbesondere in Pandemiezeiten, in denen kaum Praktika stattfinden konnten. Für diese Jugendlichen gibt es seit dem Jahr 2009 als Angebot eine Berufseinstiegsbegleitung. Sie erhielten zunächst von der zweiten Hälfte der achten Klasse an Einzelcoaching durch einen Sozialpädagogen.

 

Auch sieben Werkreal- und sieben Gemeinschaftsschulen in Stuttgart nutzen dieses Angebot für ihre schwächeren Schüler. 110 Plätze bieten Caritas, Eva und die Stuttgarter Jugendhausgesellschaft als Träger für sie an. Doch jetzt steht das Programm auf der Kippe, denn das Land steigt aus der Finanzierung aus. Es wird zu 50 Prozent von der Arbeitsagentur und, nach dem Ausstieg des Europäischen Sozialfonds im Jahr 2019, zu je 25 Prozent von Land und Kommune finanziert. Und nun?

Kultusministerium: Berufsvorbereitung ist Aufgabe der Lehrkräfte

Aus Sicht des Landeskultusministeriums ist der Wegfall offenbar kein Problem. Wie die Behörde die Schulleiter nun wissen ließ, sei die erfolgreiche Vorbereitung der Schüler auf ihren Übergang von der Schule in eine Ausbildung „originäre Aufgabe der Lehrkräfte“. Die Verwaltungsvorschrift Berufliche Orientierung eröffne den Schulen zudem „hinreichende Möglichkeiten, individuell und gemäß den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler Praxiserfahrungen umzusetzen“, heißt es im Schreiben des Kultusministeriums. Im Übrigen könne ja auch die Kommune ihre Kofinanzierung auf 50 Prozent aufstocken. Auf Anfrage unserer Zeitung nannte das KM als Grund für den Ausstieg allerdings die fehlende Bildungsgerechtigkeit des Programms, da Schüler aus nicht so finanzstarken Kommunen nicht davon profitieren könnten. Zudem verwies das Ministerium auf eine digitale Vermittlungsplattform für Schüler ab 15 Jahren, auf der diese und mögliche Ausbildungsbetriebe für Tagespraktika zusammenfinden können.

In Stuttgart hatte sich bereits die SPD-Fraktion im Gemeinderat dafür starkgemacht, die bereits zuvor entstandene Betreuungslücke beim Programm der Berufseinstiegsbegleitung durch veränderte Ausschreibungsbedingungen zu kompensieren. Das Programm wurde laut veränderter Ausschreibung von drei auf zweieinhalb Jahre verkürzt – sprich erst von der neunten Klasse an – und der Betreuungsschlüssel verschlechtert. „Wir hätten gern eine längere Laufzeit und einen besseren Personalschlüssel“, hatte der städtische Jugendhilfeplaner Oliver Herweg bei der Sitzung des Jugendhilfeausschusses im April gefordert.

Wird es für die Schüler einen Stuttgarter Weg geben?

Auch die SPD-Stadträtin Jasmin Meergans bezeichnete die Situation als „massiv unzufriedenstellend“. Sie sagte: „Muss es nicht eigentlich einen Stuttgarter Weg geben, um die Qualität sicherzustellen?“ In ähnlicher Weise äußerte sich auch Klaus Käpplinger von der Evangelischen Gesellschaft (Eva). Nach dem Ausstieg des Landes plädiert Meergans dafür, dass die Stadt nun den Anteil von 50 Prozent übernehmen solle, damit dieses für die Jugendlichen so wichtige Angebot weitergeführt werden könne.

SPD-Abgeordnete: Fatales Signal an alle Jugendlichen im Land

Die Stuttgarter SPD-Landtagsabgeordnete Katrin Steinhülb-Joos spricht im Blick auf den Rückzug des Landes von einem „fatalen Signal an alle Jugendlichen im Land. Gerade nach diesen zwei anstrengenden Coronajahren ist Unterstützung auf dem Weg ins Arbeitsleben dringend angebracht!“ Junge Menschen somit in die Arbeitslosigkeit zu entlassen komme das Land teurer als eine Weiterfinanzierung des Programms, so Steinhülb-Joos. Denn dieses habe eine nachhaltige Wirkung – „das war wirklich Gold wert“, weiß die frühere Rektorin der Altenburg-Gemeinschaftsschule in Bad Cannstatt aus eigener Erfahrung.

Im städtischen Bildungsreferat verweist man darauf, dass die aktuellen Programme noch weiterlaufen würden, es allerdings keine neuen geben werde. Über das weitere Vorgehen sei das Jugendamt noch in der Planung und werde „zu gegebener Zeit im Jugendhilfeausschuss berichten“. Darauf warten auch die Träger: „Wir stehen bereit, aber die Zeit läuft, und langsam, aber sicher wird es eng. Die Gespräche dazu laufen. Bis zur nächsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses sollte Klarheit herrschen“, sagt Klaus Käpplinger von der Eva. Denn derzeit sei „offen, wie es damit weitergeht, also ob die Stadt einsteigt und dieses Programm eigenständig fortsetzt oder etwas Vergleichbares aufstellt“. Die Schulen in Stuttgart seien sehr daran interessiert und dringen darauf.

Schulleiter: Lehrer können so eine intensive Betreuung nicht leisten

Viel Hoffnung scheinen sie allerdings nicht zu haben: „Wir bereiten uns darauf vor, dass das Programm ausläuft“, erklärte Gerhard Menrad, der geschäftsführende Leiter der Real-, Werkreal- und Gemeinschaftsschulen, auf Anfrage. Er wisse allerdings, dass einzelne Schülerinnen und Schüler sehr von diesem Programm profitiert haben. Ein Ausstieg würde bedeuten, dass diese Aufgabe auf Lehrkräfte und Schulsozialarbeit und mobile Jugendarbeit zukomme, so Menrad. Klar sei aber: „Keine Lehrkraft kann die intensive Betreuung einzelner Jugendlicher im Rahmen dieses Programms stemmen.“